Der Beitrag beschäftigt sich einerseits mit Sprachhierarchien zwischen der Mehrheitssprache und verschiedenen Migrations-/Minderheitssprachen mit unterschiedlichem Prestige in Schweizer Kindertagesstätten. Andererseits rückt er die mehrsprachliche agency von Kindern und den Umgang damit in den Mittelpunkt des Interesses. Mehrsprachigkeit wird nicht nur als individuelle Fähigkeit von Individuen verstanden, sondern auch als Merkmal eines sozialen Kontextes bzw. als Teil der Alltagsrealität von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen (z.B. García 2009). In Mehrsprachigkeit zeigen sich unterschiedliche Bewertungen von und Hierarchien zwischen einzelnen Sprachen bzw. sprachlichen Repertoires, welche die mehrsprachige agency von Kindern als auch den Umgang damit vonseiten pädagogischer Fachpersonen beeinflussen (Schwartz et al. 2023, Simoes Lourêiro & Neumann 2020). Dieser Umgang mit Mehrsprachigkeit in der frühen Bildung ist eng verbunden mit sprachlichen Ungleichheiten sowie mit Fragen von gesellschaftlicher Teilhabe, Integration und Chancengleichheit von Kindern.
Auf Basis dieses Verständnisses werden im Beitrag folgende Fragen behandelt: Wie wird Mehrsprachigkeit im Alltag mehrsprachiger Schweizer Kitas praktiziert? Welche Sprachhierarchien lassen sich dabei beobachten? Welche Formen mehrsprachiger agency zeigen sich bei Kita-Kindern? Zur Beantwortung dieser Fragen stützt sich der Beitrag auf eine Studie, die 2019 in drei mehrsprachigen Schweizer Kindertagesstätten durchgeführt wurde (Becker & Knoll, 2021). Mittels Beobachtungen von Interaktionen zwischen Kindern und Fachpersonen wurde untersucht, wie Mehrsprachigkeit im Kita-Alltag umgesetzt wird. Dabei zeigte sich einerseits, dass Sprachen mit hohem Prestige (u.a. Englisch) einen privilegierten Stellenwert einnehmen, was die Anerkennung von Kindern mit anderen Erstsprachen beschränkt. Andererseits werden die Kinder in ihrer mehrsprachigen agency gefördert, sie haben einen bedeutenden Einfluss auf das sprachliche Geschehen und dadurch wird ihnen ermöglicht ihre sprachlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln (Knoll & Becker 2023). Die Ergebnisse werden diskutiert vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes zwischen Förderung der lokalen Mehrheitssprache (Deutsch) zwecks Teilhabe, Integration und Bildungschancen einerseits und dem Einbezug von Herkunftssprachen der Kinder zwecks Anerkennung und Verhinderung von Diskriminierung andererseits.