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3.6 Impulsforum Forschung: Learning Analytics - Transparenz und rechtliche Fundierung
Zeit:
Dienstag, 03.09.2024:
10:45 - 11:45
Ort:Raum ID 04/653
Präsentationen
10:45 - 11:15
Reversed Big Brother Principle im Learning Analytics
Niels Seidel
FernUniversität in Hagen, Deutschland
Unter der Bezeichnung Learning Analytics (LA) hat sich seit über 10 Jahren eine Forschungsrichtung etabliert, die sich mit Messung, Sammlung, Analyse und Monitoring von Bildungsdaten sowie den daraus abgeleiteten Interventionen beschäftigt.
In Onlinekursen stehen dabei ausschließlich die Daten von Lernenden im Zentrum des Interesses, während Daten über Verhalten und Leistung von Lehrpersonen den Lernenden vorenthalten werden. Im Vergleich zu einer Lehrveranstaltung in Präsenz können Lehrpersonen schier unsichtbar in Onlinekursen walten und das Lernen überwachen.
Das Reversed Big Brother Principle ändert diese Machtverhältnisse und legt gegenüber den Lernenden bspw. offen, - ob sich Lehrkräfte im Kurs befinden und was sie gerade tun - wie viel Zeit die Lehrpersonen im Kurs verbracht haben - wie weit Korrekturen abgeschlossen/Fragen beantworten sind - welche Änderungen am Lernmaterial vorgenommen wurden und - welche Learning Analytics Daten von Lehrpersonen (und Software-Agenten) genutzt wurden.
Wir haben Lernende und Lehrende einer großen deutschen Universität zur Akzeptanz von Reversed Big Brother Tools befragt und stellen ein in der Lehre implementiertes Learner Dashboard vor, in dem Lernende einen Einblick in die Lehraktivitäten der betreuenden Lehrkräfte erhalten.
Theoretischer Hintergrund
Das Reversed Big Brother Principle geht auf ein vom lettischen Staat implementiertes Verfahren zurück, wonach Bürger einsehen können, wann Behörden auf ihre Daten zugegriffen haben. Realisiert in X-Road (2024).
Die Machtdistanz bezieht sich auf das Ausmaß, in dem weniger mächtige Mitglieder einer Gesellschaft oder Gruppe eine ungleiche Machtverteilung akzeptieren. Übertragen auf den Kontext der Lehre stellt sich die Frage, in wie weit Studierende die durch LA gestiegende Macht der Lehrenden akzeptieren oder eine Gleichberechtigung anstreben.
Betrachtet man einen Onlinekurs als einen Kollaborationsraum, in dem mehrere Akteure agieren, so lässt sich aus der Forschung im Bereich des Computer-Supported Collaborative Learning die Notwendigkeit zur Unterstützung der Group Awareness ableiten. Eine solche Awareness-Unterstützung beinhaltet Informationen über den Arbeitsplatz und die dort anwesenden Kooperationspartner, die von ihnen aktuell bearbeiteten Artefakte, den Ort ihre aktuellen Tätigkeit im virtuellen Raum und ihre Intention. Siehe Gutwin & Greenberg (1996) und Greenberg & Gutwin (2016).
Eine Anaylse der Veröffentlichungen der Konferenzen Learning Analytics and Knowledge sowie der Education Data Mining ergabe keine Forschungsarbeiten, in denen Lernenden Daten des Verhaltens von Lehrpersonen nutzen konnten. Relevent ist diese Frage, da viele Daten über Studierenden gesammelt, jedoch nicht genutzt werden. Durch die Umsetzung des Reversed Big Brother Prinzips können Studierende erkennen, welche ihrer Daten tatsächlich durch Lehrende oder Software Agenten (bspw. adaptive Systeme) verwendet und somit benötigt werden.
Literatur
Gutwin, C., & Greenberg, S. (1996). Workspace Awareness for Groupware. Conference Companion on Human Factors in Computing Systems, 208–209. https://doi.org/10.1145/257089.257284
Greenberg, S., & Gutwin, C. (2016). Implications of We-Awareness to the Design of Distributed Groupware Tools. Computer-Supported Cooperative Work, 25(4–5), 279–293.
X-Road Data Exchange Layer (2024). https://github.com/nordic-institute/X-Road (abgerufen am 2024/02/02)
11:15 - 11:45
Satzungen als taugliche Rechtsgrundlage für den Einsatz von Learning Analytics in Hochschulen
Hendrik Link, Gerrit Hornung
Universität Kassel, Deutschland
Learning Analytics bietet die Chance, die Hochschullehre zu verbessern: Durch die Kombination von großen Datenmengen der Studierenden und intelligenten Algorithmen können sich adaptive Lerntechnologien dynamisch auf Lernende einstellen und passende Lernaktivitäten und Lerninhalte antizipieren.[1]
Dies macht die Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Studierenden erforderlich, für die es nach der DSGVO einer Rechtsgrundlage bedarf. Manche Hochschulen schaffen sich eigene Rechtsgrundlagen, indem sie sich in Satzungen die Datenverarbeitung – etwa zum Zwecke von Learning Analytics – erlauben.
Dieses Vorgehen ist naheliegend: Hochschulen machen mit Satzungen traditionell Gebrauch von ihrem hohen Maß an Eigenverwaltung, um eigene Angelegenheiten zu regeln.[2] So können sie den Einsatz technischer Innovationen in gebotenem Tempo legitimieren und flexibel auf wandelnde Begebenheiten reagieren. Erlauben Satzungen allerdings die Verarbeitung von personenbezogenen Daten, liegt darin ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Studierenden. Solche Grundrechtseingriffe müssen auf ein Gesetz rückführbar sein (Vorbehalt des Gesetzes),[3] wobei der Gesetzgeber in grundlegenden Bereichen die wesentlichen Aspekte selbst regeln muss (Wesentlichkeitstheorie).[4] Es ist daher fraglich, ob Satzungen taugliche Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Learning Analytics sein können.
Der Beitrag untersucht zunächst, ob es Satzungen als Rechtsgrundlagen bedarf, oder ob andere Rechtsgrundlagen der DSGVO oder des nationalen Rechts den Einsatz von Learning Analytics erlauben. Anschließend wird betrachtet, ob Satzungen taugliche Rechtsgrundlagen i. S. d. DSGVO sein können. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Frage, ob – und wenn ja – unter welchen Voraussetzungen das Grundgesetz die Ausgestaltungen von Satzungen als Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe zulässt.