Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Die momentane Konferenzzeit ist: 09. Mai 2025 15:34:05 MESZ

 
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Sitzungsübersicht
Datum: Mittwoch, 02.10.2024
18:00 - 22:00Autumn School
Gesine Schröder1, Philippe Kocher2
1: mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien; 2: Zürcher Hochschule der Künste
Ort: Raum 7.116

Forum zum Austausch und zur Vernetzung von Musiktheoriestudierenden.
Es gibt zehn Plätze. Unterkunft und Verpflegung werden gestellt.

Anmeldung: https://www.gmth.de/veranstaltungen/autumn_school_2024.aspx

 
Workshop
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Autumn School

Forum zum Austausch und zur Vernetzung von Musiktheoriestudierenden

 
Datum: Donnerstag, 03.10.2024
9:00 - 19:00Autumn School
Gesine Schröder1, Philippe Kocher2
1: mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien; 2: Zürcher Hochschule der Künste
Ort: Raum 7.116
 
Workshop
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Autumn School

Forum zum Austausch und zur Vernetzung von Musiktheoriestudierenden

 
11:00 - 18:00Öffentlicher Workshop Künstlerischer Wettbewerb (Band Anders)
Ort: Raum 7.112
12:00 - 18:00Vorstandssitzung GMTH
Ort: Raum 7.139
15:00 - 19:00Treffen AG Musiktheorie und Neue Medien
Ort: Raum 9.222
18:00 - 20:00Treffen AG Musikschulen (Hybridformat)
Ort: Raum 9.122
Datum: Freitag, 04.10.2024
9:00 - 10:00Anmeldung
Ort: Foyer Audimax
10:00 - 10:45Eröffnungsveranstaltung - Eröffnungsreden und Preisverleihungen, Uraufführung Auftragskomposition
Ort: Zentralcampus Audimax

Robert Denk, Kanzler der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg

Gabriele Grube, Leiterin Kulturreferat der Stadtverwaltung Cottbus

Gregor Fuhrmann, Studiengangsleiter des Instituts für Instrumental- und Gesangspädagogik

Florian Edler, Präsident der GMTH

Preisverleihung des Aufsatzwettbewerbs der GMTH

Preisverleihung des Künstlerischen Wettbewerbs der GMTH

Preisverleihung des Richard-Strauss-Wettbewerbs

Uraufführung des Auftragswerks von Giordano Bruno do Nascimento, durch Studierende des Instituts für Instrumental- und Gesangspädagogik

Stephan Lewandowski, Kongressleiter

10:45 - 12:15Keynote: Wende - Wandel - Musik von Wenden. Musiktheoretische Erinnerungspolitiken der letzten 35 Jahre
Gesine Schröder
mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Ort: Zentralcampus Audimax
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs

Wende - Wandel - Musik von Wenden. Musiktheoretische Erinnerungspolitiken der letzten 35 Jahre

 
12:15 - 12:45Umzug zum Campus Sachsendorf
12:45 - 14:20Mittagspause
Ort: Mensa Campus Sachsendorf
13:00 - 14:00Studierendentreffen
Ort: Mensa Campus Sachsendorf

Gemeinsames Essen und Kennenlernen und Austausch.
Die Kosten übernimmt die GMTH.

Anmeldung erbeten.
Anmeldung über Conftool-Funktion "Teilnahmedaten bearbeiten".

13:00 - 14:00Hochschulvertreter*innen-Essen
Ort: Mensa Campus Sachsendorf, Séparée links hinten
14:00 - 15:00CAMAT_revamped – Updated Version of the CAMAT Tool with Extended Functionality
Egor Polyakov
HMT Leipzig, Germany
Ort: Raum 11.318
 
Workshop
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: symbolic music analysis, computer aided music analysis, MEI, symbolic music formats

In 2022, we introduced CAMAT (Pfleiderer et al., 2024), a Python/Jupyter-based toolbox for symbolic music analysis. In this workshop, we present “CAMAT_revamped,” an updated and overhauled version that includes numerous new features and improvements:

  • Full MEI and kern compatibility
  • Reworked plotting engine implementation (including the integration of Plotly and Bokeh libraries)
  • Full support for Verovio-based symbolic notation rendering within Jupyter notebooks
  • Integration of Self-Similarity Matrix-Plots (Foote & Cooper, 2001) based on symbolic music input
  • Integration of fuzzy template matching for motif and harmonic progression searches
  • Improved corpus-based search and statistical capabilities

During the presentation, we will showcase various example analyses using the updated CAMAT framework, including demonstrations on the Bach Chorale dataset as well as a variety of examples ranging from the 16th to the 20th century.

As part of our workshop, we will also discuss general strategies for gathering symbolic music data from available public domain internet resources. In particular, we will address the variety of current symbolic music formats and the tools available for annotation and editing. We will focus specifically on the latest developments within the MEI format and the associated tools.

References

Foote, J., & Cooper, M. L. (2001). Visualizing Musical Structure and Rhythm via Self-Similarity. International Conference on Mathematics and Computing.

Pfleiderer, M., Polyakov, E., & Nadar, C.-R. (2024). Analyse! Development and Integration of Software-Based Tools for Musicology and Music Theory. In J. G. R. H. J. P. R. T. M. Marrington (Ed.), Innovation in Music: Technology and Creativity (pp. 292-309). Taylor & Francis.

 
14:00 - 16:00Gesprächsrunde: Musiktheorie-Zugangsprüfungen an deutschen Musikhochschulen: Sinnvoll oder entbehrlich? Und wie einheitlich sollten sie sein?
Florian Edler1, Arvid Ong2, Anne-Kathrin Wagler3
1: Hochschule für Künste Bremen; 2: Universität Hamburg; 3: Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
Ort: Raum 9.222
 
Gesprächsrunde
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Gesprächsrunde

Beim Online-Treffen der Arbeitsgemeinschaft Musikschulen kristallisierte sich neben dem zentralen Thema der inhaltlichen Ausrichtung des Musiktheorie-Unterrichts die Frage heraus: Welche konkreten Anforderungen stellen Musikhochschulen an Studienbewerber*innen? Dabei geht es nicht nur um Differenzierungen nach verschiedenen Studiengängen, sondern auch um Schwerpunktsetzungen der einzelnen Musikhochschulen. Lehrende, die im Bereich der Studienvorbereitenden Ausbildung unterrichten, äußerten beim AG-Treffen vielfach den Wunsch nach übergeordneten, wenn nicht gar einheitlichen Standards. Kann es diese geben, oder wäre dies ein zu starker Eingriff in die Freiheit der Lehre an Musikhochschulen? Welche Empfehlungen kann man Bewerber*innen zur erfolgreichen Bewältigung der musiktheoretischen Anforderungen geben? Kann und sollte die GMTH hier als Fachgesellschaft einen Beitrag leisten?

Die Diskussionsrunde soll weitere Denkanstöße zur Auseinandersetzung mit diesen nicht leicht

zu beantwortenden Fragen geben, auch vor dem Hintergrund, dass einerseits Chancen für eine

Verbreiterung des Fachs Musiktheorie im vorhochschulischen Bereich auszuloten sind, und andererseits in Zeiten tiefgreifenden Wandels die Sinnhaftigkeit musiktheoretischer Eignungsprüfungen neuer Begründungen bedarf.

 
14:20 - 14:50Stuttgart 1970, Berlin 2000 – Parallele Aufbrüche der deutschen Musiktheorie?
Christian Groß1,2
1: HMT Leipzig; 2: MH Freiburg
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs
Stichworte: Theoriegeschichte, GMTH, Berlin, Stuttgart, Umbruch

Die Gründung der GMTH 2000 in Berlin und ihr erster Kongress 2001 in Dresden waren von großer Euphorie begleitet, gleichzeitig wurde erstmals grundlegend die jüngere Geschichte des Fachs Musiktheorie im deutschsprachigen Gebiet hinterfragt. So ging Ludwig Holtmeier in seinem Eröffnungsvortrag des Kongresses von 2001 der Frage nach, warum die deutsche Musiktheorie so lange Zeit gebraucht hätte, um ein gemeinsames Diskursformat zu finden, sie habe seit den frühen 1930er Jahren den Austausch gescheut (Holtmeier 2003/05).

Mit dem Abstand von knapp einem Vierteljahrhundert und nach einiger mittlerweile erfolgter Aufarbeitung wird im geplanten Vortrag eine historische Situation aufgezeigt, in der sich vergleichbare Tendenzen fanden: Im Stuttgart der 1970er Jahre hatte es ebenfalls Anzeichen zunehmender musiktheoretischer Vernetzung und Reformen gegeben: Ein Kongress, eine Zeitschrift und Debatten über die Ausrichtung des akademischen Fachs ›Musiktheorie‹ waren Teil der Szenerie jener Jahre. Davon zeugen einige wenige Forschungsbeiträge der jüngeren Zeit (u.a. Huber 2005). Eine ausgesprochen politische Dimension zeichnete die damalige Erscheinung von Musiktheorie zusätzlich aus, vielleicht mehr als heute, zumal aber zur Zeit der Jahrtausendwende.

Im Vortrag werden einige Dimensionen des Stuttgarter Impulses geschildert sowie Parallelen zur GMTH-Gründung und zu heutigen Usancen gezogen. Nach dieser Untersuchung stellen sich diverse Fragen: Was war 2000 wirklich neu? Was konnte von 1970 bis heute überleben? Was kann die heutige deutschsprachige Musiktheorie von der Zeit vor 50 Jahren lernen? Wie konnte es geschehen, dass die Situation um 1970 aus dem Bewusstsein verschwand? Einige vermeintliche Theorie-Neuheiten dieses Jahrtausends stellen sich als bereits früher erprobt heraus, andere dürfen als Errungenschaft jüngerer Zeit gelten. Der Ausflug in die jüngere Geschichte des »geschichtslosen Fachs« soll beide näher in den Blick nehmen und sie klarer als solche benennen.

 
14:20 - 14:50Rhythmisch-energetische Intensivierung. Beobachtungen zur Verlaufsgestaltung klassischer Sonatenexpositionen
Felix Baumann
ZHdK, Schweiz
Ort: Raum 7.139
 
Buchpräsentation
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge
Stichworte: Rhythmische Entwicklung, Rhythmisch-energetische Intensivierung, Rhythmische Transformation, Sonatensatzform, rhythmische Verdichtung

Musikkundigen ist geläufig, dass das Seitenthema einer klassischen Sonatensatzexposition in einer Spannungstonart erfolgt. Weniger oder gar nicht bekannt ist, dass sich zusammen mit der harmonischen Modulation eine rhythmisch-energetische Intensivierung vollzieht, womit der Prozess der Modulation als ein dramatischer wahrgenommen wird.
Diese mit einer inneren Beschleunigung einhergehende Ausdifferenzierung der musikalischen Textur erfährt in vielen Fällen vor dem Erreichen des Expositionsendes eine Zuspitzung. In den musiktheoretischen Schriften wurde der rhythmisch-energetischen Intensivierung bisher wenig Beachtung geschenkt. Immerhin finden sich bei Carl Dahlhaus, James Hepokoski und Warren Darcy sowie bei Charles Rosen Ansätze einer adäquaten Beschreibung, die in der Buchpräsentation ausgeführt und perspektivisch weiterentwickelt werden. Der Beitrag zielt darauf ab, nachvollziehbar zu machen, wie durch die rhythmische Intensivierung die Musik in der Wiener klassischen Sonatenexposition dramatisiert und strukturiert wird, möchte einen Ansatz für Analyse, Interpretation und Diskussion bereitstellen sowie zur eigenen Auseinandersetzung inspirieren.

 
14:20 - 14:50Digitale Edition der "Préludes non mesurés" von Louis Couperin
Niels Pfeffer, Julius Hauth
Universität Tübingen, Deutschland
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge
Stichworte: Digitale Edition, 17. Jahrhundert, Generalbass, Prélude

Im Frankreich des 17. Jahrhunderts begegnen uns zahlreiche unmensuriert notierte Préludes – sogenannte Préludes non mesurés. Prominente Beispiele sind die Cembalo-Préludes von Louis Couperin und Jean-Henri d'Anglebert, aber auch anonyme Préludes liegen, meist handschriftlich überliefert, vor. Sie stellen bereits auf den ersten Blick ein Faszinosum dar: keinerlei Taktstriche finden sich, frei angeordnete Notenköpfe scheinen durch großzügig gezogene Linien zu musikalischen Gesten miteinander verbunden. Das äußere Erscheinungsbild bildet einerseits den quasi-improvisatorischen Gestus der Préludes ab. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich aber, dass hinter der notierten Oberfläche Schichten liegen, die einem Plan und einem harmonisch-kontrapunktisch durchaus regelgerechten Satz folgen.

Wie könnte eine digitale Edition jener Préludes non mesurés aussehen, die versucht jenen Weg vom harmonischen Grundgerüst bis hin zur ornamentalen Oberfläche sichtbar zu machen – und welches Potential entsteht daraus? Wie können Préludes mit ihren von bekannten Konventionen abweichenden Notationsform überhaupt sinnvoll kodiert werden?

In unserer auf dem Format der Music Encoding Initiative (MEI) basierenden Kodierung wird zunächst festgelegt, wie – in der Auffassung der Herausgeber – Töne zu Akkorden und Stimmen zusammengefasst werden können und welche Töne als ornamentale Füllungen dieses Gerüstsatzes aufgefasst werden können. Zugleich wird eine Reihenfolge der Ereignisse festgelegt – so, wie sie in der jeweiligen Handschrift auftreten. Außerdem wird das originale Schriftbild in einer Vektorgrafik (SVG) nachgebildet und Note für Note mit der MEI-Kodierung verknüpft. Damit ist nicht nur ablesbar, wie die Töne ursprünglich angeordnet waren, sondern auch ein kritischer Vergleich mit dem oft mehrdeutigen Schriftbilds möglich.

Mittels eines Viewers ist nun der stufenlose Übergang zwischen Struktur (Formaufbau, harmonische Fortschreitungen) und unmensurierter Notation möglich. Der entwickelte Prototyp – abrufbar unter https://pfefferniels.github.io/digital-louis/ – lässt verschiedene Einsatzmöglichkeiten erahnen, nicht zuletzt als didaktisches Werkzeug im Cembalo-, Generalbass- oder Theorieunterricht. Durch die Möglichkeit, ein Prélude weiter zu reduzieren – auf einen Außenstimmensatz, auf einen bezifferten Bass, auf einen Kadenzplan – ermöglicht die digitale Edition einen spielerischen, improvisierenden Umgang mit den Préludes.

Zum derzeitigen Stand liegt eine Kodierung des Prélude 10 von Louis Couperin vor. Künftig sollen weitere Kodierungen aller 16 Louis Couperin zugeschriebenen Préludes erarbeitet werden.. Geplant ist darüber hinaus eine Anreicherung mit Tonaufnahmen, die auf Notenebene mit den vorhandenen Kodierungen verknüpft werden.

 
14:20 - 14:50Matthis Lussys und Hugo Riemanns Rhythmustheorien und ihr Einfluss auf rhythmusbewegte Musiktheorie um 1900
Maria Hector
Universität der Künste Berlin, Germany
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Rhythmusbewegung, Rhythmustheorie, Psychologie, Matthis Lussy, Hugo Riemann

Matthis Lussys und Hugo Riemanns Rhythmustheorien und ihr Einfluss auf rhythmusbewegte Musiktheorie um 1900

Maria Hector

Um 1900 ist Rhythmus ein Schlüsselbegriff in ästhetischen und pädagogischen Diskursen. Innerhalb der Musikpädagogik trägt insbesondere die rhythmisch-gymnastische Methode des Schweizer Musiktheoretikers und -pädagogen Émile Jacques-Dalcroze wesentlich zur Popularisierung des umgewerteten Begriffes bei. Im Zentrum des Musikverständnisses, welches Jacques-Dalcroze vertrat, steht die Auffassung, dass Rhythmus in erster Linie ein Bewegungsphänomen ist, das sich im Akt der sinnlichen Wahrnehmung vollzieht. Neben Jacques-Dalcroze und anderen Musikpädagogen stellten jedoch auch eine ganze Gruppe von rhythmusbewegten Musiktheoretikern ähnliche Konzepte in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Die Idee, dass Musik psychische Bewegung sei, wurde am konsequentesten von dem Schweizer Musiktheoretiker Ernst Kurth entwickelt.

In meinem Vortrag will ich der Frage nachgehen, auf welche musiktheoretischen Systeme Jacques-Dalcroze und Kurth konkret zurückgreifen. Ein Blick in die Quellenverzeichnisse von Kurths Schriften zeigt, dass der Musiktheoretiker Hugo Riemann am häufigsten zitiert wird. Ttatsächlich ist Riemann der erste im deutschsprachigen Raum, der musikalischen Rhythmus als psychisches Phänomen auffasst (Bayreuther 2016, S. 154). Weniger bekannt dürfte sein, dass Riemann wesentliche Anstöße zu seiner Rhythmustheorie durch Schriften des französischen Theoretikers Matthis Lussy erhalten hat. Letzterer wird wiederum in Jacques-Dalcrozes Schriften als einzige Quelle namentlich ausgewiesen.

Anhand derjenigen Originalschriften, die sich mit Rhythmus befassen, will ich zeigen, (i) auf welche Weise Lussy und Riemann musikalischen Rhythmus in die Psyche des wahrnehmenden Subjekts verlegen und damit eine spezifische Ausdruckstheorie des Rhythmus begründen; (ii) welche Rolle die Hörerfahrungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts dabei spielen; (iii) und welche Möglichkeiten sich dadurch für Jacques-Dalcroze und Kurth eröffnen, Rhythmus und Musik als Bewegung zu definieren.

Literatur

Rainer Bayreuther: “Die Rhythmusbewegung Im Frühen 20. Jahrhundert Und Ihre Grundlegung in Der

Empirischen Ästhetik.” Die Musikforschung 69, no. 2 (2016): S. 143–56

Émile Jaques-Dalcroze: Rhythmus, Musik und Erziehung, Wolfenbüttel 1944

Ernst Kurth: Die Grundlagen des linearen Kontrapunkts: Einführung in Stil und Technik von Bachs

melodischer Polyphonie, Berlin 1916

Ernst Kurth: Musikpsychologie, Berlin 1931

Matthis Lussy: Traité de léxpression musicale – accents, nuances et mouvements, Paris 1874

Hugo Riemann: System der musikalischen Rhythmik und Metrik, Leipzig 1903

 
14:20 - 14:50Musiktheorie und Digitale Transformation oder: Was geht uns das eigentlich an?
Konstantin Bodamer
Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, Deutschland
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Digitale Transformation, Blended Learning, Methodik

Der Vortrag befasst sich mit der Relevanz der Digitalisierung für das Fach Musiktheorie. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass zwar inzwischen zahlreiche innovative digitale Anwendungen existieren. Ein umfassendes methodisches Konzept, das von den spezifischen Bedürfnissen des Faches ausgeht und gleichzeitig die mit dem Einsatz digitaler Hilfsmittel einhergehende Veränderung des Lehrens berücksichtigt, scheint jedoch noch nicht zu existieren.

In einem ersten Schritt soll daher konkret gezeigt werden, welche neuen Unterrichtsmethoden durch die Digitalisierung der Hochschullehre ermöglicht werden. Wichtig ist dabei, kritisch zu hinterfragen, ob digitale Hilfsmittel wirklich zu einer Verbesserung oder Veränderung des Unterrichts führen und welche Blended Learning-Konzepte überhaupt für die besonderen Anforderungen des Musiktheorie-Unterrichts geeignet sind. Anhand einiger konkreter Beispiele für typische Unterrichtssituationen aus den Bereichen Tonsatz, Hörerziehung und Analyse sollen die Einsatzmöglichkeiten und der methodische Hintergrund digitaler Hilfsmittel erläutert werden.

Davon ausgehend wird in einem zweiten Schritt die Notwendigkeit eines grundlegenden methodischen Konzepts digital gestützter Lehre im Fach Musiktheorie diskutiert. Welche Aspekte könnten ein höheres Maß an allgemeiner Verbindlichkeit für das Selbstverständnis des Faches erlangen, als dies bisher der Fall war? Wie könnte ein dazu notwendiger Prozess der Akzeptanz in Gang gebracht werden? Motivieren sollte hier nicht zuletzt die Überlegung, in welches berufliche Umfeld an Musikhochschulen künftige Absolventen des Studiengangs Musiktheorie entlassen werden.

 
14:20 - 14:50Neues Material vs. historische Satztechniken. Klauseln und Kontrapunkt in Thomas Adès' "Traced Overhead"
Sophia Susanne Westenfelder
HMT Rostock, Deutschland
Ort: Raum 11.301
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Thomas Adès, Analysemethode, Neue Musik, Tonale Assoziationen, Satztechnik

In seiner Musik verknüpft Thomas Adès (*1971) serielle Organisationsprinzipien mit an Klauseln erinnernden Stimmführungen und etabliert so eine hintergründige, jedoch hörbare tonale Struktur. Anhand von Auszügen aus Traced Overhead (1996) wird herausgearbeitet, wie Adès durch die Verwendung von Partikeln historischer Satztechniken tonale Anklänge erzeugt, und wie diese multiperspektivisch betrachtet werden können. Jene Anklänge konstituieren sich beispielsweise im Aufeinandertreffen von Akkorden, deren verbindende Stimmführung Adès häufig durch Klauseln, Klauselvarianten, bzw. kontrapunktischen Stimmführungsrelikten der Common Practice Period gestaltet, bzw. anreichert. Beispielsweise Aetheria, der zweite Satz von Traced Overhead, ist durch auf Terzschichtungen beruhenden Akkordverbindungen geprägt, die nur teils funktional interpretierbar sind. Selbst bei nicht-funktionalen Verbindungen finden sich Stimmführungen, in denen sich etwa eine Dur-Terz gleich einer Sopranklausel nach oben bewegt, oder eine Septime sekundweise abwärts weitergeführt wird.

Unterschiedliche Forschungen zu Adès' Musik beziehen sich bereits auf derartige stimmführungstechnische Aspekte, heben bisher jedoch ausschließlich deren serielle Struktur hervor. Philip Stoecker (2014, 2016) interpretiert diese Satztechnik im Kontext von „Aligned Cycles“, John Roeder (2021) interpretiert bestimmte Strukturen als Sequenzierung unterschiedlicher Permutationen einer Keimzelle. Eine solche Keimzelle besteht laut Roeder aus einer Quinte und einer kleinen Terz, die durch einen Halbtonschritt und ein Quartintervall miteinander verbunden sind. (Er nutzt das Akronym „RICH“ für „retrograde-inversion-chain“.) Obwohl die Ansätze von Stoecker und Roeder wichtige strukturelle Aspekte hervorheben, bilden sie die hörbaren tonalen Anklänge in Adès' Musik nicht adäquat ab.

Zu Beginn des Vortrags wird zuerst anhand von Beispielen demonstriert, wie sich die erwähnte hintergründige Tonalität in Adès‘ Werken klanglich manifestiert. Anschließend wird kurz anhand ausgewählter Passagen die Prinzipien der „RICH“-Intervallkerne und „Aligned Cycles“ vorgestellt, bevor sich der Rest des Vortrags auf die Betrachtung der klangprägenden Klauseln und kontrapunktischen Verbindungen konzentriert. Der Vortrag wird neben der Analyse auch einen methodischen Ansatz zur Untersuchung dieser Satztechniken erörtern. Hierbei werden Analysemethoden zur Hervorhebung serieller Aspekte angewendet, jedoch durch die Analyse von Stimmbewegungen innerhalb der Akkordstrukturen ergänzt, um ihre Bedeutung für den Klang zu erfassen. Die vorgestellte Methodik lädt zur weiteren Anwendung bezüglich Musik ein, die trotz serieller oder anderer generativer Organisationsprinzipien charakteristische tonale Implikationen erzeugt, die bei der Analyse Berücksichtigung finden sollen.

 
15:00 - 15:30Struktur ohne Noten? Zur Relevanz des ›performative turn‹ für die Musiktheorie
Kilian Sprau
Universität der Künste Berlin, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Belcanto, Fachdidaktik Musiktheorie, Interpretationsforschung/Performance Studies, Musikanalyse, Popularmusik

1992 forderte Hermann Danuser im Neuen Handbuch der Musikwissenschaft (Bd. 11: Musikalische Interpretation) dazu auf, die künstlerische Leistung von Interpret*innen bei der Klangrealisation musikalischer Werke systematisch in die Musikanalyse einzubeziehen. Damit erwies sich die Musikforschung als bereit für den ›performative turn‹, der Geistes- und Sozialwissenschaften in den 1990er-Jahren grundsätzlich prägen sollte (vgl. Jost 2013). Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich in der Folge die musikalische Interpretationsforschung, als deren angloamerikanisches Pendant etablierten sich die musikalischen ›Performance Studies‹. Letztere vollzogen, stärker noch als der deutschsprachige Diskurs, eine Absetzbewegung von traditionellen Verfahren der akademischen Musikanalyse: Die reine Notentextanalyse erfuhr Kritik als lediglich ›platonische‹ Bezugnahme auf den Gegenstand Musik (Cook 2013, 8–32). Emphatisch propagierten Performance Studies stattdessen analytische Ansätze, die auf das Musizierverhalten von Interpret*innen in konkreten performativen Kontexten, auch unabhängig von den Vorgaben der Partitur, abzielten (Leech-Wilkinson 2009). Die Musiktheorie hat auf diese Entwicklung in Publizistik und Forschung reagiert, prominent etwa in Themenausgaben der ZGMTH (Themenheft »Analyse und Aufführung« 2017/1; Sonderausgabe »Musikalische Interpretation als Analyse« 2021). Damit sind entscheidende Wegmarken gesetzt, doch bleibt weiterhin Diskussionsbedarf. Welche Relevanz hat der ›performative turn‹ für das Fach Musiktheorie? Inwieweit lassen sich traditionelle musiktheoretische Denkfiguren und Kategorien auf Nichtnotiertes und Nichtnotierbares übertragen? Inwieweit zielen sie andererseits schon immer auf Musik im Sinne eines performativen Ereignisses? Der Vortrag erprobt diese Gedankengänge mit Bezug auf drei stilistische Kontexte, in denen das Notat gegenüber der musikalischen Aufführung eine ostentativ sekundäre Funktion übernimmt: die Belcanto-Oper des 19. Jahrhunderts, den American Popular Song vor 1950 und den Popsong des späteren 20. und 21. Jahrhunderts. Er plädiert für eine Musikanalyse, die performative Entscheidungen von Musizierenden ebenso als Komponenten struktureller Zusammenhänge auffasst wie traditionell notierbare Elemente von Musik, und diskutiert Möglichkeiten, diese Art von Analyse in musiktheoretische Curricula zu integrieren.

Literatur: Danuser, H. (Hg.) (1992), Musikalische Interpretation (NHdMw 11), Laaber, 1–72 • Jost, Ch. (2013), »Der ›performative turn‹ in der Musikforschung«, Musiktheorie 28/4, 291–309 • Cook, N. (2013), Beyond the Score, Oxford • Leech-Wilkinson, D. (2009), The Changing Sound of Music, London

 
15:00 - 15:30the time is out of joint. Transkomposition und Anachronismus im Werk von Johannes Schöllhorn
Benjamin Lang
Hochschule für Musik und Theater Rostock, Deutschland
Ort: Raum 7.139
 
Buchpräsentation
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Anachronismus, Bearbeitung, Komposition, Transkomposition

Im Rahmen dieser musikanalytischen Annäherung an die Transkompositionen des deutschen Komponisten Johannes Schöllhorn wird offengelegt, wie er die ursprüngliche Tonsatzstruktur der historischen Vorlagen mittels Bearbeitungs- bzw. Instrumentationstechniken erweitert und in eine zeitgenössische Klangwelt überführt. Im Zentrum der vorliegenden Musikanalysen stehen die Werke Anamorphoses (2001–04) und Dias, koloriert (2010), denen J. S. Bachs Die Kunst der Fuge zugrunde liegt, zudem das Klavierkonzert clouds and sky (2010), eine Bearbeitung von Gabriel Faurés Nocturne op. 107 Nr. 12, und «va» d’après Jules Massenet – Expressions lyriques (2016). In diesen Kompositionen verdeutlicht sich die Verschmelzung von historischer Vorlage und zeitgenössischem Komponieren zur Transkomposition. Dabei nähert sich Schöllhorn den Werken der Vergangenheit nicht mit dem Versuch einer musikhistorisch adäquaten Betrachtungsweise, sondern er sucht in diesen nach kompositorischen Potenzialen für die Gegenwart.

Das Buch beschäftigt sich darüber hinaus mit dem Begriff der Transkomposition und gibt einen historischen Überblick zu schöpferischen Auseinandersetzungen mit historischen Vorlagen.

 
15:00 - 15:30Rossinian Closure, Begging Cadences, and the “Turkish” Finale of Beethoven’s Symphony No. 9
Matthew Boyle
United States of America
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge
Stichworte: Beethoven, Rossini, Topic Theory, Schema Theory, Anxiety of Influence

In 2013, the musicologist Nicholas Mathew invited modern listeners to rehear Beethoven’s Ninth Symphony with ears attuned to the conventions of Italian opera. The operas Mathew had in mind were those by Rossini, a composer whose works were paired with Beethoven’s in both concert programs and critical discourse during the early decades of the nineteenth century (Mathew 2013, Walton 2007). This presentation responds to Mathew’s call. It develops a close reading of one passage from the finale of the Ninth, its concluding prestissimo, by engaging with it as an operatic stretta.

This framing invites hearing sections of the alla turca-inflected prestissimo in dialogue with a musical convention associated with Rossini’s act-ending rhetoric: the cadenza felicità schema (Jacobson 2022, Boyle 2020, Pagannone 1997). In its most typical form, the felicità contains three cadential phrases of increasingly shorter length. The initial, longer stage was characterized by loud orchestration, shrill timbres, and chromatic harmonies. Nineteenth-century listeners recognized these as applause-securing ploys, sometimes mockingly calling the felicità a Bettelcadenz (begging cadence). Beethoven’s finale modifies the felicità by presenting only a series of paired phrases that resemble its first section, with subsequent modules introducing increasingly agitated musical features.

The earliest critical accounts of the Ninth indicate a mixed audience reception. Perhaps Beethoven’s unorthodox modifications bewildered the audiences of its earliest performances by disrupting the interactive script of the felicità. Beethoven’s altered felicità consequently offers a case study for how schemata mediate social, affective, and musical experiences.

 
15:00 - 15:30,,Mein Gott, wie viele Regeln!’’ -Tschaikowsky’s Ansichten zur Harmonielehre
Jakob Kasakowski
Hochschule für Musik Saar, Deutschland
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Harmonielehre, Tschaikowsky, Osteuropa, Generalbass, Funktionstheorie

Die Harmonielehren von Peter Tschaikowsky und Nikolai Rimsky-Korsakow bieten einen aufschlussreichen Einblick in die Entwicklung der Musiktheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Tschaikowsky, der viele Jahre als Musiktheorieprofessor am Moskauer Konservatorium tätig war, verfasste 1871 die erste russischsprachige Harmonielehre, die stark an das Werk von Ernst Friedrich Richter angelehnt war und auf Generalbassübungen setzte. Im Gegensatz dazu entwickelte Rimsky-Korsakow 1885 eine eigene Harmonielehre, die neue pädagogische Ansätze und eine systematische Theoriebildung betonte, wobei er einen proto-funktionstheoretischen Ansatz verwendete.

Ein zentrales Anliegen dieses Vortrags ist es, den Übergang der Harmonielehre von einer traditionellen pragmatischen Kompositionspropädeutik zu einer systematischen und methodischen Theoriebildung in der russischsprachigen Musiktheorie des späten 19.Jahrhunderts aufzuzeigen. Tschaikowskys Harmonielehre zielte nach eigener Aussage darauf ab, praktische Anweisungen für angehende Komponisten zu geben, ohne tief in theoretische Überlegungen einzutauchen. Rimsky-Korsakov kritisierte Tschaikowskys mangelnde Systematik und strebte nach einer umfassenderen und methodischeren Struktur für die Harmonielehre. Dieser Paradigmenwechsel wird durch die Analyse von Originaldokumenten, darunter Tschaikowskys Kommentaren zu Rimsky-Korsakows Harmonielehre und der Briefwechsel zwischen den beiden Komponisten, illustriert.

Besonders hervorzuheben sind hierbei die handschriftlichen Kommentare Tschaikowskys in seinem Exemplar von Rimsky-Korsakows Harmonielehre, die bisher nur in russischer Sprache zugänglich waren und im Rahmen des Beitrags erstmals ins Deutsche übersetzt wurden. Diese Kommentare beleuchten Tschaikowskys kritischen Blick auf Rimsky-Korsakows Werk und seine eigenen Vorstellungen zur musiktheoretischen Ausbildung.

Durch die Analyse dieser Harmonielehren und ihrer historischen Kontextualisierung im Vergleich zu westeuropäischen Einflüssen wie Adolf Bernhard Marx und Moritz Hauptmann wird verdeutlicht, wie sich die russischsprachige Musiktheorie im Fin de siècle sowohl inhaltlich als auch methodisch weiterentwickelte. Der Vortrag trägt somit zum Verständnis der vielfältigen Strömungen und Innovationen in der Musiktheorie dieser Epoche bei und zeigt auf, wie diese Entwicklungen die theoretische Ausbildung von Musikern und Komponisten nachhaltig beeinflussten.

 
15:00 - 15:30Das ›Klavierlabor‹. Ein Unterrichtsmodell zwischen Innovation und Sparmaßnahme
Marius Barendt
Hochschule für Musik Freiburg, Hochschule für Musik Basel FHNW
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre, Freie Beiträge
Stichworte: Klavierpraxis, Lehrformate, Innovation

Die Idee eines Gruppenunterrichts am Klavier ist nicht neu. Im US-amerikanischen Raum hat das ›Class Piano‹ einen festen Platz in der Hochschulausbildung und schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es europaweit verbreitete Unterrichtsangebote, bei denen Klavierspiel in Gruppen unterrichtet wurde. Johann Bernhard Logier entwickelte eine ganze „Methode“ und exportierte diese recht erfolgreich auch nach Preußen, wo beispielsweise Carl Loewe am Stettiner Seminar darauf setzte, „mehrere Schüler auf verschiedenen Instrumenten zugleich zu unterrichten“. Die wirtschaftlichen Vorteile liegen auf der Hand. In der heutigen deutschsprachigen Hochschulausbildung spielt das Konzept jedoch so gut wie keine Rolle. Zu Unrecht?

Im Zuge der Wiederentdeckung der Partimento-Tradition hat die Klavierpraxis in der musiktheoretischen Ausbildung an Hochschulen eine prominentere Rolle eingenommen. Gleichzeitig ermöglichen Technisierung und Digitalisierung neue Formate in der Lehre. An der Hochschule für Musik Basel wurde daher im Rahmen eines Lehrfondsprojekts zum Herbstsemester 2023/24 ein Unterrichtsraum (genannt ›Klavierlabor‹) mit neun vernetzten Digitalpianos eingerichtet, der einen kollaborativen Gruppenunterricht am Klavier ermöglicht. Genutzt wird das Setting derzeit für das Nebenfach ›unterrichtspraktisches Klavierspiel‹ im Master Musikpädagogik sowie für den Tonsatzunterricht.

In diesem Vortrag sollen einerseits der technische Aufbau und die damit verbundenen Einsatzmöglichkeiten des Klavierlabors vorgestellt werden, andererseits sollen die bisherigen Erfahrungen mit dem Modell thematisiert und zudem Potenziale und Grenzen diskutiert werden.

 
15:00 - 15:30Formanalyse bei intermedialer Werkkonstellation: Ein Versuch am Beispiel von Claudia Molitors "You touched the twinkle on the helix of my ear" (2018)
Julia Freund
Universität Hamburg, Deutschland
Ort: Raum 11.301
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Analyse; Intermedialität; Notation; Neue Musik; Musik des 21. Jahrhunderts

Dieser Beitrag widmet sich der Analyse von Claudia Molitors You touched the twinkle on the helix of my ear for solo piano with video (2018). Die intermediale Komposition verbindet drei phänomenologisch voneinander unterscheidbare Ebenen, die in ein Spiel der Bezugnahmen zueinander treten: a) die musikalisch-performativen Aktionen des Pianisten auf der Bühne, b) einen vorab aufgenommenen Film, der sichtbar für das Publikum auf eine Leinwand projiziert wird, sowie c) elektronische Zuspielungen vom Band. Von besonderem Interesse ist dabei, dass im Video verschiedene Formen musikalischer Notationen (z.B. Fünfliniennotation, graphische Notationen, auch Notationsanspielungen) bzw. musikalischen Schreibens (d.h. als zeitlicher Vorgang) zu sehen sind. Diese ‚Filmnotation‘, die mit der tatsächlichen Partitur des Pianisten nicht identisch ist, jedoch in der Werkkonstellation als mediale Dopplung des Klanglich-Performativen in Erscheinung tritt, lässt sich sowohl mit der elektronischen als auch der instrumentalen Klangschicht in Verbindung bringen. Der Beitrag geht der Frage nach, wie die verschiedenen medialen Schichten miteinander verknüpft werden, und legt dabei insbesondere dar, welche Funktionen die ‚Filmnotation‘ in den jeweiligen formalen Abschnitten des Stücks einnimmt und inwiefern sie selbst an der Formbildung beteiligt ist.

 
15:15 - 16:15Dialog mit der KI: Der „Musik-Automat“ für historische Stile (Workshop, 60')
Jörn Arnecke
Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar, Deutschland
Ort: Raum 11.318
 
Workshop
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: KI, Stil, generieren, Didaktik, erfinden

Seit Herbst 2023 entsteht durch eine Förderung des Stifterverbands ein „Musik-Automat“, der für den Einsatz im Hochschulunterricht gedacht ist: Diese KI-Anwendung imitiert historische Stile und soll es den Nutzer*innen erlauben, mit ihr in einen Dialog einzutreten. Per Auswahlmenü in einer Browser-Anwendung können verschiedene Komponisten und Gattungen eingegeben werden sowie Tonart und Taktart. Hierdurch werden Werkausschnitte für Klavier generiert. Diese lassen sich als xml-Datei herunterladen und können so weiterbearbeitet werden. Anregt von den Ideen der KI, können die Nutzer*innen dem Stück z.B. einen neuen Anfang geben oder es weiterschreiben und formen. Der „Musik-Automat“ greift damit spielerisch zwei Kernbereiche der Lehre auf und macht sie kreativ nutzbar: das Erfinden von musikalischen Ansätzen und das Entwickeln vorhandener Ideen.

Im Workshop soll der „Musik-Automat“ zunächst demonstriert und erprobt werden. Hierdurch wird der Rahmen dessen, was die Anwendung zu leisten vermag, abgesteckt und erläutert. Die Teilnehmenden erhalten daraufhin Zeit, selbstständig mit dem „Musik-Automaten“ zu arbeiten und sich untereinander darüber auszutauschen. Gerade Ergebnisse, die nicht perfekt sind, laden dazu ein, über „Stil“ zu diskutieren: Was kennzeichnet die Komponisten, die imitiert werden sollen? Welche KI-Takte sind gelungen, welche fehlerhaft, welche schweifen ab? Was kann der Mensch besser? Und wie lässt sich dieses neue Werkzeug im Unterricht einsetzen - für verschiedene Niveaus (Haupt- und Nebenfach) und für unterschiedliche Themen? Eignen sich eigentlich eher große Namen für einen solchen Zugang oder besser die weniger bekannten wie Carl Czerny oder Muzio Clementi, von denen ebenfalls viele Trainingsdaten für die KI vorliegen und die als recht standardisiert vorgehende Komponisten eingestuft werden?

Diese Diskussionen sollen dazu führen, die Herausforderungen der KI für die Musiktheorie, aber auch die inhaltlichen Perspektiven und die didaktischen Chancen zu bündeln – ausgehend vom Beispiel des „Musik-Automaten“. Dadurch, dass dieser sich noch in der Entwicklung befindet, bietet sich zudem die Möglichkeit, den weiteren Gestaltungsprozess ggf. neu zu justieren und gemeinsam weitere Anwendungsformen zu erörtern.

Technische Voraussetzungen für eine aktive Teilnahme sind ein Laptop mit Internet-Zugang und eine installierte Notations-Software (z.B. MuseScore) zur Verwendung und Bearbeitung der xml-Dateien.

 
15:40 - 16:10Generative Künstliche Intelligenz als Paradigmenwechsel in der Musik?
Immanuel Ott
Hochschule für Musik Mainz, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre

Die neuesten Entwicklungen sogenannter »generativer KI« haben nach der Produktion von Texten (bspw. ChatGPT, Gemini) und Bildern (Dall-E, Midjourney) nun auch Musik erfasst: Musik kann nach der Eingabe von sogenannten »Prompts« automatisch in zahllosen Stilen erzeugt werden. Damit werden traditionelle Maßstäbe von Authentizität und künstlerischer Ernsthaftigkeit in Frage gestellt. Der Beitrag geht deshalb einerseits der Frage nach, inwiefern die musikalischen Produkte dieser Softwares im Kontext einer dem modularen Denken verpflichteten Musiktheorie zu bewerten sind, welche Probleme sie lösen und welche sie aufwerfen, andererseits wird dargestellt, welche Musik von den Nutzer:innen mit diesen Softwares erzeugt wird.

 
15:40 - 16:10Theorizing Jazz Improvisation through Historical Voices
Keith Waters1, Brian Levy2
1: University of Colorado Boulder, United States of America; 2: San Diego State University
Ort: Raum 7.139
 
Buchpräsentation
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: jazz theory, jazz improvisation, bebop, linear construction

Book Presentation (30 Minutes) Abstract

Our book, Learning Jazz Improvisation through Historical Voices: Roles, Rhythms, and Routines, forthcoming with Oxford University Press, presents an approach to improvisation through historical voices. In contrast to mainstream theoretical approaches based on chord-scale and harmonic theories, authors Brian Levy and Keith Waters develop methods for listening and developing melodic and rhythmic vocabulary. We present two chapters from the book that theorize an idiomatic bebop jazz vocabulary.

Chapter 6. Descending Pathways and Underlying Thirds regards Charlie Parker’s solo on “Move,” an extended improvisation. In it, Parker fashions even one of his most inspired performances out of a limited vocabulary of melodic ideas. We emphasize a melodic (rather than a harmonic) perspective on Parker’s lines, and use a short excerpt from the beginning of the solo as a prototype line. This line reveals common patterns and subtle variations elsewhere in the solo, providing an efficient way to learn idiomatic bebop vocabulary and to gain fluency. The sheer quantity of repetition in such an inspired solo as Parker’s solo on “Move,” challenges our intuition—it suggests that Parker’s spontaneity relies on similar melodic pathways, ones freely revisited.

Chapter 7. Techniques for Connecting and Expanding Melodies illustrates how lines shape and elaborate chains of melodic thirds. We focus on five common techniques for expanding descending lines and underlying chains of thirds, using written and performance exercises for each. These techniques help shape lines that sound like those of Parker, Sonny Rollins, Bud Powell, Clifford Brown, and others, lines that form the basic fabric of bebop vocabulary. Finally, we use the underlying thirds to see how lines and harmonies are complementary: the underlying thirds can imply harmonies. Or to put it in a slightly different way, there is a reciprocal relationship: lines arpeggiate chords (in time) and chords abstractly represent (out of time) those arpeggiations.

 
15:40 - 16:10Molltöne und Molltheorien bei Brahms. Analyseperspektiven der Neo-Riemannian Theory für den Kopfsatz des Klaviertrios op. 101
Julian Caskel
Folkwang Universität der Künste, Deutschland
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Harmonischer Dualismus; Fin de siècle; Johannes Brahms; Kadentheorie; Molltheorie

Die »dualistische Molltheorie« bleibt eine der umstrittensten bzw. wenig nachhaltigen Konzeptionen aus der Musiktheorie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Kontroversen, die ein dualistisches Mollverständnis auf sich zog, verweisen auf grundlegende Spannungen der Musiktheorie im Fin de siècle. Insbesondere betrifft dies eine Spaltung teils auch innerhalb einzelner Theorien in empirisch-naturwissenschaftliche Methoden (bzw. Messungen) und einen deduktiven Systemanspruch.

Eine analytische Anwendung der dualistischen Mollauffassung auf einzelne Kompositionen bleibt in der Neo-Riemannian-Theory umstritten. Der Kopfsatz des Klaviertrios Opus 101 von Brahms bietet hierzu ein besonders interessantes Beispiel, weil der – was in diesem Kontext bereits relevant ist – aufsteigende Molldreiklang als motivische Grundlage für Sequenz- und Symmetriebildungen genutzt wird. Einzelne Bausteine einer dualistischen Mollauffassung sind in der Komposition beobachtbar (Unterseptimenakkorde, plagale Kadenzwendungen, symmetrische Akkordbildungen). Eine erste Prämisse lautet demzufolge, dass der zeitgenössische musiktheoretische Hintergrund auch für Kompositionen des späten 19. Jahrhunderts verstärkt berücksichtigt werden sollte. Eine zweite Prämisse muss jedoch festhalten, dass die kompositorischen Lösungen von Brahms in auffälliger Weise den dualistischen Theorien gerade nicht entsprechen. Der Abgleich mit eigenen Satzmodellen in rein »phonischem« Moll bei Arthur von Oettingen erweist sich hier als ebenso erhellend wie der Einbezug des Gegensatzes von »Dominante sein« und »Dominante haben« bei Moritz Hauptmann.

Es ist weder davon auszugehen, dass im Sinne einer Kongruenz die Komposition von Brahms als direkte Antwort oder gar als intendierte Rezeption der (teils zeitgleich debattierten) Molltheorien betrachtet werden kann; noch erscheint eine vollständige Kontingenz als befriedigende Erklärung, in denen diese Kontroverse und die Komposition vollständig getrennt wären. Vielmehr wird eine partielle Konvergenz zwischen Theorie und Praxis vorgeschlagen: Am Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sich Herausforderungen sowohl der theoretischen Systeme wie der Sonatenformen, auf die mit ähnlichen Mitteln reagiert würde (insbesondere Rekombinationen und Permutationen der üblichen Kadenz- und Formmodelle). Für eine solche Rekonstruktion aber eignet sich die (späte) Musik von Johannes Brahms durch die musikhistorischen Kenntnisse und Interessen des Komponisten in besonderer Weise.

 
15:40 - 16:10Lateness und Abstraktion – Kombinatorischer Kontrapunkt im späten 19. Jahrhundert
Ariane Jeßulat
Universität der Künste Berlin
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle, Freie Beiträge
Stichworte: Musiktheorie des 19. Jahrhunderts, Historismus, Lateness, Johannes Brahms, Kontrapunkt

Während die romantische Bach-Rezeption als integrales Merkmal des 19. Jahrhunderts ein ganz eigenes Referenzsystem ausgebildet hat, ist eine theoretische Aufarbeitung oder kreative Auseinandersetzung mit der Musik des 17. Jahrhunderts zur selben Zeit schwieriger zu fassen, sowohl in ihrer Wirkung auf das Komponieren als auch auf die Artikulation von Musiktheorie. Während Moritz Hauptmann in seiner Einleitung zu August Klengels Canons und Fugen (1854) dem „streng-polyphonischen Ausdruck“ eine Zeitlosigkeit zuschreibt, diesen aber klar auf Johann Sebastian Bachs Kontrapunkt bezieht, hatte die Polyphonie des 17. Jahrhunderts diese Wirkung auf den ersten Blick nicht: Cantus firmus-Satz und andere Formen obligaten Kontrapunkts wie die Arbeit mit obblighi, soggetti und perfidie werden nur lückenhaft im Kontext der Fux´schen Gattungslehre tradiert. Als Stileigentümlichkeit von Ricercarfugen werden sie eher museal und historisch gebunden in einem meist kirchenmusikalischen Kanon archiviert oder als Historismen verwendet. Während einschlägige romantische Kontrapunktlehren wie der Contrapunkt von Heinrich Bellermann den Ursprung strengen kontrapunktischen Satzes in vokaler Komposition sehen, geht es in diesem Beitrag darum, das Weiterleben des contrapunctus artificiosus – wie ihn z.B. Angelo Berardi im 17. Jahrhundert lehrt – im instrumentalen Idiom des 19. Jahrhunderts nachzuweisen, wo diese Arbeit allerdings durch Transformationen von Rhythmus, Register und Klangfarbe so versteckt sein kann, dass von „soggetti cavati“ gesprochen werden muss. Vor allem an Beispielen von Johannes Brahms wird gezeigt, wie kontrapunktische Phänomene, die in der Regel als „abstrakt“ verstanden oder mit dem Terminus „Lateness“ im Sinne von „Spätstil“, aber auch von „zu spät sein“ belegt werden, ein formelhaftes Komponieren des frühen Barock zum Teil ganz explizit aufgreifen und gleichzeitig reihenbasiertes Komponieren im 20. Jahrhundert vorbereiten. Instrumentation und Registrierung sind dabei keine weichen Parameter sondern für die Struktur wesentlich. Ein Rückbezug auf die Kontrapunktlehren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt schließlich die Hypothese zu, dass der dort vorherrschende Begriff von Strenge mehr von dieser romantischen Kombinatorik herrührt als von der Musik des frühen Barock.

 
15:40 - 16:10The Development Section in Recent Formenlehre Treatises
Laurence Sinclair Willis
Kunstuniversität Graz, Austria
Ort: Raum 11.301
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Formenlehre, Sonata Theory, William E. Caplin, Development Section

One of the most challenging aspects of sonata form for Formenlehre theories is the development section: this part is often the most generically malleable and is difficult to describe according to commonly employed formal schemas. This paper investigates a variety of recent theories of form and particularly how they handle this schematically difficult space, via the example of Beethoven’s Symphony No. 2. I directly compare North American theories such as William E. Caplin’s (deriving from Schoenbergian Formenlehre; Classical Form 1998) and James Hepokoski’s (A Sonata Theory Handbook 2021) with German-language theories of Felix Diergarten and Markus Neuwirth (Formenlehre 2019), and Clemens Kühn (Formenlehre 1987). These indicative examples point the way towards a comparison of the approaches taken across different geographical locations and timeframes, sketching a history over the last 40 years.

After establishing some of the key features of Beethoven’s development (minor mode main theme materials; stepwise sequence and liquidation; prominent mid-development pause; subordinate theme materials; and home key dominant ending harmony after transformation from V of iii), I explore the section further through analysis: a published analysis from Hepokoski, a recreated analysis in the style of William E. Caplin, and a survey of comments by Diergarten/Neuwirth and Kühn on Durchführung in general. I highlight how Hepokoski’s and Caplin’s hearings produce superficially different, but ultimately reconcilable understandings of the development. The German approaches to Durchführung leave more room for interpretive freedom, particularly the viewpoint of Kühn.

The value of the development section in investigating Formenlehre is the degree to which various commentators disagree about the significance of certain features: Caplin places almost his entire emphasis on the sequencing as part of the “developmental core” and the ending dominant; Hepokoski describes a “rotation” of motivic and thematic materials ultimately arising in response to the exposition; Diergarten/Neuwirth describe developments through a group of compositional possibilities that intersect with both Caplin and Hepokoski; and Kühn contrasts model and idea with analysis that emphasizes the various tonal stations of the development. Comparing these approaches, it becomes clear that the development section encourages and sustains a range of emphases and logical explanations.

 
16:10 - 16:40Kaffeepause
Ort: Mensa Campus Sachsendorf
16:40 - 17:10»Denkende Organisten statt mechanische Ziffernspieler!« Zur Lehrtradition der Prager Orgelschule
Philipp Zocha
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Hochschule für Musik Freiburg, Deutschland
Ort: Raum 7.139
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Partimento, Prager Orgelschule, Carl Franz Pitsch, Kontrapunkt, Musiktheorie im 19. Jahrhundert

Carl Franz Pitsch (1786–1858) wurde von seinen Zeitgenossen nicht selten als der letzte große Bewahrer der kontrapunktischen Orgelkunst in Prag beschrieben. Bis zu seinem Tod gestaltete und prägte er als Organist, Lehrer und Direktor der Orgelschule das Prager Musikleben entscheidend. Obwohl die Prager Orgelschule bis zu ihrer Zusammenlegung mit dem Prager Konservatorium im Jahr 1890 die vorrangige Adresse für eine höhere Ausbildung in Harmonielehre und Kontrapunkt und damit auch der Komposition in Prag war, steht deren Wahrnehmung bis heute hinter der Strahlkraft namhafterer Ausbildungsinstitute zurück.

Anhand der von Pitsch für die Ausbildung an der Orgelschule in Druck gegebenen Kompositionen und Übungen lässt sich nicht nur die ästhetische Ausrichtung der Schule sondern auch die Unterrichtsmethodik und kontrapunktische Lehrtradition rekonstruieren. Neben einer spezifischen Adaption der Partimentotradition nutzte Pitsch den Generalbass in Kombination mit einer Stufentheorie auch als analytisches Instrument zur Schulung harmonischen Denkens. Zudem zeigen die im Kontext der Prager Orgelschule veröffentlichten Übungen, Präludien- und Fugensammlungen ein Interesse an J.S. Bachs Kompositionen auf der einen und auf der anderen Seite eine deutlich ausgeprägte Tendenz, eine eigene Prager Kontrapunkttradition zu bewahren. Dass Pitsch ein gefragter Lehrer und fähiger Direktor war, belegen neben dem positiven Echo, das die öffentlichen Prüfungskonzerte während seiner Tätigkeit an der Orgelschule fanden, auch die konstant hohen Schülerzahlen der Orgelschule, unter deren Absolventen sich namhafte Komponisten wie Josef Bohuslav Foerster, Wilhelm Mayer-Rémy, Antonín Dvořák und Leoš Janáček befanden.

Nach einer Vorstellung der gedruckten Übungen und Orgelwerke soll erörtert werden, wie das Spielen und Analysieren bezifferter Bässe an der Prager Orgelschule genutzt wurde, um kontrapunktisches und harmonisches Denken zu schulen und darüber hinaus satztechnische und ästhetische Impulse für das eigenständige Improvisieren und Komponieren zu liefern.

 
16:40 - 17:10Filmmusikalische Topologien und ihr Nutzen zur Erforschung von Rezeptionsästhetik - am Beispiel der filmmusikalischen Charakterisierung von Hauptschreckensschauplätzen
Susanne Hardt
Hochschule für Musik Carl-Maria von Weber Dresden, Deutschland
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge

In aktuellen Filmen sind immer häufiger filmübergreifend genutzte Gestaltungskonstellationen aus vergleichbarem musikalischen, visuellen und dramaturgischen Design zu beobachten (“Filmmusikalische Topologien”). Filmkomponisten ist dieses Phänomen bekannt (siehe bspw. Schneider 2011, Kümpel 2008), jedoch fehlt es bislang an einem Forschungszweig, der diese Zusammenhänge findet, beschreibt und weiterführend untersucht (siehe u.a. Murphy 2013).

Im Vortrag wird am konkreten Beispiel der filmmusikalischen Topologie zur Charakterisierung von Hauptschreckensschauplätzen aufgezeigt, welche fachbereichsübergreifenden Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns die Erforschung dieses gestalterischen Phänomens bietet: Dazu wird zunächst kurz die angewandte analytisch-empirische Methode zur Erforschung solcher Gestaltungskonstellationen vorgestellt, sowie ein Überblick über mögliche industrielle (siehe u.a. Erdmann & Becce 1927, Lissa 1965, Gervink & Bückle 2012) und rezeptionelle (siehe u.a. Marshall & Cohen 1988, Lehmann 1994, Gabrielsson & Lindström 2010) Hintergründe der Entstehung derselben gegeben. Anschließend wird anhand der Ergebnisse einer empirischen Untersuchung basierend auf der GEMS (Zentner et al. 2008) zu den musikevozierten Emotionen jener musikalischen Gestaltung außerhalb des Filmkontextes das Potenzial filmmusikalischer Topologien zur stärkeren Verknüpfung musiktheoretischer und musikpsychologischer Erkenntnisse erörtert.

Literatur

Erdmann, H., & Becce, G. (1927). Allgemeines Handbuch der Film-Musik. Schlesinger and Lienau.

Gabrielsson, A., & Lindström, E. (2010). The role of structure in the musical expression of emotions. In Handbook of music and emotion: Theory, research, applications (S. 367–400). Oxford University Press.

Gervink, M., & Bückle, M. (2012). Lexikon der Filmmusik: Personen, Sachbegriffe zu Theorie und Praxis, Genres. Laaber-Verlag.

Kümpel, P. (2008). Filmmusik in der Praxis. Komponieren–Produzieren–Verkaufen. PPVMedian GmbH.

Lehmann, A. C. (1994). Habituelle und situative Rezeptionsweisen beim Musikhören: Eine einstellungstheoretische Untersuchung (Bd. 600). Lang.

Lissa, Z. (1965). Ästhetik der Filmmusik. Henschelverlag.

Marshall, S. K., & Cohen, A. J. (1988). Effects of musical soundtracks on attitudes toward animated geometric figures. Music Perception, 6(1), 95–112. https://doi.org/10.2307/40285417

Murphy, S. (2013). Transformational Theory and the Analysis of Film Music. In The Oxford Handbook of Film Music Studies (S. 471–499). Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780195328493.013.019

Schneider, E. (2005). Komponieren für Film und Fernsehen: Ein Handbuch (4. Auflage 2011). Schott Musik GmbH & Co KG.

Zentner, M., Grandjean, D., & Scherer, K. R. (2008). Emotions evoked by the sound of music: Characterization, classification, and measurement. Emotion, 8.4, 494–521. https://psycnet.apa.org/doi/10.1037/1528-3542.8.4.494

 
16:40 - 17:10Dramaturgie von Form und Virtuosität in der unvollendeten "Fantasie über Themen aus Figaros Hochzeit und Don Juan von Mozart" von Franz Liszt
Franz Kaern-Biederstedt
HMT Leipzig, Deutschland
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle, Freie Beiträge
Stichworte: Franz Liszt, Musik über Musik, Form, Virtuosität, Originalität

Einen nicht unerheblichen Teil des kompositorischen Schaffens von Franz Liszt machen Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten aus, sei es in Form von Transkriptionen, Fantasien, Paraphrasen oder Variationen. Es gab wohl keinen anderen Komponisten, dessen Fantasie sich so häufig und unverhüllt an bereits vorliegenden Errungenschaften anderer entzündete, wie dies bei Liszt der Fall war. Das ist insofern bemerkenswert, als gerade in der Hoch- und Spätromantik Geniekult, Originalität, Individualität, Singularität des Kunstwerks eine übergroße Rolle spielten. Das wird durch Liszts Konzept von Musik über Musik in eigentümlicher Weise durchkreuzt und konterkariert.

Es stellt sich also unweigerlich die Frage, welchen Mehrwert und welchen Grad von schöpferischer Eigenleistung Liszt den jeweiligen Originalen mitgeben konnte. Als Beispiel hierfür soll Liszts Fantasie über Themen aus Figaros Hochzeit und Don Juan von Mozart (S. 697) betrachtet und diskutiert werden, welche er nicht vollendet hat. Zwei später ergänzte Fassungen – von Ferruccio Busoni und von Leslie Howard – versuchen auf unterschiedliche Weise, das Werk in eine abgeschlossene Gestalt zu überführen. Paraphrasen und Fantasien über Opernthemen waren in der Romantik – auch bei anderen Komponisten als Liszt – sehr verbreitet und beliebt, stellten mitunter aber nicht mehr als ein Potpourri schöner Melodien ohne eigenen Kunstanspruch dar. Wie verhält es sich im Falle dieser Fantasie? Welche kompositorischen Strategien und eigenständigen formalen und pianistischen Ansätze verfolgt Liszt hier mutmaßlich? Gelingt es ihm, eine Komposition von eigenem Wert aus den Vorlagen zu generieren? Welchen Überlegungen entspringt mutmaßlich die Auswahl der Themen, die Liszt vornimmt? Welche dramaturgische Idee mag Liszt verfolgen? Und wie gehen ferner Busoni und Howard – gleichsam als Bearbeiter der Bearbeitung – mit Liszts Fragment um?

 
16:40 - 17:10Der Sextakkord im Kantionalsatz – Eine Korpusstudie zum Einsatz von Sextakkorden in Heinrich Schützs "Becker-Psalmen"
Simon Fuhrmann
Hochschule für Musik Saar / Universität des Saarlandes, Deutschland
Ort: Raum 9.222
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Kantionalsatz, Sextakkord, Satzlehre, Heinrich Schütz, Becker-Psalmen

Die harmonische Schlichtheit des Kantionalsatzes im Vergleich zu seinen Nachfolgestilen ist ein Merkmal, wodurch er sich ideal für den Einstieg in das stilgebundene Schreiben homophoner Chormusik vor oder während des Musiktheoriestudiums eignet. Zu diesem Zweck sind bereits verschiedene Lehrwerke erschienen, die sich der Einführung in grundlegende Kompositionstechniken des Kantionalsatzes widmen; in neuerer Zeit etwa von U. Kaiser (2002) oder T. Daniel (2017).

Eine verbreitete Fehlannahme ist, dass im Kantionalsatzstil Sextakkorde gänzlich vermieden werden sollten. Bis heute hält sie sich hartnäckig, obwohl die obigen Lehrwerke bereits mehrfach darlegten, dass dem nicht so ist. So führen diese beispielhaft vor, welche Fälle es im Repertoire gibt, bei denen ein Sextakkordeinsatz gerechtfertigt scheint.

Der Vortrag widmet sich diesem Thema aufbauend auf einer Korpusstudie der gesamten Becker-Psalmen von Heinrich Schütz (Erstfassung 1628 / revidierte und erweiterte Fassung 1661). Anhand dieses Korpus, das den fortschrittlichsten Stand der Gattung seiner Zeit darstellt, soll gezeigt werden, dass Sextakkorde nicht nur aufgrund satztechnischer Notwendigkeiten, sondern auch gezielt als Stilmittel verwendet wurden. Diese These, die seit E. Wolf (1965) durchaus ihren Platz in der Lehre hat – unter anderem auch, um die ästhetische Seite des Kantionalsatzstils zu unterstreichen –, soll mittels einer systematischen Aufstellung aller Sextakkorde aus beiden Fassungen anhand der Kriterien Akkordstufe, stimmführungstechnische Behandlung, Verdopplungsnote sowie Position innerhalb des Verses oder der Strophe untermauert werden. Dabei wird gezeigt, dass bei bestimmtem Satz- und Kadenzmodelle mit kompositorischer Absicht der Sextakkord eingesetzt wird.

Abschließend wird auf die Diskussion eingegangen, ob der Sextakkord im theoriegeschichtlichen Umfeld eher als ein Substitut für den Terzquintakkord, als dessen funktionale Umkehrung oder als ein Zufallsprodukt aus der Stimmführung anzusehen sein sollte und ob sich diesbezüglich ein Unterschied zwischen den beiden Fassungen der Becker-Psalmen erkennen lässt. Somit trägt der Vortrag sowohl in satztechnisch praktischer als auch theoriehistorischer Hinsicht zum Verständnis des Kantionalsatzes bei.

 
16:40 - 17:10Loch an Loch – Komponieren wie Nancarrow
Martin Grabow
Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, Deutschland
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre, Freie Beiträge
Stichworte: Conlon Nancarrow, Selbstspielendes Klavier, Musikautomaten, Digitales Denken

Selbstspielende Klaviere stellten für Komponist*innen im 20. Jahrhundert eine Möglichkeit dar, Musik von außerordentlicher Virtuosität und Komplexität zu erfinden, die aufgrund dieser Eigenschaften für Menschen unspielbar war – lange bevor Computer in diesem Bereich eingesetzt wurden. Insbesondere der mexikanische Komponist Conlon Nancarrow (1912-1997) ist hier zu nennen, der seit Ende der 1940er Jahre fast ausschließlich für dieses Instrument komponierte. Die akustische Rezeption wie auch die analytische Auseinandersetzung mit seinen faszinierenden Studies for Player Piano ist inzwischen erfreulich leicht möglich: sie sind in verschiedenen Einspielungen und Fassungen im Internet abrufbar und auch Partituren dieser Werkgruppe liegen vor. Dennoch bleibt die Art des Schaffensprozesses, die Vorgehensweise bei der Abfassung einer Komposition für Player Piano im Detail schwer vorstellbar: Wozu dient eine Punching-Score, und wie stellt man, ganz handwerklich eine abspielbare Musikrolle her…. ?

Dies praktisch nachzuvollziehen, spezifische Kompositionstechniken kennenzulernen und dabei auch eigene Ideen zu entwickeln, wie man für das Selbstspielende Klavier komponieren kann, war Inhalt eines Seminars, das sich – unmittelbar im Anschluss an den durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie ausgelösten, jüngsten Digitalisierungsschub – mit dieser älteren Form digitalen Denkens und Arbeitens auseinandersetzte. Möglich war dies durch eine enge Kooperation mit dem Deutschen Musikautomaten-Museum in Bruchsal, das ein selbstspielendes Klavier zur Verfügung stellte, sowie durch die vertrauensvolle Unterstützung der Witwe Jürgen Hockers – der sich, neben György Ligeti, um die Verbreitung des Werkes Conlon Nancarrows in Europa sehr verdient gemacht hat – die uns eine Stanzmaschine und weiteres Material überließ.

Der Nutzen eines Seminars mit so speziellem Inhalt für Studierende aus unterschiedlichen, sowohl künstlerischen als auch pädagogischen Studiengängen liegt insbesondere im Verlust zahlreicher, kaum hinterfragter musiktheoretischer Gewohnheiten und Gewissheiten: wie bringt man einer Maschine bei, musikalisch zu spielen und – muss man das überhaupt?

 
16:40 - 17:40Erstellung von Lehrmaterialien und Online-Tutorials mit der Open Music Academy
Wendelin Bitzan
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, Deutschland
Ort: Raum 11.318

Bitte bringen Sie ein mobiles Endgerät und (sofern vorhanden) Kopfhörer mit.

 
Workshop
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Open Music Academy, E-Learning, Blended Learning, Lernplattform, Online-Tutorials

Die Open Music Academy (https://openmusic.academy) ist eine offene und partizipative Lernplattform für das musikbezogene E-Learning und Blended Learning, die nach dem Wiki-Prinzip funktioniert. Um Lehrmaterialien und Online-Tutorials zu erstellen, werden Texte, Bilder und Multimedia-Inhalte mit Hilfe der Markdown-Syntax formatiert und unter Creative-Commons-Lizenzen bereitgestellt. Mit Hilfe von musikspezifischen Plugins (Audio- und Videoplayer, Mehrspurmedien, Medienanalyse, Einbindung von ABC Notation und MusicXML etc.) können gezielt Aufgaben für den Musiktheorieunterricht gestaltet werden. In geschützten virtuellen Räumen stehen außerdem Formularfelder und Whiteboard-Elemente zur Verfügung, die interaktive Benutzereingaben und E-Assessment über einen Austausch von Kommentaren zwischen Lernenden und Lehrenden ermöglichen.

Im Workshop werden die Funktionsweise der Open Music Academy und die wichtigsten Plugins vorgestellt. Die Teilnehmer*innen können einen eigenen Benutzeraccount anlegen und erste Tutorials erstellen.

 
17:20 - 17:50Challenges of the contemporary music theory in the Czech discourse
Lucia Maloveská
Akademie der darstellende Kunst Prag, Tschechische Republik
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs
Stichworte: Czech music theory, Central European music theory, areas of influence, plurality

In my paper, I attempt to analyze the situation of the music theory in Central Europe, mostly in the Czech republic. In my research, I was observing and comparing various approaches to music theory, while focusing on the aspects which have undergone the biggest development in the last decades. To systematize these developments, I devided my observations of what have an impact on the music theory into three cathegories, or rather areas: cultural context, music research and musical (mostly compositional) praxis. From these areas, many challenges to which music theory should respond are emerging. Some of these challenges (mostly those connected with praxis, such as the plurality of the compositional approaches and styles) might be shared across the countries and institutions. Neverhetless, other challenges are more specific and might be determined by the environment (culturally, socially, historically, etc.). With this paper, I am introducing some of the challenges, which I found to be specific to Czech republic or for the Central European countries. I am comparing the experiences of the theorists in these countries with other discourses, mostly with the American one. The goal of the paper is to stress the plurality of the contemporary music theory.

 
17:20 - 17:50Das Improvisieren an der Orgel als Grundlage für zeitgenössisches Komponieren. Beispiele aus Theo Brandmüllers Orgelwerken
Anne Melzer
Hochschule für Musik Mainz (JGU), Deutschland
Ort: Raum 7.139
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Orgel, zeitgenössische Musik, Improvisation, Komposition, Analyse

In der jüngeren Vergangenheit beschäftigt sich die Musiktheorie verstärkt mit den improvisatorischen Praxen der westlichen Musikgeschichte. Historische Improvisationslehren belegen den Einfluss der vokalen Improvisation auf Komposition, Aufführungspraxis und musikalische Ausbildung in der Renaissance.[1] Dieser Zusammenhang wirkte in die folgenden Jahrhunderte nach; die Kunst des Improvisierens blieb bis ins 19. Jahrhundert eine selbstverständliche Fähigkeit für Interpret*innen wie Komponierende.

Für Kirchenmusiker*innen und Organist*innen ist die Improvisation – vielleicht von Jazzmusiker*innen abgesehen – noch heute so wichtig wie für keine andere Gruppe der Musizierenden im westlichen Kulturraum. Sie ist fester Bestandteil ihres Berufsalltags und genauso selbstverständlich wie das Spielen nach Noten. Dies galt auch für Theo Brandmüller, der in Paris als Student von Olivier Messiaen (Komposition) und Gaston Litaize (Orgel) die Tradition der französischen „komponierenden Organisten“ kennenlernte und sich selbst für solch ein künstlerisches Doppelleben entschied. Die Improvisation an der Orgel spielte dabei als Disziplin an der Schnittstelle zur Komposition für ihn eine entscheidende Rolle. Auch als Hochschullehrer unterrichtete er beides – sowohl Komposition als auch Orgelimprovisation. Für das Komponieren diente ihm das eigene Orgelspiel als Schlüssel, gleichzeitig reifte auch das Improvisieren durch die geistige Vorarbeit des Komponierens. Improvisation wurde bei Brandmüller, der sich stets als „orgelspielenden Komponisten“ bezeichnete, zu „Komposition minus Zeit“.

In der finalen Ausarbeitung sind Brandmüllers Werke durch akribische Konstruktion und strengen Bezug auf ein Ausgangsmaterial geprägt, was sie von den ursprünglichen Improvisationen deutlich abgrenzt. Trotzdem zeichnen sie sich durch eine eigene Klanglichkeit aus, die von jeglicher Konstruktion losgelöst zu sein scheint. Vor allem für Klänge, Klangfarben, Klangkombinationen und Harmonik lassen sich die Improvisation an und die Experimente mit der Orgel daher als konstituierender Vorgang bezeichnen.

Anhand einzelner Beispiele aus Brandmüllers Orgelœuvre wird dieser Einfluss untersucht. Neben Eigenarten der Harmonik und des Klangs werden außerdem Aspekte der Materialverarbeitung thematisiert. Dabei werden sowohl konstitutionelle kompositorische Grundsätze als auch werkimmanente individuelle Charakteristika beleuchtet.


[1] Vgl. hierzu die zahlreichen Veröffentlichungen zum „Contrapunto alla mente“, wie z.B. Froebe, Folker (2007), »Satzmodelle des ›Contrapunto alla mente‹ und ihre Bedeutung für den Stilwandel um 1600«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 4/1–2, 13–55. https://doi.org/10.31751/244.

 
17:20 - 17:50Friedrich Goldmann’s Opera Phantasy R. Hot bzw. die Hitze and its Staging in Dresden
Yumeng Wu
UdK Berlin, Germany
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs
Stichworte: Friedrich Goldmann, DDR, opera, Dresden, staging

In 1970s, Friedrich Goldmann (1941–2009) composed his only opera R. Hot bzw. die Hitze, which was based on Jakob Michael Reinhold Lenz’s drama »Der Engländer« and his other literature in 1770s (cf. Dörte Schmidt, 1992). Goldmann described it as »opernphantasie« (opera phantasy or phantastic opera), which was finally premiered three years after the composition in 1977 in Staatsoper Berlin (Ost), while it was understood as »ästhetische Provokation« (cf. Eckard Kröplin, 2020). The opera was further performed in many other occasions (e.g. Dresden in 1986 and 2015, Stuttgart in 1978, Mannheim in 1980/81).

Based on theater and dramatic theory, Goldmann’s »opernphantasie« has been positioned as »nicht-aristotelisches« (cf. Frank Schneider, 2021). Considering its uniqueness, this lecture will present and discuss this »opernphantasie« from three perspectives: “0”-the perspective of silence and nothingness applied within the opera; “1”-the perspective of the integrity (one opera with 112 poses) and individuality as being the only opera Goldmann finished; and finally, “2”-the perspective of the multiplicity and emergence of various phenomena from one core. Methodologically, a performative analysis would be applied along with approaches from theatre studies, which would be supported by Goldmann’s Partitur and two well-documented performances in Semperoper Dresden nearly 30 years apart (1986 and 2015). This research concludes that inside the same opera house, Goldmann’s »opernphantasie« R. Hot bzw. die Hitze represents not only the composer’s decipherment of contemporary stage work, but also a production under the certain historical and political context spanning over three decades (70s, 80s and the new millennium). Standing in today’s viewpoint, almost half a century later, this lecture emphasizes both inside (three perspectives mentioned before) and outside of this opera, including the reviews, the various interpretations (especially about the open ending) and the panorama with references to »Sturm und Drang« drama. This lecture provides insights to one unique opera with its two realizations in Dresden under such historical progression and contextualization.

 
17:20 - 17:50Klänge im Treibhaus. Zur Harmonik und Satztechnik im fünften Wesendonck-Lied
Benjamin Weinhold
Musikhochschule Freiburg, Deutschland
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle, Freie Beiträge
Stichworte: Richard Wagner, Harmonik, Tristan, Wesendonck-Lieder

In seiner Vertonung von Mathilde Wesendoncks „Im Treibhaus“ (1858) findet Richard Wagner zu einer schwül-sinnlichen, eigentümlich-modernen Klanglichkeit, die eine musikalische Fin-de-Siècle-Stimmung vorwegzunehmen scheint. Schon der „symbolistische“ Ton des Wesendonckschen Gedichts scheint eher einen späteren Zeit anzugehören.

Ernst Kurth sah in der das Lied beherrschenden Sequenz ein Modell jener Zersetzung des Sequenzprinzips, die für ihn ein Charakteristikum dessen war, was er unter romantischer Harmonik verstand. Die Klangfolge würde hier zum Sekundären, die Linien gewännen die Oberhand über die harmonische Organisation. Eine Zersetzung der Sequenz findet tatsächlich statt, aber sie geht – und scheinbar im Widerspruch zu Kurths Beobachtung – mit einer Intensivierung der Klangsinnlichkeit einher, die sich förmlich in den Vordergrund zu schieben scheint: Im Hörvorgang scheint eher der Klang überhand über die Linienführung zu nehmen, als dass der Klang in der zweifellos stattfindenden kontrapunktischen Emanzipation der Stimmen zum Verschwinden gebracht würde.

In meinem Vortrag verfolge ich die These, dass Wagner diese Wirkung erzeugt, indem historisch gewachsenes musikalisches Material gleichsam rekontextualisiert und dadurch klanglich verfremdet wird. Zwei Aspekte sollen besonders im Mittelpunkt der Betrachtung stehen: Zum einen die beherrschende Plagalkadenz des Anfangs sowie die wiederkehrende Sequenz – jene zentralen harmonischen Chiffren des Liedes, die sowohl auf ihre historischen (kontrapunktischen, satztechnischen) Wurzeln als auch auf die damit verbundenen semantischen Einschreibungen hin untersucht werden sollen. Zum anderen jene klangliche Modernität, die mit Wagners kompositorischer Reinterpretation traditioneller Satzmodelle, Kurths „Zersetzung“, einhergeht. Wagner bezeichnete das Lied als „Studie zu Tristan und Isolde“. Bekanntermaßen bildet es tatsächlich die Grundlage für das Vorspiel des dritten Tristan-Aufzugs. Und so werde ich abschließend den Spuren des Liedes im Tristan nachgehen.

 
17:20 - 17:50Das Problem der Subdominante in Rameaus Theorie: Obertonreihe, geometrische Progression und Septakkord-Ketten
Alexander Jakobidze-Gitman
Universität Witten/Herdecke, Deutschland
Ort: Raum 9.222
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Rameau-Rezeption, Harmonielehre, Subdominante, geometrische Proportion, basse fondamentale

Jean-Philippe Rameau wird häufig als derjenige angesehen, der den Begriff der Subdominante in die Musiktheorie eingeführt hat, auch wenn seine Auffassung davon deutlich anders als die der späteren Funktionstheorie war. Obgleich er das theoretische Konzept der Subdominante bereits im 1726 erschienenen „Nouveau système de musique theorique“ vorlegte, gelang es dem Komponisten-Theoretiker in den folgenden drei Jahrzehnten nicht, die praktische Relevanz der Subdominante nachzuweisen. Diese Tatsache lässt sich anhand der Ende der 1720er bis Anfang der 1730er Jahre erschienenen Reihe der Abhandlungen über das „Accompagnement” verdeutlichen, in der die Subdominante kaum Erwähnung findet. Erst im Jahr 1760 mit „Code de musique pratique“ gelang es Rameau, nicht nur unterschiedliche Effekte und Wirkungen der Subdominante aufzuzeigen, sondern auch deren Ursachen und Grundlagen auf physikalischer und theoretischer Ebene zu erläutern. Dementsprechend verweist Rameau auf die besondere Wirkung der Subdominantenharmonie, die darauf zurückzuführen sei, dass der erste und zweite Ton des Subdominantendreiklangs nicht in den Partialtönen der Tonika enthalten sind. Infolgedessen manifestiert sich die Subdominante als der Tonika am nächsten liegende und ihr zugleich am meisten fremde Harmonie.

Die These des vorliegenden Vortrags besagt, dass Rameau die Subdominante ursprünglich (1726) als Gegenpol zur Dominante benötigte, um einen imaginären tonalen Raum („mode“) aufzureißen. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass die Subdominante in der Praxis der Klavierbegleitung und Improvisation von geringem Nutzen war, da hier die haptischen Fertigkeiten des Musikers in den Vordergrund traten. Rameau strebte zeitlebens danach, eine Verbindung zwischen der spekulativen musica theorica und der zeitgenössischen musikalischen Praxis herzustellen. Daher konnte er sich nicht damit abfinden, dass sich die Subdominante lediglich auf einen der beiden Bereiche bezog. Schließlich fand er eine Lösung darin, dass er die Bedeutung der Subdominante nicht so sehr im Bereich der Akkordverbindungen, sondern vielmehr in Bezug auf die Tonartenabfolge aufzeigte. In diesem Kontext transformierte sich allerdings die Bedeutung der Subdominante von der vierten Stufe der Tonskala in eine Abweichung in die auf sie basierende Tonart.

Im Rahmen des Vortrags erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Originalschriften von Rameau selbst sowie mit den verschiedenen Interpretationen seiner Theorie durch Hugo Riemann, Matthew Shirlaw, David Lewin, Markus Waldura, Ludwig Holtmeier und Nathan Martin.

 
17:20 - 17:50Wie Lasso sprechen lernen. Digital gestützte Korpusanalyse zur Erfassung „satztechnischer Wortschätze“
Nura Natour
Hochschule für Musik Freiburg, Deutschland
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre, Freie Beiträge

Im Musiktheorie-Unterricht begegnet man häufig der Frage nach typischen idiomatischen Wendungen zur Erfassung, Unterscheidung und Abgrenzung spezifischer Kompositionsstile. Gerade beim Anfertigen von Stilkopien und Analysen finden Argumentationen vermehrt auf Basis von Erfahrungswerten oder einzelnen zuvor besprochenen Beispielen statt. Je spezifischer der Kontext der Frage ist, desto mehr spielen diese Erfahrungsgrundlagen und konkreten Fälle eine Rolle.

Der Vortrag präsentiert einen Lösungsansatz, wie die Argumentationsbasis in einer solchen Situation mittels einer digital gestützten Methode verbreitert werden kann. Ausgehend von einem konkreten didaktischen Hintergrund widmet er sich exemplarisch einer digital gestützten Korpusuntersuchung von Orlando di Lassos vierstimmigen Motetten, welche die Verwendung von Zusammenklängen in den Fokus nimmt. Im Vordergrund steht die Darstellung methodischer Vorgehensweisen, insbesondere der präzisen Kategorisierung vertikalerKlänge und deren Auftreten. Neben der detaillierten Untersuchung von Lassos satztechnischer Sprache werden darüber hinaus allgemeine Anwendungsmöglichkeiten dieser Herangehensweise erörtert. So versucht der Vortrag schließlich aufzuzeigen, auf welche Art und Weise musikalischer Stil als eine idiomatische Struktur vergleichbar mit einem „satztechnischen Wortschatz“ verstanden und mittels digitaler Korpusforschung erfasst und durchsucht werden kann.

Daniel, Thomas: Kontrapunkt. Eine Satzlehre zur Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts, 3. Aufl., Dohr: Köln 2016.

Kühn, Clemens: Musiktheorie unterrichten – Musik vermitteln. Erfahrungen – Ideen – Methoden. Ein Handbuch, Bärenreiter: Kassel 2006.

Neuwirth, Markus / Martin Rohrmeier: Wie wissenschaftlich muss Musiktheorie sein? Chancen und Herausforderungen musikalischer Korpusforschung, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 13/2(2016), 171–193.

 
17:50 - 20:00Individuelles Abendessen, anschließend Konzert in der Innenstadt
20:00 - 22:00Konzert: Band Anders
Ort: Gladhouse
Datum: Samstag, 05.10.2024
9:30 - 11:00Keynote: Musiktheorie in der Glaskugel. Kontexte einer Musiktheorie im digitalen Wandel
Ulrich Kaiser
Hochschule für Musik und Theater München
Ort: Raum 15V.110
 
Vortrag
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Keynote

Keynote - Musiktheorie in der Glaskugel. Kontexte einer Musiktheorie im digitalen Wandel

 
11:00 - 11:30Kaffeepause
11:30 - 13:00Keynote: Eavesdropping on Elnser Teaching Chopin
Halina Goldberg
Indiana University Jacobs School of Music
Ort: Raum 15V.110
Chair der Sitzung: Stephan Lewandowski
 
Vortrag
Themen: Fryderyk Chopin und die Musiktheorie seiner Ausbildungszeit

Eavesdropping on Elnser Teaching Chopin

 
13:00 - 14:00Mittagspause
Ort: Mensa Campus Sachsendorf
14:00 - 14:30Arnold Schönbergs Mahler-Apotheose. Über die Mittel eines Transzendenzausdrucks in op. 19 Nr. 6
Sebastian Pstrokonski-Komar
Universität Leipzig, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Schönberg, Mahler, Werkanalyse, Apotheose

Die persönliche Beziehung zwischen Arnold Schönberg und Gustav Mahler ist ein durch die Musikwissenschaft bereits ausführlich behandeltes Thema. Als gern zitierte Quelle wurde hier immer wieder auf Schönbergs am 25. März 1912 in Prag gehaltene Rede zurückgegriffen, in der er über seinen zwei Jahre zuvor verstorbenen Freund und Förderer sprach. Der Vortrag in Erinnerung an Mahler ist ein Zeugnis nicht nur hoher Bewunderung, sondern auch dessen Erhebung zu einem „Heiligen“, wie ihn Schönberg immer wieder bezeichnet. Wenn auch das Klavierstück op. 19 Nr. 6, das am 17. Juni 1911, fast genau ein Jahr nach dem Tod Mahlers, entstand, im heutigen Tonsatzunterricht eine beliebte Analyseübung darstellt, ist es doch bisher erst zweimal ausführlich auf seine Beziehungen zu Mahlers eigener Musik hin untersucht worden (A. von Massow (1993), O. Wiener (2004)). Diese beiden Studien setzen es vor allem mit dessen 9. Symphonie in Verbindung – ein Werk, das Schönberg allerdings zum Zeitpunkt der Komposition noch kaum bekannt gewesen sein dürfte. Abseits der Frage, ob er es im Frühsommer 1911 zumindest der Partitur nach kannte, ist es doch angesichts der Uraufführung der Neunten, die erst im Juni 1912 stattfand, sehr fraglich, ob und wie groß ein etwaiger Einfluss gewesen sein dürfte. Aus diesem Grund lädt das Stück, anlässlich des 150. Geburtstages Schönbergs, zu einem erneuten Herantreten an seine Kompositionsmethodik und seinen Inhalt ein.

Durch Offenlegung religiös anmutender Motivsymbolik, durch Darlegung von Zitaten, endlich durch das Aufzeigen musikalischer Reminiszenzen, die direkt aus der sogenannten „Symphonie der Tausend“ zu schöpfen scheinen, soll ein neuer Betrachtungsstandpunkt auf die „Hommage auf Mahler“, das Klavierstück op. 19 Nr. 6, eingenommen werden. Dem übergeordnet ist die Frage zu klären, inwiefern Aufbau und Semantik in der nur 9 Takte umfassenden Miniatur Ausdruck eines öglichen Transzendenzgedankens sind, einer parallel zu seiner Prager Rede durch Musik vermittelten, sich in den Geist der Zeit fügenden musikalischen Apotheose der Person Gustav Mahlers.

 
14:00 - 14:30The Influence of Chopin’s Masters - Elsner and Würfel - on Chopin’s “Warsaw” Polonaises
Izabela Maria Jutrzenka-Trzebiatowska
Doctor of Arts, independent researcher, graduate of Academy of Music in Kraków, Poland
Ort: Raum 7.139
Chair der Sitzung: William Michael Helmcke
 
Vortrag
Themen: Fryderyk Chopin und die Musiktheorie seiner Ausbildungszeit
Stichworte: Chopin, Elsner, Würfel, Polonaise, Warsaw Conservatory

The composer and music theorist Józef Elsner had a significant impact on the musical culture of Warsaw in the early 19th century. Young Chopin came under his care as a teacher and mentor in 1826, when, at the age of sixteen, he began studying at the Warsaw Conservatory, which was the first institution of higher musical education in Polish territories. Elsner (associated with the Conservatory since 1815) put effort into changing the curriculum and raising the level of education. At that time, the teachers included organists Václav Vilém Würfel and Henryk Lentz and pianist-pedagogist Josef Javůrek. Chopin's education consisted of the piano lessons, counterpoint lessons with Elsner, and general bass lessons with Würfel and Lentz. Chopin had already studied with Würfel in 1822-25.
In the first year of study, students were supposed to compose polonaises, marches, variations, rondos and sonatas. This was consistent with works composed by Chopin: Variations Op.2, Rondo Op.5, Sonata Op.4. In years 1826-28 he composed also three piano polonaises: D minor, F minor and B-flat major, and soon afterwards Introduction and Polonaise brillante in C major, Op. 3 (1829-30). Polonaise Op. 3 as a 'homework' was to meet the requirements set by his teachers. This is where questions arise: how did Elsner teach polonaises? Which works did he accept as models? He himself was the author of 19 piano, chamber and orchestral polonaises. Shaping musical material into an architectural whole was important for Elsner’s teaching. In his opinion music required a balance between logic, emotional expression and technical proficiency.
Influence of the fashionable virtuoso (brillante) style is prominent in this work. In the 1820s, many significant virtuosos gave concerts in Warsaw. Chopin has also been influenced by his teacher Würfel. A probable source of inspiration was his Polonaise Op. 40, also in the key of C major. Analogies are visible in the piano texture and figuration, as well as in contrasting the sweeping polonaise motif with a ‘dolce’ theme. Both works convey the spirit of the dance. In Polonaise Op. 3 ‘datum ‘outweighs ‘novum’. In its design it is possible to see traces of Chopin's masters.

 
14:00 - 14:30Choralharmonisierung durch Klauseln in J. S. Bachs Schülerkreis
Derek Remeš
Hochschule Luzern – Musik, Switzerland
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Choralharmonisierung, Klauseln-Kombinationen, computergestütze Analyse, J. C. Kittel, J. S. Bach

Johann Christian Kittels Methode zur Harmonisierung eines Chorals, die er angeblich von seinem Lehrer J. S. Bach gelernt hat, basiert auf Klauseln (d.h. typischen melodischen Abschnitten, die zur Kadenzenbildung verwendet werden). Kittel kombiniert eine Klausel im Choral mit einer anderen Klausel im Bass, und zwar nicht nur an den Phrasenenden, sondern auch innerhalb jeder Phrase. Mit Hilfe neuer computergestützen Methoden wurden die häufigsten Klauseln-Kombinationen in den Außenstimmen, sowohl in Kittels Mehrbaschorälen als auch in einem Choralbuch von C. P. E. Bach, bestimmt. Diese produktive Synergie von Theorie und Praxis verfeinert unser Verständnis der vielfältigen Choralharmonisierung im Umkreis von J. S. Bach und bietet Anhaltspunkte für eine historisch informierte Pädagogik heute.

 
14:00 - 14:30Dialog über den Energie-Begriff in Musikpsychologie und Physik
Thomas Noll1, Peter, beim Graben2
1: Escola Superior de Música de Catalunya, Deutschland; 2: Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin, Germany
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Tonal Attraction, Probetone-Profiles, Schrödinger-Equation, Kinetic and Potential Energy, Quantum Theory

Dieser Beitrag macht den Versuch, einen aktuellen quantentheoretische Ansatz zur dynamischen Interpretation der tonalen Attraktion (beim Graben & Noll 2024) ideengeschichtlich einzuordnen und führt dabei um etwa 100 Jahre zurück. Als der in Zürich arbeitende Erwin Schrödinger im Jahre 1926 die später nach ihm benannte Wellengleichung fand, entwickelte Ernst Kurth im nahegelegenen Bern Ideen zu einer phänomenologisch ausgerichteten Musikpsychologie. Die damals eher unabhängige Verwendung des Energie-Begriffs (und damit verbundener Begriffe, wie Raum und Bewegung) fordert heute dazu heraus, die damals intendierten Bedeutungen nachzuzeichnen und nach Verbindungen zu suchen. In unserem Ansatz wird die in den Probetone-Profiles nach Krumhansl & Kessler (1982) empirisch gemessene tonale Attraktion einer Dur- bzw Moll-Tonalität als Wahrscheinlichkeitsdichte einer stationären Wellenfunktion auf der kontinuierlich gedachten Quintenachse modelliert, welche ihrerseits den Grund-Eigenzustand eines geeignet gewählten Hamilton-Operators (= Energie-Operators) bildet. Der damit eng verbundene Zeitentwicklungs-Operator erlaubt die Untersuchung dynamischer Attraktion mit Hilfe geeigneter kohärenter Anfangs-Zustände. Insbesondere läßt sich Kurths Leitton-Energie in diesem Kontext deuten.
beim Graben, P. & Blutner, R. (2017). Toward a gauge theory of musical forces. In: de Barros, J. A.; Coecke, B. & Pothos, E. (Eds.) Quantum Interaction. Proceedings of the 10th International Conference (QI 2016), Springer, LNCS 10106, 99 - 111.
beim Graben, P. (2023). Gauge symmetries of musical and visual forces. Journal of Mathematics and the Arts, 17, 347 - 382.
beim Graben, P. und Noll T. (2024): „Quantum Tonality: A Mathe-Musical Playground“. In Noll, Thomas (et. al.), Mathematics and Computation in Music. 9th International Conference, MCM 2024, Coimbra, Portugal, June 18–21, 2024, Proceedings. Springer Nature Switzerland
Krumhansl, C.L., Kessler, E.J. (1982): „Tracing the dynamic changes in perceived tonal or-
ganization in a spatial representation of musical keys“. Psychological Review 89 (4),
334 – 368
Kurth, E. (1917). Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Bern: Akademische Buchhandlung von Max Drechsel.
Kurth, E. (1931). Musikpsychologie. Berlin: Max Hesses Verlag
Schrödinger, E. (1926). Quantisierung als Eigenwertproblem - Erste Mitteilung. Annalen der Physik, 79, 361 - 376.
Schrödinger, E. (1926). Der stetige Übergang von der Mikro- zur Makromechanik. Naturwissenschaften, 14, 664 - 666.

 
14:00 - 14:30Musikalische Tonfolgen in Materialien des schulischen Musikunterrichts - Eine korpusbasierte Analyse von Werken verschiedener Epochen, Genres und Gattungen
Myrto Zarzalis1, Daniel Fiedler1, Johannes Hasselhorn1, Georg Brunner2
1: FAU Erlangen Nürnberg, Deutschland; 2: Pädagogische Hochschule Freiburg
Ort: Raum 11.318
 
Vortrag
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Musiktheorie im Schulmusikunterricht; Korpusanalyse; Strukturerkennung

Theoretischer Hintergrund

Das Erkennen von Strukturen in Musik ist ein wesentlicher Bestandteil des Hörens und trägt zum Genuss von Musik bei (Altenmüller, 2018). Dabei manifestieren sich strukturbildende Einheiten, in der Musiktheorie als Motive bezeichnet (Drabkin, 2001), durch Wiederholung (Götte, 2020). In der (Musik-)Psychologie werden Motive als auditorische Gestalten aufgefasst, die durch die Verbindung einzelner akustischer Ereignisse entstehen und Gestaltgesetzen folgen (Koelsch & Schröger, 2018). Somit ist das Wahrnehmen und Erkennen der Ähnlichkeit von Motiven elementar für die Erfassung von Strukturen innerhalb eines Musikstücks (Frieler, 2018) und damit eine wesentliche Komponente des Schulmusikunterrichts (z.B. Bildungsplan Baden-Württemberg).

Die korpusbasierte Analyse untersucht (musikalische) Daten nach Strukturen und Mustern, um Erkenntnisse über das Vorkommen musikalischer Tonfolgen zu erlangen (Neuwirth & Rohrmeier, 2016).

Forschungsfragen

  • Welche Struktur haben Tonfolgen, die sehr häufig in der Literatur des Schulmusikunterrichts vorkommen?
  • Inwiefern stimmt die Einschätzung von Expert:innen über diese Häufigkeit mit der Corpusanalyse überein?

Methodisches Vorgehen

Der Datensatz besteht aus 300 Werken, die dem Bildungsplan Baden-Württemberg sowie dem Schulbuch MusiX1 (Detterbeck & Schmidt-Oberländer, 2019) entnommen sind. Die Werke werden in das XML-Format transkribiert und basierend auf dem bei Benammar (2017) beschriebenen Constrained String Mining Algorithmus (CSMA) untersucht. Der CSMA hat den Vorteil, dass dieser auch Umkehrungen und Invertierungen erkennen kann (Benammar et al., 2017). Die Codierung erfolgt zunächst durch das Einlesen der Intervalle. Dadurch können Motive, welche durch Sequenzierungen, melodische Invertierungen, Umkehrungen und rhythmische Veränderungen zu einer „Originaltonfolge“ überführt werden können, zu einer Tonfolgeklasse zusammengefasst werden.

Ergebnisse

Erste Analysen zeigen, dass die Art der Sortierung (absolute -, relative Häufigkeit, Anzahl der Stücke, in denen die Tonfolge vorkommt) auf die ersten 20 Tonfolgeklassen keinen wesentlichen Einfluss nimmt. Diese Klassen zeichnen sich in ihrer Struktur durch kleine Intervallabstände aus. Die Ergebnisse der Expertenvalidierung werden auf dem Poster präsentiert.

Schlussfolgerung und Implikation für das Unterrichten von Musiktheorie an der Schule

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können Implikationen für die musikpädagogische Praxis an (Hoch-)Schulen im Bereich der Musiktheorie haben, da sie eine empirisch fundierte Grundlage für Übungen zur Entwicklung von Audiationsprozesse ermöglichen und somit den Prozess von impliziten zu explizitem Wissen im Bereich der Strukturierung auditiver Ereignisse evidenzbasiert unterstützen können.

 
14:00 - 15:30Musiktheorie im Musikunterricht an Schulen: Eine Online-Befragung und ihre Ergebnisse
Elke Reichel1, Paula Kaiser2, Almut Gatz2, Joachim Junker3, Matthias Schlothfeldt4, Klara Hayward5
1: HfM Weimar, Deutschland; 2: HfM Würzburg, Deutschland; 3: Bundesverband Musikunterricht, Deutschland; 4: Folkwang Universität der Künste, Deutschland; 5: HfM Nürnberg, Deutschland
Ort: Raum 9.118
 
Vortragspanel
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre, Freie Beiträge
Stichworte: Musikpädagogik, Schule, Didaktik der Musiktheorie, Gehörbildung, Kooperation

Wie können Musiktheorie und Gehörbildung gewinnbringend in den Musikunterricht an Schulen integriert werden? Welche Kompetenzen, Materialien und Fortbildungen benötigen Pädagog*innen, um Kindern und Jugendlichen musiktheoretische Inhalte und Denkweisen nahezubringen?

Durch diese Fragen bewegt, entwickelte eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der GMTH und des Bundesverbandes Musikunterricht (BMU) eine Onlinebefragung zu Musiktheorie im schulischen Musikunterricht.

334 Lehrkräfte, Fachleiter*innen und Studierende aus ganz Deutschland beteiligten sich im Zeitraum vom 11. März bis zum 12. Mai 2024 an der anonymen Befragung. Sie beantworteten Fragen zu ihren schulischen Einsatzfeldern, zu Inhalten, Methoden und Umgangsweisen in ihrem Unterricht und den genutzten Lehr- und Arbeitsmaterialien. Neben Informationen zur gegenwärtigen Situation in ihrem Unterricht wurden Wünsche und Perspektiven der Teilnehmer*innen für die Zukunft und Anregungen für die Curricula musikpädagogischer Studiengänge erfragt. Außerdem wurden Angaben zum Bedarf an Materialien – sowohl in analoger als auch in digitaler Form – und an Fortbildungen erfasst.

Viele Teilnehmer*innen nutzten die Möglichkeit, offene Fragestellungen in freier Formulierung zu beantworten. Einige der freien Texte enthalten ausführliche Situationsbeschreibungen und Positionierungen. Die Antworten bieten spannende Einblicke in die Unterrichtspraxis, werfen Anschlussfragen für den fachdidaktischen Diskurs auf und setzen Akzente für den interdisziplinären Austausch zwischen Musikpädagog*innen und Hochschullehrenden.

Die Auswertung der Befragung erfolgt sowohl mit quantitativen als auch mit qualitativen Methoden. Mit der Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse möchte die Arbeitsgruppe Impulse für die Didaktik der Musiktheorie und der Gehörbildung an Schulen und Hochschulen setzen.

 
14:00 - 15:30Musiktheorie zwischen historischer Dogmatik und „Anything goes“ –eine Standortbestimmung
Stefan Mey, Philipp Sobecki, Martin Kohlmann, Sebastian Knappe, Joshua Bredemeier, Joris Leimbach, Nils Schäfer, Qiushi Li, Annette Grooß, Imke Constapel, Artur Kühfuß, Kaja Nieland
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
Ort: Raum 9.222
 
Vortragspanel
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs
Stichworte: Paradigmen, Werkanalyse, Methodenvielfalt, Dogmatik, Wissenschaftstheorie

In der deutschsprachigen Musiktheorie dominiert derzeit ein historisierendes Paradigma. Demnach gelten „historische“ Methoden in der Regel als angemessener Rahmen musikalischer Analyse, während andere, später entstandene Methoden oftmals einem Legitimationszwang unterliegen. Dies kann mitunter bis zum Ausschluss bestimmter Methoden führen. Dabei droht jedoch ein vielfältiges Spektrum musikalischer Erfahrungen übersehen zu werden.

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus zwölf Personen (Studierenden und Lehrenden), reagiert unter verschiedenen Gesichtspunkten auf diese Situation und geht in drei Vortragsabschnitten der Frage eines zeitgemäßen fachlichen Selbstverständnisses nach.

Im ersten Teil des Vortragspanels werden musiktheoretische Leitvorstellungen im Allgemeinen sowie das „historische“ Paradigma im Besonderen kritisch beleuchtet. Einleitend werden Ansprüche und Erträge historischer Prämissen für die musiktheoretische Arbeit anhand entsprechender Beispiele skizziert und nachvollzogen. Es wird diskutiert, inwiefern dieser Ansatz als verengend bzw. dogmatisch betrachtet werden kann. Daraus resultieren Fragen hinsichtlich vermeintlicher Selbstverständlichkeiten, die den Rahmen für die folgenden Abschnitte des Panels bilden.

Im Zentrum des Panels steht eine multiperspektivische Betrachtung der Klaviersonate op. 90 (erster Satz) von Ludwig van Beethoven. Durch Anwendung von Methoden, die nicht dem „historischen“ Paradigma zuzuordnen sind, werden unterschiedlichste analytische Erträge präsentiert. Diese Methoden (Neo Riemannian Theory, Generative Theory of Tonal Music, Formenlehre nach Ratz/Caplin u.a.) nehmen neben der Harmonik auch Metrik und Form der Musik in den Blick. Die Ergebnisse dieser Betrachtungen werden gesammelt und einer historisierenden Betrachtung desselben Werks gegenübergestellt.

Im abschließenden, dritten Teil des Panels wird eine vergleichende Bewertung der unterschiedlichen Analyseergebnisse vorgenommen. Dabei werden die analytischen Stärken jeder behandelten Methode ebenso reflektiert wie deren jeweilige Begrenzungen und „blinde Flecken“. In einem wissenschaftstheoretischen Rahmen werden Bewertungskriterien für Methoden und Theorien im Allgemeinen vorgeschlagen und auf die zuvor präsentierten Methoden angewandt. Dabei spielen Kernkonzepte wie „Realismus“, „Konvention“ und „Erfahrung“ sowie die Überlegungen Paul Feyerabends eine zentrale Rolle. Dessen umstrittene These „Anything goes!“ wird kritisch reflektiert und in ihrer Anwendbarkeit auf musiktheoretische Methoden geprüft. Argumente für eine Öffnung musiktheoretischer Standpunkte über ein verengendes bzw. einseitig „historisches“ Paradigma hinaus werden gesammelt und als Grundlage eines zeitgemäßen musiktheoretischen Selbstverständnisses präsentiert. Zu klären ist dabei unter anderem, welchen Grenzen ein solches Selbstverständnis unter den Prämissen pluraler musiktheoretischer Paradigmen gleichwohl unterliegt. Welche „roten Linien“ wären als Abgrenzung zu einem pauschalen und unreflektierten „Anything goes!“ zu ziehen?

 
14:00 - 16:00AI for Music Theory
Egor Polyakov1, Christoph Finkensiep2
1: HMT Leipzig; 2: University of Amsterdam
Ort: Raum 11.301
 
Workshop
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Künstliche Intelligenz, Generative AI, Machine Learning, Modellierung

With the recent advancements in AI, many misconceptions have emerged about its capabilities and applications, particularly within the humanities (“Geisteswissenschaften”). There is a common belief that AI can solve a wide array of scientific problems by "just throwing AI at it." Although potential issues have been discussed in other scientific domains, as highlighted by Bewersdorf et al. (2023) and Emmert-Streib (2020), the discussion of music-related applications of AI is mainly centered around audio-based music generation. In contrast, topics like music analysis and symbolic music generation, which are crucial for the music theory domain, seem to be underrepresented and lack a comprehensive overview of the possibilities of AI applications, especially from a practical point of view.

In our workshop, we aim to provide a systematic introduction to both theoretical and practical approaches in symbolic music-related AI implementations. In the first part of the workshop, we will give an overview of the principle of AI and machine learning and discuss their implications in the context of music theory. The second part is a practical introduction into generative modeling of symbolic music. We will mainly focus on applications for creating "Stilkopie," which refers to the imitation of certain musical styles and forms, and explore case studies based on GAN (Goodfellow et al. 2014) and Diffusion (Ho et al. 2020) architectures.

References

  • Bewersdorff, A., Zhai, X., Roberts, J., & Nerdel, C. (2023). Myths, mis- and preconceptions of artificial intelligence: A review of the literature. Computers and Education: Artificial Intelligence, 4, 100143. https://doi.org/10.1016/j.caeai.2023.100143.

  • Emmert-Streib, F., Yli-Harja, O., & Dehmer, M. (2020). Artificial Intelligence: A Clarification of Misconceptions, Myths and Desired Status. Frontiers in Artificial Intelligence, 3, 524339. https://doi.org/10.3389/frai.2020.524339.

  • Ho, J., Jain, A., & Abbeel, P. (2020). Denoising Diffusion Probabilistic Models. arXiv e-prints. https://doi.org/10.48550/arXiv.2006.11239.

  • Goodfellow, I. J., Pouget-Abadie, J., Mirza, M., Xu, B., Warde-Farley, D., Ozair, S., Courville, A., & Bengio, Y. (2014). Generative Adversarial Networks. arXiv e-prints. https://doi.org/10.48550/arXiv.1406.2661.

 
14:40 - 15:10Arnold Schönbergs „Modelle für Anfänger“ – eine Suche nach Beispielen anhand seiner Kompositionen
Martin Hecker
Folkwang Universität, HMT Leipzig, HMTM Hannover, HfK Bremen, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Schönberg, Modelle, Geste

Arnold Schönbergs „Modelle für Anfänger“ – eine Suche nach Beispielen anhand seiner Kompositionen

1942 veröffentlicht Schönberg ein Lehrbuch: „Modelle für Anfänger“ im Kompositionsunterricht. Nachdem er über 20 Jahre mit Eifer und Stolz seine Zwölftontechnik propagierte und diese auch nicht aufgab, mag es erstaunen, dass die Modelle tonalen Mustern folgen, wie schon Clemens Kühn 2006 in seinem Buch „Musiktheorie unterrichten“ bemerkt. Andererseits war es Schönberg wichtig, sich aus der Vergangenheit heraus zu rechtfertigen. Das tabula rasa der 1950ger Jahre widerspricht seiner Idee der natürlichen Weiterentwicklung der Geste. Daraus folgend soll anhand einiger seiner Kompositionen nach seinen Modelle gesucht werden. So könnte eine Musik der Gesten wieder an Attraktivität gewinnen, nachdem die Generation um Boulez sich in Radikalität erschöpfte und schließlich überholt wurde. Aber auch die Notwendigkeit der Modelle Schönbergs soll hinterfragt werden, gibt es doch mit Mattheson, Riepel, Kirnberger, Koch, Marx, etc. eine reiche musiktheoretische Tradition aus musikalischen Bausteinen Form zu generieren.

 
14:40 - 15:10Adam Riccis Sequenztheorie am Beispiel Chopins
Marvin Balzer
Hochschule für Musik und Theater München, Deutschland
Ort: Raum 7.139
Chair der Sitzung: William Michael Helmcke
 
Vortrag
Themen: Fryderyk Chopin und die Musiktheorie seiner Ausbildungszeit, Freie Beiträge

Jan Philipp Sprick beklagt 2014, „dass eine konsistente und etablierte Terminologie für die Analyse sequenzieller Passagen [...] immer noch aussteht“. Tatsächlich existieren zu dieser Zeit bereits systematische Ansätze (Jersild 1982, Laitz 2004, Menke 2009, Tymoczko 2011 u. a.) und auch Sprick nennt neben weiteren Adam Riccis Dissertation A theory of the harmonic sequence (2004). Ricci überträgt Cloughs diatonic pc set theory (1979) auf harmonische Grundtöne (vgl. auch Ricci 2002, Kochavi 2008, Hook 2020). Er berücksichtigt etliche Aspekte von Sequenzen: Diatonik vs. Chromatik, Segmentierung, Hierarchisierung, Periodizität der Grundtöne sowie Stimmführung. Gegenüber Ansätzen, die mit herkömmlichen Intervallbezeichnungen operieren, kann Ricci die Sequenztypen auf ihr rechnerisches Minimum reduzieren und zugleich differenzierte Bestimmungen hinsichtlich der Segmentierung und des Verhältnisses von diatonischem und chromatischem Raum vornehmen. Seine Terminologie erfüllt gleichwohl nur die erste von Spricks Forderungen: Sie ist „konsistent[]“, aber keineswegs „etabliert[]“.

Mein Vortrag möchte die Systematik Riccis für den deutschsprachigen Diskurs aufgreifen und auf Chopins Sequenzgebrauch beziehen. Ein Standardfall bei Chopin ist die Diminution des steigenden Dur-Moll-Parallelismus durch den zweischrittigen Quintfall (II-V-I). Riccis Ansatz ermöglicht es, unterschiedliche Hierarchisierungen innerhalb des Patterns und deren Transpositionsintervalle anhand verschiedener Instanziierungen dieses Modells zu vergleichen. Seine Diskussion der pitch-class-Fluktuation zwischen den Akkorden weist zudem auf jüngere Theorien voraus, in denen der Stufengang als Auswahl aus einer fortlaufenden Kette einheitlicher Intervalle gezeigt wird (Tymoczko 2011/2023, Yust 2015).

Allerdings markieren die mit dem Postulat von Grundtönen einhergehenden Probleme (von Rameau bis hin zur Psychoakustik) auch eine Leerstelle, denn nicht immer ist klar, was als Grundton einer „Simultanität“ (Moreno 1996) gelesen werden soll. Felix Diergarten (2010/2011) verweist demgegenüber auf den Generalbassbezug in Lehrbüchern aus Chopins Ausbildungsumfeld und zeigt, dass sich manche Sequenzen Chopins im Rahmen eines intervallisch bassbezogenen Paradigmas überzeugender erfassen lassen als im Rahmen eines harmonisch grundtonbezogenen. Lassen sich etwa die teils umfänglichen Rückungen verminderter Septakkorde bei Chopin nur gewaltsam in einem Zusammenhang verkürzter Grundtöne bringen, treten im Rahmen regelmäßiger harmonischer Sequenzen bei Chopin andererseits immer wieder Klänge auf, darunter neben verminderten Septakkorden insbesondere der übermäßige (Quint-)Sextakkord, bei denen erst die Annahme eines verschwiegenen Grundtons die Einheitlichkeit der Sequenz verbürgt und je nach Deutung andere Familienzugehörigkeiten zutage treten.

 
14:40 - 15:10Vernunft oder Gefühl – Telemanns "Miriways" als Beitrag zum Wandel der Oper
Anna Maria Hausmann
Universität Zürich, Schweiz
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Telemann, Aufklärung, Oper

Georg Philipp Telemanns Singspiel «Miriways», uraufgeführt am 26. Mai 1728 in Hamburg, war 2014 erstmals seit dem 18. Jahrhundert wieder auf der Opern-Bühne zu erleben. Ähnlich wenig Aufmerksamkeit wie in der Praxis hat dieses Werk von der bisherigen Forschung erfahren, auch wenn es in einer Neuausgabe verfügbar ist. Dieser Vortrag möchte die Potenziale der Oper für die musiktheoretische Forschung näher untersuchen. Die Handlung des Singspiels orientiert sich an realen und unmittelbaren historischen Ereignissen, die sich im Persien von 1722 zugetragen haben. Ein solcher Stoff aus der nahen Vergangenheit ist jedoch im Kontext der regen ästhetischen Diskussionen über die Gestaltung der Gattung Oper im frühen 18. Jahrhundert untypisch. Daneben fällt der thematische Fokus der Handlung auf dem Spannungsverhältnis zwischen Gefühl und Vernunft auf: Die Figuren stehen vor der Entscheidung, ob sie ihrem Herzen oder ihrem Verstand folgen sollen. Damit bringt Telemann im übertragenen Sinne auch das Kernthema des Opern-Streites zwischen emotional packendem italienischen und «natürlich»-vernünftigem französischen Stil auf die Bühne und so bildet die Oper auch einen Teil des ästhetischen Wandels.

Aus musiktheoretischer Perspektive stellt sich dabei die Frage, wie es Telemann gelingt, Gefühl und Vernunft musikalisch als Antipoden darzustellen. Anschliessend an die Beobachtungen von u.a. Reipsch und Hirschmann bezüglich Telemanns Umgang mit Libretti in Opern als auch in geistlichen Werken, bestätigt meine Analyse, dass Telemann Form, Harmonik, Melodik und Instrumentation sensibel an den Text anpasst. Im Vortrag soll am Beispiel der «Miriways»-Arien gezeigt werden, wie Telemann verschiedene musikalische Stilmittel funktional für den Ausdruck von Verstand oder Emotion einsetzt. Das Fallbeispiel leistet somit einen Beitrag zu einer geradezu universellen Fragestellung der Musiktheorie, nämlich dem Verhältnis von Emotion und Rationalität bzw. der Balance zwischen satztechnischem Regelwerk und kreativer Freiheit.

 
14:40 - 15:10Der 'canon polymorphus': Versuch einer Anleitung
Seren Stevenson
ZHdK, Schweiz
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Kanon, Kanontechnik, 18. Jahrhundert

Gottfreid Heinrich Stölzels berühmter Canon polymorphus wird durch die Geschichte immer wieder von Musiktheoretiker*innen zitiert. Doch eine detaillierte Analyse dieser Melodie, um dem Phänomen Canon polymorphus auf den Grund zu gehen, ist weder in historischen Quellen, noch in der bisherigen Forschung zu finden.

In diesem Vortrag wird die originale Kanonmelodie analysiert und heruntergebrochen, um Kriterien zu finden, mit denen die Komposition weiterer solcher Kanons möglich wird.

Zunächst auf diatonische Melodien beschränkt, werden die Kriterien auch abstrahiert und auf die Komposition von chromatischen Melodien übertragen.

Abschliessend wird mit dem Publikum spontan ein einfacher Canon polymorphus komponiert, um die entstandene Anleitung zu demonstrieren.

 
15:20 - 15:50Melodie und Prosodie — Eine exemplarische Analyse von Alban Berg früher und Später Fassung von Theodor Storms "Schließe mir die Augen beide"
Mario Schmidt
Hochschule für Musik Hannover, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge
Stichworte: Alban Berg, Musik und Sprache, Neue Musik, Morphologie, Prosodie

In seinem Leben hat Alban Berg zweimal Theodor Storms Gedicht Schliesse mir die Augen beide vertont: 1900 und 1925. Besonders daran ist nicht nur, dass hier ein Komponist zweimal den gleichen Text für eine Liedvertonung zur Hand nimmt, sondern dass Berg sich zwischen diesen beiden Liedvertonungen neuen kompositorischen Mitteln zugewandt hatte, die man sogar als Bruch mit der traditionellen, tonalen Musiksprache interpretieren könnte. In der frühen Vertonung findet man viele erweiterte harmonische Wendungen, wie sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet haben. Es ist aber dennoch ein Lied in der Tonart C-Dur. Entsprechend bewegt sich Gesangspartie in einer um viele Töne erweiterten C-Dur-Skala. Der zweiten Vertonung liegt eine Allintervallreihe zugrunde, die kompositorisch ganz im Sinne der damals neuen Zwölftontechnik behandelt wird. Insbesondere in der Gesangstimme wird die Reihentechnik in einer besonderes konsequenten Weise verwendet. Obwohl man meinen sollte, dass diese so unterschiedlichen kompositorischen Ansätze zu sehr unterschiedlichen musikalischen Ergebnissen führen zeigt ein Vergleich der Morphologie beider Gesangspartien, dass sehr große Ähnlichkeiten zwischen der melodiösen Bewegung beider besteht.

Anhand einiger neuer, eigener morphologischer Analyseansätze, möchte ich exemplarisch auf den sehr engen Zusammenhang von Melodie und Prosodie in Bergs Liedern aufmerksam machen. Denn trotz der unterschiedlichen kompositorischen Ansätze weist die kompositorisch-melodisch Gestaltung beider Gesangspartien eine hoher Ähnlichkeit auf. Offenbar folgt Berg hier den schon im Gedicht angelegten melodiösen Tendenzen, die sich in beiden Kompositionen wie ein eigenes Kraftfeld gegenüber den tonalen oder reihentechnischen Organisationsprinzipien auswirken. Dieser Bezug zur Sprache ist nicht nur für Bergs, sondern allgemein für die Werke der Wiener Schule sehr charakteristisch und von grundlegender Bedeutung. Gleichzeitig stellt sich vor dem Hintergrund dieser Diagnose auch die Frage inwiefern die »neuen Formprinzipien« (Erwin Stein) wirklich als Bruch mit dem traditionellen Formprinzipien gesehen werden können.

 
15:20 - 15:50Komponierte Improvisation? Zur Aufnahme improvisatorischer Elemente in die Komposition im 19. Jahrhundert
Magdalena Oliferko-Storck
Universität Bern, Switzerland
Ort: Raum 7.139
Chair der Sitzung: William Michael Helmcke
 
Vortrag
Themen: Fryderyk Chopin und die Musiktheorie seiner Ausbildungszeit, Freie Beiträge
Stichworte: Improvisation, Werktreue, Komposition, strukturelle Integration

Die Aufnahme von Improvisationselementen in Kompositionen der 1830er Jahre war durch die Philosophie der Zeit bedingt. Obwohl der ontologische Status und das Konzept eines Musikwerks zu dieser Zeit noch «in statu nascendi» waren, legten die meisten Kritiker bereits mehr Wert auf das Werk selbst als auf seine Aufführung. Der im 19. Jahrhundert aufkommende Begriff eines musikalischen Werkes räumte der Werktreue als dessen ideale Verkörperung den höchsten Stellenwert ein. Das wachsende Bedürfnis, die Bestandteile der Partitur – das ideale Abbild des Werkes – möglichst genau zu definieren, führte dazu, dass während der Aufführung improvisierte musikalische Gesten an Bedeutung und ästhetischem Wert verloren. Während die Improvisation in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch ein fester Bestandteil der musikalischen Ausbildung war, kam es ab den 1830er Jahren zu einem starken Rückgang ihrer Popularität und in der Mitte des Jahrhunderts verschwand sie vollständig von den Konzertbühnen und Salons. Die letzte musikalische Abhandlung, die die Praxis der freien Improvisation widerspiegelte, war Carl Czernys Lehrbuch “Systhematische Anleitung zum Fantasieren auf dem Pianoforte” Op. 200 (1829) und in geringerem Umfang “Traité d'harmonie” Op. 185 von Friedrich Kalkbrenner (1839). Ab den 1830er Jahren geriet die Improvisation im Aufführungsprozess aus der Mode. Der Versuch, die Elemente eines Musikwerks in der Partitur so weit wie möglich zu spezifizieren, hatte jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Aufnahme von Figuren improvisatorischen Ursprungs in die Komposition selbst. Die Praxis der Improvisation geriet zwar nicht völlig außer Gebrauch, fand aber Eingang in die niedergeschriebene Komposition.

In diesem Vortrag werde ich einen Überblick über die Veränderungen in der Musiksprache zwischen den1830er und 1840er Jahren im Hinblick auf die Integrität improvisierter Gesten und musikalischer Notation geben. Am Beispiel der Werke von Franz Liszt und Frédéric Chopin werde ich eine Strukturanalyse ausgewählter melodischer Figuren vornehmen, die die Tradition improvisatorischer Provenienz in der Komposition fortsetzt.

 
15:20 - 15:50Zeitliche Gestaltungsmittel zur Interpretation von Klaviermusik. 'Tempo rubato' und weitere Timing-Aspekte im Wandel der Zeit
Georg Thoma
Hochschule für Musik Freiburg, Hochschule für Musik und Theater München
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Interpretationsforschung, Interpretationsanalyse, Aufführungspraxis

Während auf vielen Melodieinstrumente schon bei einem einzelnen Ton verschiedene Klangfarben unabhängig von dessen Lautstärke erzeugt werden können, sind die Möglichkeiten klanglicher Gestaltung am Klavier begrenzter: Neben der Lautstärke (an die auch die Klangfarbe gekoppelt ist) und der Tondauer gibt es zwar noch einige weitere Parameter, die beim Spiel kontrolliert werden können, so Umfang und Timing der Nebengeräusche sowie Art und Geschwindigkeit der Dämpfung und Pedalisierung; diese haben aber an der empfundenen Klangfarbe einen verhältnismäßig geringen Anteil. Weit größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten, wenn die Kombination mehrerer Töne in den Blick genommen wird: Neben dem Verhältnis der Lautstärken und Tondauern (Artikulation) ist hier insbesondere die zeitliche Gestaltung, also das Timing der einzelnen Noten und damit die Abweichungen von einem metronomisch genauen Spiel (Agogik und Tempo rubato), wichtig für den Ausdruck. Da es sich beim Klavier um ein polyphones Instrument handelt, spielt das Timing nicht nur innerhalb von Melodielinien, sondern auch zwischen unabhängig geführten Stimmen, ja sogar zwischen einzelnen Akkordtönen eine große Rolle. So führt zeitliche Asynchronität beim „melody lead“ dazu, dass die Melodiestimme, beim „bass lead“, dass die Bassstimme kurz vor den übrigen Tönen gespielt wird. Analysen unterschiedlichster Interpretationen, beginnend mit den frühesten Aufnahmen auf Notenrollen bis hin zu neueren Einspielungen auf Computerflügeln, ermöglichen die genaue Untersuchung solcher Techniken und damit Rückschlüsse auf deren gewandelten Einsatz im Laufe der Interpretationsgeschichte.

Im Rahmen eines 30-minütigen Vortrags wird zunächst der Forschungsstand (historische Quellen sowie neuere Forschungen aus dem Bereich der Interpretationsforschung und Akustik) zu den Timing-Aspekten zusammengefasst. Sodann werden die verschiedenen Techniken am Klavier demonstriert, um die Aufmerksamkeit für Phänomene zu schärfen, die Hörende normalerweise nur unbewusst wahrnehmen. Anschließend werden anhand eines Interpretationsvergleichs von neun Aufnahmen der Chopin-Nocturne op. 9/1 unterschiedliche Personalstile sowie Tendenzen der Interpretationshistorie beleuchtet.

 
15:30 - 17:00Kaffeepause
Ort: Mensa Campus Sachsendorf
17:00 - 17:30Umzug zum Zentralcampus
17:30 - 19:00Dozierendenkonzert "Musik im Wandel – Strukturen im Wandel"
Ort: Zentralcampus Audimax
19:00 - 20:30Gemeinsames Abendessen
Ort: Foyer Audimax
20:30 - 22:30Mitgliederversammlung
Ort: Zentralcampus Audimax
Datum: Sonntag, 06.10.2024
9:30 - 9:45Schlussworte
Gregor Fuhrmann, Stephan Lewandowski
BTU Cottbus-Senftenberg
Ort: Raum 15V.110
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
 
9:45 - 11:00Keynote: Deformation oder Transformation? Tendenzen der „Sonatenform“ um 1900
Stefan Keym
Universität Leipzig
Ort: Raum 15V.110
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle

Deformation oder Transformation? Tendenzen der „Sonatenform“ um 1900

 
11:15 - 12:15Treffen AG Musikunterricht
Ort: Raum 11.318
11:20 - 11:50Joan Manens Tonsprache - Untersuchung am Beispiel der Fantasia-Sonata und ihrer Orchestrierung
Daniló Kunze
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle, Freie Beiträge
Stichworte: Joan Manen, Stilpluralismus, Orchestrierung, Gitarre

Die Werke Joan Manéns (1883–1971) spiegeln in besonderer Weise den Stilpluralismus im Fin de siecle wider: Neben Einflüssen aus der Musik seiner kompositorischen Vorbilder Beethoven, Strauss und Wagner sind in Manéns Schaffen Anklänge an Ravel und de Falla sowie rhythmische und melodische Elemente unverkennbar, die ihren Ursprung in spanischer Folklore haben. Als Wunderkind an der Geige führten ihn früh Konzertreisen durch Amerika und Europa, wo er unter anderen Bekanntschaft machte mit Bruch, Dvorak und Kreisler sowie gemeinsam mit Richard Strauss konzertierte. In den 1920er bis 30er Jahren war er zudem als Komponist und Dirigent erfolgreich und konzertierte mit renommierten Orchestern wie den Berliner Philharmonikern. Seine Werke - insbesondere seine Opern - fanden in Deutschland großen Anklang.

In dieser Studie steht Manéns Werk Fantasia-Sonata A-22 (1929) für Gitarre im Mittelpunkt, welches der Komponist 1937 für Orchester umgearbeitet hat und als Divertimento A-37 veröffentlichte. Anhand einer vergleichenden Analyse wird auch am Instrument gezeigt, inwiefern die Idiomatik der Gitarre die Grundlage der Harmonik und Satztechnik des Werkes bildet, welche Änderungen die orchestrierte Fassung aufweist und wie Manén bei der Instrumentation seiner Komposition vorgeht. Die Ergebnisse werden einer ähnlichen Bearbeitung, den Quatre pièces brèves (1933) von Frank Martin, gegenübergestellt. Im letzten Schritt wird die umgekehrte Perspektive eingenommen: Anhand einer eigenen Fassung der Fantasia-Sonata kann nachvollzogen werden, wie sich die Klangfarben verschiedener Instrumente auf die Gitarre übertragen lassen. Diese Bearbeitung wird ebenfalls am Instrument demonstriert und in Auszügen zu Gehör gebracht.

Neben klanglichen sowie spieltechnischen Aspekten der Gitarre und der Wechselwirkung zwischen Sololiteratur und Orchesterfassung, soll diese Studie ein Beitrag zur Aufarbeitung des in der Forschung bisher kaum berücksichtigten kompositorischen Schaffens Joan Manéns sein.

Literatur:

Cortès, Francesc, "Manén i Planas, Juan" in MGG Online, hg. von Laurenz Lütteken (New York, Kassel, Stuttgart: 2016ff.).

Manén, Joan, Mis experiencias, 3 Bände (Barcelona: 1944–1970).

McCabe, Brent Poe, A Performer’s Guide and New Critical Edition of Frank Martin’s Quatre Pièces Brèves (PhD diss., University of Arizona, 2000).

 
11:20 - 11:50Tonalität bei Debussy – Tonfeldanalysen ausgewählter Klavierwerke
Georg Thoma
Hochschule für Musik Freiburg, Hochschule für Musik und Theater München
Ort: Raum 7.139
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Debussy, Tonfeldtheorie, Tonalität, Tonalitätsforschung, Fin de siècle, Impressionismus

Bis heute ist das Klischee nicht völlig überwunden, in Debussys Werken würden Akkorde »willkürlich, ohne logische Beziehungen aneinander gereiht« (Kölsch (1937), und es sei »unmöglich […] über die Verbindungen und Fortschreitungen dieser Akkorde etwas über das Allgemeine Hinausgehendes, Gesetzmäßiges festzustellen«. Zwar sind mittlerweile zahlreiche dezidierte Untersuchungen zur Musik Debussys erschienen, die dem widersprechen. Doch nach wie vor dominiert im Musiktheorie-Unterricht an Hochschulen eine rein deskriptive Analyse der Harmonik Debussys, die sich im Wesentlichen darauf beschränkt, Skalen, Akkordtypen und Kompositionstechniken zu benennen und im Werk aufzuspüren.

Doch in welcher Beziehung stehen die Einzelereignisse mit dem Werkganzen? Welche Strukturen stiften in Debussys Musik den musikalischen Zusammenhang? Die Tonfeldtheorie nach Albert Simon (Haas 2004) kann helfen, diese Fragen zu beantworten. Der Vortrag knüpft an mehrere Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit an, die die Tonfeldtheorie auch auf Werke Debussys beziehen (Polth 2011, Winkler 2013).

Auf Basis einer klaren Begriffstrennung zwischen ›Akkord‹, ›Skala‹ und ›Tonfeld‹ werden von Debussy verwendete Akkorde, Tonfelder und Fortschreitungsmuster systematisiert. Anschließend wird an ausgewählten Beispielen aus den Préludes, Images und Estampes gezeigt, wie Tonfelder tonalen Zusammenhang stiften. Dabei differenziert die Analyse zwischen verschiedenen strukturellen Schichten, um die Felder sinnfällig zueinander in Beziehung zu setzen. Auch typische Probleme von Tonfeldanalysen wie der Umgang mit ›feldfremden Tönen‹ und Feldüberlagerungen werden thematisiert.

Ein Desiderat der Tonfeld-Analytik stellt bisher deren didaktische Aufbereitung und Vermittlung dar: Die Komplexität der Analysen erschwert (ähnlich wie im Bereich der Schenker-Analytik) mit der Theorie nicht Vertrauten den Nachvollzug. Der Vortrag möchte exemplarisch demonstrieren, wie grafische Darstellungen in Verbindung mit klanglichen Demonstrationen über Rekompositionen, die sich schrittweise dem Original nähern, dazu beitragen können, Zusammenhänge besser nachvollziehbar zu machen.

 
11:20 - 11:50Forgery in Musical Composition: Aesthetics, History, and the Canon
Frederick Reece
University of Washington, United States of America
Ort: Raum 11.109
 
Buchpräsentation
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge
Stichworte: forgery, authenticity, attribution, style, period composition

Forgery in Musical Composition is the act of intentionally misattributing one’s own newly created musical works to figures from the historical past. My forthcoming book of this title will examine the methods and motives of successful forgers in classical music culture while advancing a novel thesis grounded in detailed analyses of genuine fakes. The study contends that, rather than simply imitating pre-existing works, the most convincing compositional forgeries put an anachronistic twist on old-fashioned styles and techniques. Thus forgeries can be understood not as imperfect facsimiles of historical compositions but rather as documents of aesthetic prejudice which reflect modern-day ways of hearing, theorizing, and evaluating the musical past.

This presentation illustrates the book’s core analytical argument by addressing a range of scores created in the twentieth century yet passed off as works by celebrated composers from the 1600s and 1700s. Fritz Kreisler disguised La Précieuse (1910) as a work by Louis Couperin using contrary-motion parallel 5ths which today sound more evocative of the pseudo-medievalism of the Belle Époque character piece than any authentic product of the seventeenth century. Henri Casadesus’s “Handel” Viola Concerto (1924) begins with an asymmetrical 3 + 2 + 3 harmonic rhythm which develops into a 7-measure phrase distinctly reminiscent of interwar neo-classical riffs on music from the 1700s. More recently, Vladimir Vavilov grounded the popular “Caccini” Ave Maria (1970) in a descending minor tetrachord loop which might have sounded plausibly Baroque if not for the inclusion of unprepared dominant-thirteenth chords all but identical to Joseph Kosma’s mid-century jazz take on the minor tetrachord sequence in Autumn Leaves (1945).

Analyses such as these suggest that forged works have important truths to tell us about the history of musical technique precisely because they are not what they appear. On an aesthetic level, the book proposes that successful forgeries tend not to pass the test of time for the very same reason that they work so spectacularly on first hearing. And it is in this sense that the timely untimeliness of forgeries can itself emerge as a rich subject of inquiry for a music theory in transition.

 
11:20 - 11:50Intertextuality in Wayne Shorter’s “Lester Left Town”
Barbara Bleij
Conservatory of Amsterdam, Netherlands, The
Ort: Raum 11.301
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Wayne Shorter, jazz composition, intertextuality

Wayne Shorter's work, both as a saxophonist and as a composer, stands out within jazz. Despite the broad recognition of his importance and the influence his work exerts on others, in-depth analysis of his work is still relatively sparse. In this paper I present an analysis of “Lester Left Town” (Art Blakey & the Jazz Messengers, The Big Beat, 1960), a tribute to Lester Young written shortly after his death. The paper focuses on how the material is completely original on the one hand but uses and refers to the work of Lester Young on the other. It

is possible to substantiate the references not only by analysis but also by comparing the recorded version of “Lester Left Town” with the copyright deposit (held in the Library of Congress). By “incorporating” these references to Lester Young’s work, Shorter engages with an important feature of jazz, to wit, the tradition of what we can broadly term “quoting.” In “Lester Left Town,” Shorter’s original way of quoting creates both a sophisticated network of intertextuality and a strong composition in its own right.

 
11:20 - 12:20Open-Access-Workshop – Digitales Publizieren im Fachrepositorium 'musiconn.publish'
Christian Kämpf
SLUB Dresden, Deutschland
Ort: Raum 9.118
 
Workshop
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Open Access, Elektronisches Publizieren, Multimedia-Inhalte, Journals

musiconn.publish (https://musiconn.qucosa.de/) ist das Open-Access-Repositorium für musikwissenschaftliche und musikbezogene Fachliteratur. Das vom Fachinformationsdienst Musikwissenschaft bereitgestellte Repositorium bietet aktuell Zugriff auf über 2000 monographische Veröffentlichungen und auf 13 Fachzeitschriften, darunter bspw.
Die Musikforschung und das Bach-Jahrbuch.

Dabei wird das Repositorium aktuell für weitere Publikationsformen geöffnet. Neben PDF-Dateien können schon jetzt auch Veröffentlichungen mit multimodalen und multimedialen Inhalten (Bildergalerien, Audios, Videos, Noten, Forschungsdaten, dynamische Statistiken usw.) in HTML und anderen Formaten erfolgen (enhanced publications), wofür bereits Publikationen musiktheoretischer, musikpädagogischer und künstlerischer Forschung in Planung sind.

In einem 90-minütigen Workshop werden die gegenwärtigen und zukünftigen Servicebestandteile von musiconn.publish sowie die dahinterstehenden technologischen Entwicklungen vorgestellt und für eine weiterhin Community nahe Ausrichtung des Angebots mit denTeilnehmenden diskutiert. Im Mittelpunkt des Workshops stehen dabei insbesondere Fragen zur Rechteklärung, zur Langzeitarchivierung und Referenzierbarkeit, zur Rechteausweisung (CC-Lizenzen) und zu verschiedenen Open-Access-Modellen im Fachrepositorium und darüber hinaus. Anhand konkreter Beispiele sollen juristische Stolpersteine erläutert werden. Denn gerade die rechtlichen Fragestellungen beim Online-Publizieren sind komplex und können neben Urheber- und Leistungsschutzrechten auch Persönlichkeitsrechte betreffen, wenn es beispielsweise im Rahmen künstlerischer Forschung um die Veröffentlichung von Videomaterial geht.

Die Leistungen, die der FID für das elektronische Publizieren für Autor*innen und Herausgeber*innen bietet, sowie die etablierten Workflows und Kooperationen mit Verlagen und anderen Akteuren werden ausführlich besprochen. Der Workshop ist auf einen intensiven und offenen Austausch mit den Teilnehmenden ausgelegt. Rückfragen, Anregungen und die Anmeldung neuer Bedarfe sind herzlich willkommen!

 
11:20 - 12:20Encounters - Begegnungen von und mit zwei Akkordeons
Daniel Roth, Marius Staible
HfM Franz Liszt Weimar, Deutschland
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre, Freie Beiträge
Stichworte: Akkordeon, Komposition, Instrumentation

Das Akkordeon ist aus der aktuellen Musik nicht wegzudenken – es ist ein viel

gefragtes Instrument, das solistisch oder in verschiedensten Ensemblebesetzungen in Erscheinung tritt. In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Reiko Füting wurde dem Instrument an der Manhattan School of Music ein besonderes Projekt gewidmet: Sieben junge Komponist:innen erhielten Kompositionsaufträge für Akkordeonduo.

In dem Vortrag werden die entstandenen Kompositionen analytisch unter den Gesichtspunkten der Klangfarbe, Satztechnik und Spieltechnik betrachtet und Auszüge aus den Werken aufgeführt. Verschiedene Entwicklungsstadien und Realisierungsmöglichkeiten sollen verglichen werden, um die gewünschten Klangflächen und Texturen zu realisieren.

Folgenden Fragen wird im Rahmen im Rahmen dieser Studie nachgegangen:

welche Ansätze bieten eine Erweiterung der Spielerfahrung, welche sind vielleicht schlichtweg nicht mehr realisierbar?
Wie können Elemente aus der elektronischen Akustik, wie Delay oder Reversed Sounds und auf dem Akkordeon realisiert werden? Wie kann ein Tennisball dabei behilflich sein, Ligeti-artige Klangflächen auf dem „Volksmusikinstrument“ zu kreieren?
Wie kann die räumliche Verteilung der tongebenden Elemente des Akkordeons kompositorisch nutzbar gemacht werden?

Ergänzend soll das Stück Encounters des erfahrenen Akkordeon-Komponisten Uroš Rojko analytisch untersucht und ausschnittweise gehört werden.

Die vorgestellten Kompositionen wurden bereits im Rahmen der Zusammenarbeit in New York, Toronto und im BKA Theater in Berlin zur Uraufführung gebracht.

Die Ergebnisse sollen Einblicke in die Instrumentation für Akkordeon anhand von aktuellen Stücken geben. Die Gedankenverläufe des Interpreten sollen dabei aufgezeigt und veranschaulicht werden.

Literatur:

Zoellner, Eva: Komponieren für Akkordeon, are-Verlag, Bochum 2021

Tsao, Ming. Helmut Lachenmann’s „Sound Types“, Perspectives of New Music,

Vol. 52, No. 1 (Winter 2014), pp. 217–238

 
11:20 - 13:20Transkulturelle Musiktheorie: Ideen, Chancen, Herausforderungen
Stephan Schönlau1,3, Tiago de Oliveira Pinto2, Sarvenaz Safari1,4, Ehsan Mohagheghi Fard2, Reinhard Schäfertöns1
1: Universität der Künste Berlin; 2: Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar; 3: Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden; 4: Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig
Ort: Raum 9.222
 
Vortragspanel mit moderierter Diskussionsrunde
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Post-pandemic era, Internationalisierung und Digitalisierung. Herausforderungen der Musiktheorie in aktueller Forschung und Lehre
Stichworte: Transkulturalität, Transkulturation, Hochschullehre, aktuelle Musikpädagogik, aktuelle Kompositionspraxis

Gibt es neben dem „historic turn“ und dem „cultural turn“ auch einen „transcultural turn“, um den komplexen Verflechtungen unserer globalisierten (Musik-)Welt gerechter zu werden? Anknüpfend an Theorien von Fernando Ortiz und Wolfgang Welsch möchten wir transkulturelle Musiktheorie als Chance begreifen, historische oder auch kulturspezifische Phänomene nicht vorrangig isoliert zu betrachten, sondern auf das Gemeinsame, Verbindende zu schauen, so wie es auch Kofi Agawu 2022 in der ersten GMTH International Music Theory Lecture anregte. Zu einer Zeit, in der Abgrenzungsversuche zwischen vermeintlich inkompatiblen Kulturen zunehmend im Widerspruch zur Lebenswirklichkeit vieler Menschen stehen, wird das Verständnis der Vielschichtigkeit soziokultureller Zugehörigkeitsgefühle und Praktiken immer wichtiger. Die Auseinandersetzung mit Musik verschiedener Weltregionen und ihrer mannigfaltigen Überlappungen bereichert letztlich auch unser Verständnis, und das unserer Studierenden, für das jeweils „eigene“ (Kern)repertoire und mag, in Anlehnung an Humboldts „Methode des weltweiten Vergleichens und In-Beziehung-Setzens“, gleichzeitig zu einer „selbstkritischen Hinterfragung eigener, kulturell geprägter Forschungsansätze im Kontext jeweils spezifischer Kulturen des Wissens“ führen (Ottmar Ette: Alexander von Humboldt und die Globalisierung).

Pinto: Musikalische Transkulturation. Einige Thesen und Erfahrungen

Der Begriff musikalischer Transkulturation kam Anfang der 1970er Jahre in die (Ost-)Berliner Musikwissenschaft und geht auf den im vom kubanischen Sozialwissenschaftler Fernando Ortiz geprägten Begriff der transculturación zurück, den er 1940 in die kubanische Historiografie, lange vor der Debatte um Transkulturalität hierzulande, einbrachte. Im spanischsprachigen Raum ist der Begriff seither etabliert. Der neuere Weimarer Schwerpunkt in musikalischer Transkulturation, ab 2009, knüpft an die Theorie von Ortiz an. Entscheidend bei Transkulturation ist, dass sie das dichotome Verhältnis von Eigenem und Fremden aufhebt, da bei diesem theoretischen Ansatz nicht Differenzen im Vordergrund stehen, die gegeneinander ausgespielt, sondern jene Aspekte bekräftigt werden, die trotz und in Anerkennung von Differenzen, kreative Verbindungen ermöglichen und Neues schaffen. Im Gespräch mit dem kubanischen Musikwissenschaftler Olavo Alén Rodrigues sollen einzelne Erfahrungen aus den Weimarer Transcultural Music Studies vorgestellt werden, die Bereiche der Musiktheorie, aber auch der Musikpädagogik und Komposition miteinschließen.

Safari: Von den wesentlichen Veränderungen der musikalischen Verzierung

Persische Teppichknüpferei, europäische Rokokogärten, japanische Kumiko-Patterns oder Michelin-Restaurants weltweit: diese Beispiele tragen einen Wunsch in sich, der auch die Musik als Zeit- und Raumkunst prägt: den Wunsch nach Ornamentieren. Trotz der Vertrautheit des Verzierens bleibt die Frage, inwieweit man in der Gegenwartsmusik, samt aller ästhetischen Richtungen, überhaupt von Verzieren sprechen kann. Kann man von einer „Theorie“ der Ornamentation als Teil einer transkulturellen Musikkultur sprechen, einer Theorie, die sich nicht auf lineare Gestaltung beschränkt, sondern die „wesentlichen Veränderungen“ der Zeit im engeren (Notation und Ausführung) und im weiteren Sinne (technischen Entwicklungen, Mikrotonalität bis zum „acoustic ornament“) widerspiegelt? Vielleicht ist Verzieren das musikalische Phänomen, das die Musik am breitesten nicht nur als Zeitkunst präsentiert, sondern sie vielmehr als Raumkunst in den Vordergrund stellt.

Schönlau: Transkulturelle Bezüge ostinater Akkordfolgen in südafrikanischer Popmusik

In der RATM-Sonderausgabe Can we talk of a passacaglia principle? schreibt Susanna Pasticci etwas pointiert, die europäische Musik sei von zwei grundlegenden strukturellen Prinzipien geprägt: des Sonatenprinzips und des Ostinatoprinzips. Obwohl die sich oftmals auf die drei Hauptfunktionen der Dur-Moll-Tonalität beschränkenden ostinaten Akkordfolgen, die vielen südafrikanischen Songs zugrunde liegen, ihren Ursprung zweifelsohne in der Verbreitung christlicher Religion und Musik (auch durch deutsche Missionare) sowie dem damit vermittelten Kulturimperialismus haben, zeugt deren anhaltende Verwendung auch von einer Widerständigkeit, die sich in der Verbindung von „europäischer“ Harmonik und „afrikanischen“ strukturellen Prinzipien zeigt, einer Verbindung, die letztlich der Apartheidsdoktrin der „separate development“ zuwider lief. Eine Analyse und Thematisierung dieses Repertoires erlaubt es auch uns Lehrenden, uns mit der eigenen Kolonialgeschichte und der damit verbundenen Verantwortung auseinanderzusetzen und dieses Bewusstsein an Studierende weiterzugeben.

Mohagheghi-Fard:

An zahlreichen Musikhochschulen wächst das Bestreben, Musikkulturen, die nicht dem etablierten Kanon angehören, in das Curriculum zu integrieren. Dies geschieht durch Seminare zu diesen Themen sowie durch Einbindung transkultureller Musik in traditionelle Fächer wie Höranalyse, Musiktheorie und Gehörbildung. Die Integration in die musiktheoretischen Fächer kann auf drei Arten erfolgen: erstens durch Bereicherung des akustischen Erfahrungsschatzes durch nicht-kanonische Musik; zweitens durch detaillierte Erforschung einer spezifischen Musikkultur und ihrer Systeme, sei es auf der Makroebene des Gesamtsystems oder durch Mikroanalysen einzelner Musikstücke; drittens durch Anwendung pädagogischer Methoden aus anderen Musikkulturen zur Vermittlung entsprechender musikalischer Fertigkeiten. Im Vortrag werde ich über eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet, besonders im Hinblick auf klassische persische Musik und Volksmusik Irans berichten und die sich bietenden Möglichkeiten diskutieren.

 
12:00 - 12:30„Vermittlerin von Kulturen“ - Stilübergreifende Einflüsse in Werken Pauline Viardots
Lisa-Marie Haid
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Deutschland
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Kunstlied, kulturelle Einflüsse, Analyse, Komponistin

Die Musik der französischen Sängerin, Pianistin und Komponistin Pauline Viardot (1821–1910) zeichnet sich durch stilistische Vielseitigkeit aus. Ihre spanischen Wurzeln in der reisenden Sängerfamilie Garcìa, die intensive Beschäftigung mit Volksliedern und ihr facettenreiches Wirken als (Opern-) Sängerin prägen ihre Werke. Ihr Können erstreckte sich dabei bis hinein in die Kunst der Improvisation. Ihre Operetten musizierte sie aus Skizzenblättern, die Werke anderer Komponisten spielte sie „auswendig und in jeder beliebigen Tonart“ (Borchard 2016, 109).

Bekannt vor allem als begabte Sängerin, gerät allerdings ihr umfangreiches kompositorisches Schaffen eher in den Hintergrund. Hier brachte Viardot – inspiriert von Franz Schubert und der deutschen Liedtradition – überwiegend Kunstlieder hervor. Viardots Musikverständnis als „Kommunikation […] zwischen verschiedenen Stilrichtungen und Stilebenen, zwischen verschiedenen Musikkulturen“ (Borchard 2016, 243) lädt dazu ein, ihre Kompositionen dahingehend genauer zu untersuchen. Analytisch betrachtet werden in diesem Vortrag u.a. die Lieder Nixe Binsefuß und Der Gärtner, anhand derer verschiedene Einflüsse, z.B. aus dem italienischen Belcanto, sowie Charakteristika in der Gestaltung von Gesangsstimme und Klaviersatz veranschaulicht werden. In der Gegenüberstellung wird deutlich, welche kompositorischen Mittel Viardot im Dienste des Textes einsetzt.

Trotz der Vielseitigkeit ihres Œuvres lassen sich gemeinsame Merkmale erkennen. So wird auch der Frage nachgegangen, inwiefern sich Viardots Entscheidung gegen einen „Personalstil“ (Borchard 2016, 243) in ihren Kompositionen niederschlägt. Während sich die aktuelle Forschung vor allem Viardot als Sängerin widmet, ist dieser Vortrag ein Beitrag zur Forschung über Viardot als Komponistin.

Literatur

Borchard, Beatrix, Pauline Viardot-Garcia. Fülle des Lebens, Bd. 9, (=Europäische Komponistinnen), Köln u.a. 2016.

 
12:00 - 12:30Aesthetics and Metrics of the Fin-de-Siècle Scherzo
Dimitrios Katharopoulos
Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Österreich
Ort: Raum 7.139
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Scherzo, Topic Theory, Metrics, Form

The Scherzo-Type in the transitional fin-de-siècle period (roughly 1890s to 1910s) is one of the more generically malleable and aesthetically ambiguous aspects of the symphonic repertoire. The present study aims to illustrate the different approaches to the Scherzo-Type among composers of different generations and aesthetic contexts within the period, laying focus on the ways they deal with the aesthetic premises of the type in terms of micro- and macroform, timbral organisation, and rhythmic outline of the pieces. The examples I use for this are Pyotr Illyich Tchaikovsky’s Sixth Symphony, Anton Bruckner’s Ninth Symphony, and Gustav Mahler’s Tenth Symphony. The sound qualities and tempo dramaturgies used by these composers shed light to the perception of the Scherzo-Type during the fin-de-siècle and demonstrate both elements of common ground and divergences between these composers and the traditions they represent.

The various versions of the Scherzo of Bruckner’s 9th symphony provide evidence of an evolving sonic quality which encompasses several distinct characters (Göllerich / Auer 1922; Carragan 2024). The two middle movements of Tchaikovsky’s 6th symphony call for different approaches of the dance-types: the second movement is based on the ternary form and uses the unusual 5/4-time signature, while the third movement is a hybrid form of scherzo and sonatina (Kohlhase 1983; Jackson 1999; Taruskin 2009). Finally, Mahler’s multifaceted approach to the Scherzo-type reaches its zenith with his 10th symphony (Karbusicky 1978; Micznik 1994). Despite Mahler dying prior to finishing the entire symphony, the score and short score drafts provide evidence to a three-movement scherzo-structure within the symphony (Op de Coul 1986; Rothkamm 2000, 2003 and 2011).

Ludwig van Beethoven’s extensive use of the Scherzo in his symphonies, developing on the Scherzo-Type established by Joseph Haydn, as well as his innovations in terms of macroform and timbral construction provided the composers of the 19th and 20th century with a valuable space for experimentation with musical parameters such as rhythm, metric manipulations, and melos. This paper, through close analysis of metre and the invocation of different dance types, unearths the ironic manipulations of the symphonic Scherzo-Type in the fin-de-siècle period.

 
12:00 - 12:30Polish Jewish Culture Beyond the Capital: Centering the Periphery
Halina Goldberg
Indiana University Jacobs School of Music, United States of America
Ort: Raum 11.109
 
Buchpräsentation
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Buchpräsentation
 
12:00 - 12:30Musiktheorie und Zukunft. Perspektiven einer polyphonen Musikgeschichte
Anne Hameister, Jan Philipp Sprick
Hochschule für Musik und Theater Hamburg, Deutschland
Ort: Raum 11.301
 
Buchpräsentation
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs
Stichworte: Geschichte der Musiktheorie, Zukunft, disziplinäre Situierung, Forschung

Musiktheorie bietet ein großes Potenzial für das Nachdenken über die zukünftige Entwicklung von Musik. In ihrer kreativen intellektuellen Auseinandersetzung mit musikalischen Strukturen als kulturell determinierte Gefüge hat sie schon immer auch Zukünfte entworfen. Die Beitragenden im Sammelband Musiktheorie und Zukunft. Perspektiven einer polyphonen Musikgeschichte aus Musiktheorie (Transcript 2023) aus den Fächern Musikwissenschaft, Komposition, Geschichtswissenschaft und Philosophie untersuchen dieses Verhältnis von Musik, Musiktheorie und Zukunft in der Vergangenheit und Gegenwart. Dabei fokussieren sie den Zeitraum vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Die historisch-historiographisch angelegte Zusammenstellung der Beiträge provoziert auch die Frage nach der gegenwärtigen Zukunft der deutschsprachigen Musiktheorie. Die Herausgeberin und der Herausgeber positionieren sich in ihrer Einleitung des Bandes mit einem Vorschlag von Musiktheorie als Bindeglied-Disziplin zwischen Komposition und Geisteswissenschaft und führen diesen spekulativen Gedanken in ihrer Buchpräsentation weiter aus: Wie lässt sich nach einem »Jahrhundert der Analyse« der theoriebildende Anteil des Faches zukünftig stärken?

 
12:30 - 14:00Mittagspause
Ort: Mensa Campus Sachsendorf
12:40 - 13:10Das Dilemma und seine Lösung: Eine kurze Diskussion über die Kompatibilität zwischen traditionellen chinesischen Musikelementen und westlichen Musiksystemen
Wei Shen
Universität der Künste Berlin, Deutschland
Ort: Raum 9.122
 
Alternative Individual- oder Gruppen-Formate
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Traditionelle chinesische Musikelemente; Westliche Musik, Musiktheorie, Musikästhetik; Kompatibilität

Im Bereich der Kunstmusik ist die Kompatibilität zwischen traditionellen chinesischen Musikelementen und westlichen Musiksystemen sowohl ein Kernthema, mit dem sich die meisten chinesischen Komponisten unermüdlich beschäftigen, als auch ein neuartiges Thema, das einige westliche Komponisten experimentieren wollten. Die traditionellen chinesischen Kernmusikelemente beruhen auf der Han-Kultur als Grundlage und bestehen theoretisch und praktisch bis heute fort. Im Einzelnen geht es um vier Aspekte: 1. Musiktheorie; 2. Phonetik (phonetische Merkmale der chinesischen Sprache und ihrer Dialekte); 3. Musikinstrumente (instrumentale Klangfarben); 4. Musikästhetik (künstlerische Prinzipien basierend auf den traditionellen chinesischen Ästhetiken). Nach Ansicht des Autors sollte das obige Thema im Kontext „Der Wandel der westlichen Musik“ (d. h. tonale sowie atonale Musiksysteme) diskutiert werden. Daraus ergeben sich zwei gegensätzliche Paradigmen:

1. Traditionelle chinesische Musikelemente und traditionelles westliches Musiksystem: A+B=AB („Kombination“ statt „Innovation“). Aufgrund der Unterschiede zwischen östlicher und westlicher Musiktheorie lassen sich viele Kernelemente der traditionellen chinesischen Musik kaum effektiv in die auf Tonalität basierende traditionelle westliche Musik integrieren. Zum Beispiel: homophonischem pentatonischem Tonsystem – polyphonischem harmonischem Tonsystem; freier und unregelmäßiger Rhythmus – restriktiver regelmäßiger Rhythmus; mäandernde Stimme und tonhöhenverschwommene Melodie – deutliche Stimme und tonhöhenbestimmte Melodie. Obwohl viele Komponisten seit dem 19. Jahrhundert unzählbare Versuche unternommen haben, wären die meisten Ergebnisse nicht wahre „Innovation“, sondern „Kombination“ mit scheinbar neuen Dekorationen, also die sogenannte „Exotik“.

2. Traditionelle chinesische Musikelemente und modernes zeitgenössisches westliches Musiksystem: A+B=C („Innovation“ statt „Kombination“). Im Gegensatz zur ersteren hat die auf Atonalität basierende moderne und zeitgenössische westliche Musik mit bestimmten Elementen der traditionellen chinesischen Musik gemeinsam: Beide basieren nicht auf Harmonie und sind voll von freiem und unregelmäßigem Rhythmus sowie mäandernder Melodie oder Sequenzen. Noch wichtiger ist, dass beide die Natur des Klangs statt der Regel der Tonhöhenkombinationen betonen. Diese Gemeinsamkeiten werden die Barrieren zwischen östlichen und westlichen Musiksystemen durchbrechen, Komponisten kreativen Raum und Vorstellungskraft geben und die „Neugeburt“ fördern.

In diesem Zusammenhang nimmt der Autor sechs in verschiedenen Perioden komponierte chinesische Musikwerke als Beispiele und argumentiert die obige These aus der Perspektive der Musiktheorie, Phonetik und Musikästhetik, und erörtert weiterhin die bidirektionalen Auswirkungen der Integration östlicher und westlicher Musiksysteme.

 
12:40 - 13:20Die Musik von Carola Bauckholt. Komponieren im Spannungsfeld zwischen ästhetischem Lernen und künstlerischem Forschen.
Jürgen Oberschmidt
Pädagogische Hochschule Heidelberg, Deutschland
Ort: Raum 9.118
 
Workshop
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Künstlerische Forschung, Ästhetisches Lernen, Neue Musik

„Ich muss die Dinge irgendwie erleben, also von Büchern einen bestimmten Griff oder einen bestimmten Klang zu nehmen, das ist nicht meins! Ich muss etwas gehört haben, was mich berührt oder etwas selbst gefunden haben, was mich berührt hat. Es ist immer die Berührung, die als Ausgangspunkt stattgefunden haben muss“ (zit. n. Oberschmidt 2014, S. 12). Wenn Carola Bauckholt hier einen Kompositionsprozess skizziert, lässt sich dieses kompositorische Credo sowohl als reale Beantwortung auf Konzepte Künstlerischer Forschung wie auch auf jene frühkindlichen Lernens lesen, ganz gleich ob hier für letzteres die Schriften Johann Gottfried Herders über „die Spielkammer des Kindes“ (Herder 1853, S. 26) bemüht oder die 10 Thesen zur Ästhetischen Bildung von Gerd Schäfer herangezogen werden: „Ästhetische Erfahrung ist damit nichts, was man der kindlichen Entwicklung willkürlich oder auch ergänzend hinzufügen oder einfach von ihr wegnehmen könnte. Sie ist grundlegend dafür, daß ein Kind aus eigener Erfahrung heraus […] sich seine Welt deuten kann“ (Schäfer 1999, S. 30). Somit verbietet es sich, die verschiedenen Autoritäten des Wissens gegeneinander auszuspielen. Wie sich die Komponistin in die subtile Klanglichkeit unserer Alltagswelt begibt, diese „erforscht“ und in ihren hochkomplexen Kompositionen verdichtet – und wie sich außerdem auch das Changieren zwischen Prozessen der Komposition und der Interpretation als künstlerisches Forschen fassen lässt, soll im Rahmen dieses Vortrags im Sinne einer sich entwickelnden Variation dargestellt werden: „Filterung“, „Organisation“, „Beherrschung“ sind hier Schlüsselbegriffe, um Musik aus dem Geräusch her zu erklären“ (Haffter et al. 2014, S. 9).

Wenn nun eine Komponistin das ästhetische Lernen zu ihrem eigenen kompositorischen Konzept macht, dann liegt es nahe, hier mögliche Potenziale für pädagogische Zusammenhängen aufzuzeigen. Das hier zu benennende Elementare darf dabei zugleich auch als das Elementare des Fachs Musiktheorie bezeichnet werden, wenn es sich in den Schnittstellen zwischen Komposition, Interpretation und Analyse mit den Phänomenen der Wahrnehmung und des Verstehens auseinandersetzen möge und wie jede moderne Wissenschaft „zwischen Akademie und Werkstatt“ entstand (Mittelstraß 2014).

 
14:00 - 14:30Den Schluss zum Ziel. Mahlers Einsatz der Kadenz im Adagio der 10. Sinfonie
Tobias Hauser
Musikhochschule Freiburg, Germany
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle

Das Verständnis von Kadenz hat im Laufe des 19. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel durchlaufen. Anstelle der interpunktischen Kadenzlehre des 18. Jahrhunderts tritt die Lehre der harmonischen Funktionen, die ihrerseits nach der Jahrhundertwende von Autoren wie Ernst Kurth und Heinrich Schenker erneut kritisch reflektiert wird. Dadurch entsteht eine vielschichtige Auffassung des Kadenzbegriffs, die funktionale, kontrapunktische und formbildende Elemente beinhaltet.
Im Kontext dieser Mehrdeutigkeit sollen Kadenzmomente im Adagio von Gustav Mahlers 10. Sinfonie beleuchtet werden. Dabei lässt sich der Verlust der herkömmlichen Bedeutung der Kadenz als kodifizierte Schlussformel, die das Ende einer Phrase markiert, beobachten. An deren Stelle treten Momente größter Spannung, die gleichsam den Zielpunkt einer Phrase sowie die Überleitung in die nächste darstellen. Eberhardt Klemm beschreibt die Wirkung, die dadurch entsteht, als »ein dauerndes Auf und Ab, ein ›Unterwegs‹, dessen Durchstoß, dessen Ziel dauernd vereitelt wird«.
Der Vortrag untersucht insbesondere, welche kontrapunktischen und harmonischen Mittel Mahler an diesen Stellen verwendet und wie diese historisch einzuordnen sind. Zudem wird die formale Bedeutung dieser Mittel für die Gesamtkonzeption des Werkes analysiert.

 
14:00 - 14:30Rethinking Beethoven’s Late Style: A Multi-Parametrical Analysis in Op. 132/I, with an Emphasis on Hypermetrical Perspective
Wanyi LI
University of Manchester, United Kingdom
Ort: Raum 7.139
 
Vortrag
Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Freie Beiträge
Stichworte: Beethoven, Late Style, Hypermetre, Lyricism, Continuity.

Beethoven’s late style, as noted by Adorno, is characterised by dissociation and fragmentation. This view is overly simplistic (Swinkin 2013), while lyricism, is often neglected despite its frequent presence in Beethoven’s late works (Kerman et al., 1983).

This study adopts a multi-parametrical approach to lyricism, continuity, and contrast in Beethoven’s Op. 132/I. It examines hypermetrical changes and their interaction with texture, melody, and motivic development, illuminating the characteristics of Beethoven’s late style.

This A-minor sonata movement has an unusual structure: the exposition presents the main and subordinate themes in A minor and F major, followed by a short development. The first recap transposes these themes to E minor and C major, and a loose second recap returns to the tonic A minor.

The comparison of two codettas highlights the interplay between lyricism and structural discontinuity through melody and hypermetre. A concise two-bar codetta at the end of the exposition (bars 73-74) is replaced by a five-bar version in the first recap (bars 188-192, 2+2+1), featuring a smoother melodic line that enhances lyricism. However, the hypermetrical structure of the second codetta is interrupted at the start of the second recap, as a two-bar unit is truncated to one bar, disrupting temporal progression and underscoring the structural boundary between the recaps. Thus, melody and hypermetre distinctly manifest lyricism and discontinuity, enriching our understanding of Beethoven's late style.

Another example illustrates how continuity and lyricism are enriched through motivic development, hypermetre, expression markings, and texture. In the second recap, tetrachordal and main theme motives increasingly overlap, while Adagio bars, prominent in the exposition and first recap, are omitted. These adjustments, along with hypermetrical stability, maintain the temporal progression and thus enhance continuity. Meanwhile, balanced interactions among all four voices create a richer texture, complemented by increased espressivo markings in their intimate dialogue, evoking heightened lyricism.

Ultimately, this study demonstrates how diverse musical parameters, such as hypermetre, texture, and melody, embody contrasting stylistic features within Beethoven's late style, including lyricism, continuity, and contrast. Adopting a multi-parametrical approach deepens our understanding of the multifaceted nature of Beethoven's late style, enriching a burgeoning of Beethoven scholarship.

 
14:00 - 14:30Tempo and Performance on Tchaikovsky’s Symphony Pathétique, First Movement: Analysis and Interpretation
Claudia Patanè
Università di Roma Tor Vergata, Italy
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: analysis, tempo, performance, embodiment, conducting

The problem of tempo has always been a challenge for conductors, particularly in late Romantic symphonic music, in which the individuality, beliefs, and personal issues of the composers imbued the scores with narratives that do not match the conventional tempos established in Eighteenth century music. A challenging score in this respect is Tchaikovsky's Pathétique Symphony, op. 74.

This paper focuses on a passage of this symphony: the development climax of the first movement (closely from bar 277 to 304). The lack of tempo indications (except for a largamente forte possibile in the strings) makes the formal interpretation of these bars puzzling. The harmony is stable on a F sharp in the bass before the beginning of this section, which formally results in a huge "standing on the dominant", the trombones and tuba play an ascending Orthodox hymn based on a fifth and, later, fourth up motion while the strings respond with a descending B minor harmonic scale. This passage represents the emotional climax (Ji Yeon Lee, Climax Building in Verismo Opera: Archetype and Variant) of the development, but it is also a parenthetical insertion: for a conductor the choice of the tempo is crucial. For this passage David Epstein's approach in Shaping Time cannot apply: there is no proportion among the parts but interrelation between stability and unsteadiness as equal parts of a larger unity.

Considering it as a non-structural emphasis (Epstein) I argue that this passage is in a state of suspended motion, in which the lack of metrical and rhythmic regularity paradoxically increases the tension leading to the recapitulation.

 
14:00 - 14:30Gute Musik zum bösen Spiel. Beobachtungen zu Kompositionstechniken im Film
Elke Reichel
HfM Weimar, Deutschland
Ort: Raum 9.122
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Filmmusik, Dramaturgie, audiovisuelle Analyse, Spielfilm

›Böse Pläne‹ und ihre Verwirklichung sind seit dem Altertum bedeutsame Elemente der dramatischen Kunst – das französische Wort intrigue bedeutet sowohl ›geheime Machenschaft‹ als auch ›Bühnenhandlung‹. Inspiriert durch Peter von Matts literarische Monografie Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist aus dem Jahr 2006 setzt sich der Beitrag mit Kompositionstechniken für die Ausführung ›heimtückischer Pläne‹ im Spielfilm als einer modernen Form dramatischer Kunst auseinander.

Bereits in der Poetik des Aristoteles wird die Melopoeia als einer der sechs essentiellen Teile der Tragödie herausgehoben. Doch wirkt Filmmusik gerade in spannenden Szenensequenzen oft unterschwellig. Nur selten steht sie im Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn Zuschauer*innen die Umsetzung einer ebenso komplexen wie teuflischen Idee auf Leinwand oder Bildschirm verfolgen. Jenseits bewusster Wahrnehmung oder gar analytischer Auseinandersetzung wirkt die Musik unmittelbar auf emotionaler Ebene und entfaltet so eine als manipulativ zu bezeichnende Wirkung. Sie wird auf diese Weise Teil eines übergeordneten Plans mit dem Ziel, das Publikum in den Bann der Handlung zu ziehen. Der Einsatz von Kompositionsmitteln erfolgt dabei höchst zielgerichtet und unter Bezugnahme auf Elemente und Strategien mit jahrhundertealter Tradition. Wird der Beitrag der Musik zum Gelingen des Filmkunstwerks also unterschätzt?

Zur vergleichenden Analyse wird Musik aus verschiedenen zeitlichen und geografischen Entstehungskontexten sowie unterschiedlichen Genres herangezogen, u. a. aus Florian Henckel von Donnersmarcks Oskar-prämiertem Filmdrama Das Leben der Anderen, dessen Musik Gabriel Yared und Stéphane Moucha komponierten, und aus dem vielfach preisgekrönten Film Parasite des südkoreanischen Regisseurs und Drehbuchautors Bong Joon-ho mit Musik von Jung Jae-il.

 
14:00 - 14:30Musiktheorie und Musikpädagogik im Dialog. Zur Problematik des Wissenstransfers in selbstbezüglichen Systemen
Jürgen Oberschmidt
Pädagogische Hochschule Heidelberg, Deutschland
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Wissenstransfer, Musikpädagogik, musikalische Bildung

Finden Musiktheorie und Musikpädagogik ins Gespräch, ergeben sich häufig „Resonanzprobleme“ (Weidner 2010). Gemeint ist hier der z.T. heftig geführte Diskurs, welches System Dienstleisterin des jeweils anderen sei, als gelte es Machtverhältnisse aufrechtzuhalten und Deutungshoheiten argumentativ zu bemänteln. Der Arbeitskreis Musikunterricht der gmth hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich von diesem Prozedere zu lösen, Beziehungsgespräche zu führen, um voneinander zu lernen und sich über die verschiedenen Denkkulturen, die die jeweiligen wissenschaftlichen Diskurse prägen, zu verständigen: Dies funktioniert, solange sich zwei wissenschaftliche Disziplinen begegnen, um sich über die Zieldimensionen des Musikunterrichts und über den Bildungsauftrag der allgemeinbildenden Schule zu verständigen.

Wenn dieser Dialog auch äußerst fruchtbar verläuft, bleibt die Frage offen, welche Wirkmacht dieser Diskurs im Praxisfeld Schule zuzuschreiben ist, wenn es darum geht, auf den vorfindlichen Musikunterricht als Regelunterricht im System einzuwirken. In seinem großangelegten Essay Du mußt dein Leben ändern beschreibt Sloterdijk das System Schule als ein „leeres Selfish-system, das sich ausschließlich an den Normen des eigenen Betriebs“ orientiere. Sie produziere „Lehrer, die nur an Lehrer erinnern, Schüler, die nur noch an Schüler erinnern“ und kenne nur das eine Hauptfach „Unterricht“ (Sloterdijk 2009, 684).

Im Rahmen dieses Beitrags soll nun dargestellt werden, wie dieses Selfish-system in der Praxis funktioniert, wie Abwehrstrategien gegen alle äußeren Eingriffe greifen, unter welchen Bedingungen hier Wissenschaft zu Rate gezogen wird, nämlich mit dem Ziel, das bestehende System zu optimieren und nicht, um auf dieses verändernd einzuwirken (Oberschmidt 2021).

Anhand ausgewiesener Beispiele aus den schulischen Rahmungen (Bildungspläne, Prüfungsanforderungen im Abitur, Schulbücher) gilt es dann zu zeigen, wie sich hier ein selfish-system nicht nur widerständig zeigt gegen wissenschaftlich angemessene Zugänge, sondern auch gegen jene fachlichen und pädagogischen Diskurse, wie sie im Zusammenspiel von Musiktheorie und Musikpädagogik längst geführt wurden. Nur in einem hier zu diskutierenden Zusammenspiel der Fachdisziplinen bleibt eine Aussicht, die der Musik eingeschrieben Kräfte im Musikunterricht zu mobilisieren und sich gegen ein vorfindliches System zu stellen, um den Musikunterricht zu verändern.

 
14:00 - 14:30Expressionismus im Hörspiel: Walter Goehrs Musik zu Alfred Döblins "Geschichte vom Franz Biberkopf" (1930)
Johannes Kretschmer
HMT Leipzig
Ort: Raum 11.301
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Expressionismus, Hörspiel, Schönberg, Leitmotiv, Instrumentation

Der in jüngerer Zeit von der deutschen Opernwelt wieder entdeckte jüdische Komponist Walter Goehr gehörte in den 20er Jahren zu dem Kreis der Berliner Meisterschüler Arnold Schönbergs. Der vielseitige Musiker betätigte sich dirigierend und komponierend gleichermaßen auf der Bühne, beim Film und dem noch jungen Rundfunk, hier am erfolgreichsten mit der ersten deutschen Funkoper Malpopita 1930. Im selben Jahr wurde auch Alfred Döblins Geschichte vom Franz Biberkopf – ein repräsentatives Beispiel der ersten ‹Blütezeit› des Hörpiels – in der Berliner Funkstunde urgesendet, wozu Goehr die Musik komponierte. Er zeigt sich darin als schöpferischer Minimalist, der auf engstem Zeit-Raum die wechselvollen Stimmungen der Szenen einfängt, andeutet, verstärkt, kommentiert, kurz: Klänge hörspielgerecht einsetzt. In dem überwiegenden Teil von Szenen mit musikalischen Elementen herrschen eher düstere und bedrohliche Stimmungen bzw. dramatische Handlungen vor, was allein schon als expressionistisch anzusprechen ist. Musikalisch gestaltet werden diese Szenen mit scharfen Dissonanzen, Verfremdungs- und Kanontechniken, Leitmotivik und differenzierter Instrumentation. Deutlich tritt hier die kompositorische Herkunft Goehrs aus der Schönberg-‹Schule› zutage. Goehrs individuelle Leistung ist dabei in der geschickten Ausnutzung der Form-auflösenden Tendenzen des expressionistischen Stils für die besonderen Erfordernisse der Hörspielmusik zu sehen. Goehr kann somit als ein bedeutender Pionier dieser Gattung gelten.

 
14:40 - 15:10„Vi maa tilbage – ikke til det Gamle – men – til det Rene og Klare.” – Entwicklungen im Liedschaffen Carl Nielsens um 1900
Sanne Lorenzen
Kunstuniversität Graz
Ort: Raum 7.112
 
Vortrag
Themen: Musiktheorie im Fin de siècle
Stichworte: Carl Nielsen, Kunstlied, modale Harmonik

Während Carl Nielsen international v.a. als großer Symphoniker bekannt ist, wird er in Dänemark besonders für sein umfangreiches Liedschaffen gefeiert. Dabei verläuft seine stilistische Entwicklung in diesen beiden Gattungen vollkommen konträr zueinander. Während seine Symphonien tendenziell immer komplexer werden, orientiert sich Nielsen in seinen Liedern zunehmend an einem formal und harmonisch schlichteren Ideal. War er um 1890 noch stark vom deutschsprachigen Kunstlied inspiriert, nahm er bald vom komplexeren Stil der neueren deutschen Generation Abstand und wünscht sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine „Kunst reinster archaischer Prägung”. In seinem Liederzyklus Strofiske Sange, op. 21 finden sich strophische Lieder mit vereinfachter Melodik und modal geprägter Harmonik. Anhand seines Liedschaffens werden in meinem Vortrag diese stilistischen Veränderungen untersucht.

 
14:40 - 15:10Original oder Bearbeitung? Die zwei Fassungen des Streichquintetts d-Moll von Emilie Mayer
Johanna Kulke
Hochschule Luzern, Schweiz
Ort: Raum 7.139
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: erste berufskomponistin, emilie mayer, blick in die kompositionswerkstatt, beethoven, liszt

Emilie Mayer (1812–1883) galt als erste weibliche Berufskomponistin. Zu ihren

Lebzeiten war sie sehr erfolgreich, in Kritiken wird ihr kompositorischer Stil oft mit dem von Ludwig van Beethoven verglichen. Ihr umfangreiches Œuvre reicht von Kammermusik bis hin zu sinfonischen Werken. Nach ihrem Tod verlor sie jedoch an
Bedeutung, heute gelten einige ihrer Werke als verschollen oder sind noch immer ungedruckt.

Inhalt des Vortrags ist Mayers Streichquintett d-Moll. Franz Liszt bezeichnete dieses Werk als "vortrefflich ausgearbeitet".

Das Werk liegt in zwei Fassungen vor, welche sich in Aspekten der Form, Harmonik und Melodik deutlich unterscheiden.
Welche der beiden Versionen sie zuerst schrieb, lässt sich nicht genau feststellen, zumal sie ihre Werke nicht mit Datum versehen hat. Die Analyse beider Fassungen und deren Vergleich bieten interessante Einblicke in Mayers kompositorisches Schaffen.

Anhand konkreter Werkausschnitte stelle ich in meinem Vortrag dar, nach welchen Kriterien sich die Versionen chronologisch einordnen lassen könnten.

 
14:40 - 15:10Anverwandlungen von Personalstilen in Theodor Kirchners „Ideale, op. 33“
David Florian Müller
HMDK Stuttgart, Germany
Ort: Raum 9.118
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Kirchner, Personalstil, Stilkopie, 19. Jahrhundert

Der Titel Ideale von Kirchners Sammlung an Klavierstücken von 1878-84 bezieht sich auf seine kompositorischen Vorbilder des 19. Jahrhunderts. Dies lässt sich anhand der Geburtsdaten, die vier der fünf Stücke vorausgestellt sind, belegen, welche auf Schumann, Mendelssohn und Schubert verweisen. Es gilt zu untersuchen, ob und inwiefern sich die Personalstile der jeweiligen Komponisten in den Stücken äußern oder wie viel von Kirchner überhaupt selbst in den Klavierstücken steckt. Dabei wird zudem berücksichtigt und problematisiert, dass Personalstile an sich ein schwieriges Konzept sind, da sie sich stets wandeln und schwer fassbar sind. Kirchner, der Zeit seines Lebens schon als Schumann-Epigone angesehen wurde und sich auf kurze Klavierstücke, ähnlich dem frühen Werk Schumanns, beschränkte, war mit diesem persönlich gut bekannt. Ebenso so auch mit Mendelssohn, dessen Schüler er am Leipziger Konservatorium war, weshalb die Referenz zu Schumann und Mendelssohn naheliegt, von Kirchner auch in weiteren Werken noch offenkundiger dargelegt (z.B. ‚Neue Kinderszenen‘). Die Verschlüsselung mittels Geburtsdaten und Anverwandlungen von Personalstilen lässt sich schon bei Schumanns Erinnerung betiteltem und mit den Sterbedaten Mendelssohns versehenen Stück aus dem Album für die Jugend finden. Diese Methodik könnte Vorbild für Kirchners Ideale gewesen sein.

Das letzte der fünf Stücke Kirchners ist mit *** überschrieben. Hier wurde wohl versucht, Diskretion vorzutäuschen, da es sich, so die These, um einen zur Zeit der Komposition noch lebenden Komponisten handelt. Hiermit könnte Johannes Brahms gemeint sein, zu dem Kirchner ebenfalls ein enges Verhältnis hatte. Diese Referenz soll anhand Brahms‘ Personalstil, wie er sich in seinen (frühen) Klavierstücken manifestiert, nachvollzogen werden.

Es wird versucht zu klären, ob es sich bei den Stücken um reine ‚Stilkopien‘ im Sinne einer Huldigung an Kirchners kompositorischen ‚Ideale‘ handelt oder vielmehr um eher subtile Referenzen an die jeweiligen Komponisten. Außerdem wird untersucht, wie es Kirchner gelingt, den Personalstil der anderen zu assimilieren und in sein eigenes Komponieren zu integrieren.

 
14:40 - 15:10Künstlerische Perspektiven der Musiktheorie – ein Projektbericht
Paul Kohlmann, Lisa-Marie Haid, Georg-Friedrich Wesarg, Kanaz Difrakhsh, Daniló Kunze
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Deutschland
Ort: Raum 11.109
 
Vortrag
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Stilkopie, Barock, Projekt, Bericht

In dem Vortrag wird ein Projekt vorgestellt, das auf der Basis von historischen Manuskripten zu einem Konzert mit Originalen und Neuschöpfungen beim Barockfestival „Güldener Herbst“ führte. Dieses Projekt wurde im Hauptfachunterricht Musiktheorie mit einer Klasse von sechs Mitgliedern durchgeführt. Der Vortrag beschäftigt sich mit der Konzeption, der Umsetzung und den Ergebnissen des Projektes.

Unsere Grundfrage lautete: Ist Barockmusik wirklich ein Relikt der Vergangenheit? Untersucht wurden hierfür Kantaten der in Meiningen liegenden Anton-Ulrich-Sammlung – barocke Vokalmusik der Wiener Provenienz, gesammelt 1720 von Herzog Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen. Mithilfe dieser Ergebnisse entstanden Neukompositionen, welche im Rahmen eines Konzertes den italienischsprachigen Originalen gegenübergestellt wurden. Die verbindenden Elemente von Original und Neuschöpfung waren Stilistik und Textgrundlage.

Das Projekt verband Recherchearbeit und kreative Kompositionstätigkeit. Im ersten Schritt durchsuchten wir die Onlinekataloge des Staatsarchives Meiningen hinsichtlich der – in Vereinbarung mit der Festivalleitung vorgegebenen – Besetzung, sichteten die gefundenen Kantaten anschließend vor Ort und wählten die passendsten Kompositionen nach einem ersten gemeinsamen Musizieren aus. In einem nächsten Schritt übersetzten wir die handgeschriebenen Originale in moderne Notenschrift. Parallel zur Transkription analysierten wir die Kantaten hinsichtlich ihrer stilistischen Besonderheiten, der Satzstruktur und ihrer Form. Auf Basis dieser Analysen schrieben wir im Hauptfachunterricht eigene Kompositionen. Der künstlerische Leiter des Festivals, ein erfahrener Cembalist, bereicherte diesen Prozess mit wertvollen Impulsen. Durch Hörgewohnheiten entstandene Parallelen zu Mustern des Hochbarocks wurden so, im Laufe des Projektes, zur italienischen Stilistik gewandelt.

Das Konzertkonzept sah die direkte Gegenüberstellung von Neukompositionen und historischem Material vor. Das Publikum wurde interaktiv eingebunden, in dem es, ähnlich wie bei einem Quiz, abschließend zuordnen sollte, welche Kompositionen historisch und welche neu waren. Die Leitfrage des Projekts war: Wird das Publikum erraten, welche Kompositionen scheinbar „aus der Zeit gefallen“ sind?

Der Vortrag erweitert dies um folgende Diskussionspunkte: Können wir durch solche Ansätze die historisch informierte Musiktheorie wie aus einer Zeitkapsel in unsere Gegenwart holen? Welche Potenziale können sich aus einem solchen Projekt für die zukünftige Ausrichtung von Musiktheorie allgemein ergeben?

 
14:40 - 15:30Der Einfluss der Rezeptionsgewohnheiten von Filmkomponisten auf die Filmmusik (... oder andersherum?)
Susanne Hardt
Hochschule für Musik Carl-Maria von Weber Dresden, Deutschland
Ort: Raum 9.122

Bitte bringen Sie ein mobiles Endgerät und (sofern vorhanden) Kopfhörer mit.

 
Workshop
Themen: Freie Beiträge
Stichworte: Filmmusik, Rezeptionsgewohnheiten, Filmmusikalische Topologien, Musiktheorie, Musikpsychologie

Das aktuelle Angebot einer Vielzahl von unterschiedlichen Streaming-Anbietern ermöglicht einem großen Teil der Gesellschaft einen einfachen Zugang zu einer großen Auswahl an unterschiedlichen Filmen und Serien. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass moderne Produktionen, die auf diesen Streaming-Diensten zu finden sind, häufig stereotype Gestaltungsmerkmale im Zusammenspiel von dramaturgischem Ablauf, Videodesign und Musikkomposition aufweisen („Filmmusikalische Topologien“). Es ist davon auszugehen, dass auch Filmkomponisten durch die Entwicklung vergleichbarer Rezeptionsgewohnheiten zunehmend in ihrer eigenen Arbeitsweise beeinflusst werden (zum 'SFP-Modell': Lehmann 1994, 122-126). Um diese Annahme zu untersuchen, wurden alle 26 Einreichungen zum Wettbewerb für Filmmusik und Sounddesign im Rahmen des Filmfestivals „Kurzsüchtig“ in Leipzig (2023) hinsichtlich ihrer individuellen kompositorischen Gestaltung der Musik zum Bild analysiert und anschließend verglichen. Die Resultate der Studie korrelieren mit dem Ergebnis einer weiteren empirischen Studie zum Einsatz vergleichbarer kompositorischer Strukturen in industriell produzierten aktuellen Filmen.

Im Workshop werden zunächst zwei konkrete filmmusikalische Topologien praktisch erfahrbar gemacht und besprochen. Das so erarbeitete Ergebnis wird dann in Relation zu den beiden genannten empirischen Untersuchungen gesetzt. Abschließend wird gemeinsam diskutiert, inwieweit diese Zusammenhänge eher auf eine Beeinflussung der Rezeptionsgewohnheiten von Filmkomponisten und Regisseuren (vgl. Schneider 2011; Kümpel 2008; Lissa 1965) oder möglicherweise eher ein zugrunde liegendes wahrnehmungspsychologisches Muster (vgl. Tsogli et al. 2022; Levitin et al. 2018; Margulis 2014) hinweisen.

 

 
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