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Künstlerische Perspektiven der Musiktheorie – ein Projektbericht
Paul Kohlmann, Lisa-Marie Haid, Georg-Friedrich Wesarg, Kanaz Difrakhsh, Daniló Kunze
Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Deutschland
In dem Vortrag wird ein Projekt vorgestellt, das auf der Basis von historischen Manuskripten zu einem Konzert mit Originalen und Neuschöpfungen beim Barockfestival „Güldener Herbst“ führte. Dieses Projekt wurde im Hauptfachunterricht Musiktheorie mit einer Klasse von sechs Mitgliedern durchgeführt. Der Vortrag beschäftigt sich mit der Konzeption, der Umsetzung und den Ergebnissen des Projektes.
Unsere Grundfrage lautete: Ist Barockmusik wirklich ein Relikt der Vergangenheit? Untersucht wurden hierfür Kantaten der in Meiningen liegenden Anton-Ulrich-Sammlung – barocke Vokalmusik der Wiener Provenienz, gesammelt 1720 von Herzog Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen. Mithilfe dieser Ergebnisse entstanden Neukompositionen, welche im Rahmen eines Konzertes den italienischsprachigen Originalen gegenübergestellt wurden. Die verbindenden Elemente von Original und Neuschöpfung waren Stilistik und Textgrundlage.
Das Projekt verband Recherchearbeit und kreative Kompositionstätigkeit. Im ersten Schritt durchsuchten wir die Onlinekataloge des Staatsarchives Meiningen hinsichtlich der – in Vereinbarung mit der Festivalleitung vorgegebenen – Besetzung, sichteten die gefundenen Kantaten anschließend vor Ort und wählten die passendsten Kompositionen nach einem ersten gemeinsamen Musizieren aus. In einem nächsten Schritt übersetzten wir die handgeschriebenen Originale in moderne Notenschrift. Parallel zur Transkription analysierten wir die Kantaten hinsichtlich ihrer stilistischen Besonderheiten, der Satzstruktur und ihrer Form. Auf Basis dieser Analysen schrieben wir im Hauptfachunterricht eigene Kompositionen. Der künstlerische Leiter des Festivals, ein erfahrener Cembalist, bereicherte diesen Prozess mit wertvollen Impulsen. Durch Hörgewohnheiten entstandene Parallelen zu Mustern des Hochbarocks wurden so, im Laufe des Projektes, zur italienischen Stilistik gewandelt.
Das Konzertkonzept sah die direkte Gegenüberstellung von Neukompositionen und historischem Material vor. Das Publikum wurde interaktiv eingebunden, in dem es, ähnlich wie bei einem Quiz, abschließend zuordnen sollte, welche Kompositionen historisch und welche neu waren. Die Leitfrage des Projekts war: Wird das Publikum erraten, welche Kompositionen scheinbar „aus der Zeit gefallen“ sind?
Der Vortrag erweitert dies um folgende Diskussionspunkte: Können wir durch solche Ansätze die historisch informierte Musiktheorie wie aus einer Zeitkapsel in unsere Gegenwart holen? Welche Potenziale können sich aus einem solchen Projekt für die zukünftige Ausrichtung von Musiktheorie allgemein ergeben?