Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung. Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.
Bitte beachten Sie, dass sich alle Zeitangaben auf die Zeitzone des Konferenzortes beziehen. Die momentane Konferenzzeit ist: 09. Mai 2025 22:58:55 MESZ
Zeitliche Gestaltungsmittel zur Interpretation von Klaviermusik. 'Tempo rubato' und weitere Timing-Aspekte im Wandel der Zeit
Georg Thoma
Hochschule für Musik Freiburg, Hochschule für Musik und Theater München
Während auf vielen Melodieinstrumente schon bei einem einzelnen Ton verschiedene Klangfarben unabhängig von dessen Lautstärke erzeugt werden können, sind die Möglichkeiten klanglicher Gestaltung am Klavier begrenzter: Neben der Lautstärke (an die auch die Klangfarbe gekoppelt ist) und der Tondauer gibt es zwar noch einige weitere Parameter, die beim Spiel kontrolliert werden können, so Umfang und Timing der Nebengeräusche sowie Art und Geschwindigkeit der Dämpfung und Pedalisierung; diese haben aber an der empfundenen Klangfarbe einen verhältnismäßig geringen Anteil. Weit größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten, wenn die Kombination mehrerer Töne in den Blick genommen wird: Neben dem Verhältnis der Lautstärken und Tondauern (Artikulation) ist hier insbesondere die zeitliche Gestaltung, also das Timing der einzelnen Noten und damit die Abweichungen von einem metronomisch genauen Spiel (Agogik und Tempo rubato), wichtig für den Ausdruck. Da es sich beim Klavier um ein polyphones Instrument handelt, spielt das Timing nicht nur innerhalb von Melodielinien, sondern auch zwischen unabhängig geführten Stimmen, ja sogar zwischen einzelnen Akkordtönen eine große Rolle. So führt zeitliche Asynchronität beim „melody lead“ dazu, dass die Melodiestimme, beim „bass lead“, dass die Bassstimme kurz vor den übrigen Tönen gespielt wird. Analysen unterschiedlichster Interpretationen, beginnend mit den frühesten Aufnahmen auf Notenrollen bis hin zu neueren Einspielungen auf Computerflügeln, ermöglichen die genaue Untersuchung solcher Techniken und damit Rückschlüsse auf deren gewandelten Einsatz im Laufe der Interpretationsgeschichte.
Im Rahmen eines 30-minütigen Vortrags wird zunächst der Forschungsstand (historische Quellen sowie neuere Forschungen aus dem Bereich der Interpretationsforschung und Akustik) zu den Timing-Aspekten zusammengefasst. Sodann werden die verschiedenen Techniken am Klavier demonstriert, um die Aufmerksamkeit für Phänomene zu schärfen, die Hörende normalerweise nur unbewusst wahrnehmen. Anschließend werden anhand eines Interpretationsvergleichs von neun Aufnahmen der Chopin-Nocturne op. 9/1 unterschiedliche Personalstile sowie Tendenzen der Interpretationshistorie beleuchtet.