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Bitte beachten Sie, dass sich alle Zeitangaben auf die Zeitzone des Konferenzortes beziehen. Die momentane Konferenzzeit ist: 09. Mai 2025 15:49:42 MESZ
Komboraum
Gebäude 7
Lipezker Str. 47
03048 Cottbus
Sitzungsthemen:
Fryderyk Chopin und die Musiktheorie seiner Ausbildungszeit, Freie Beiträge
Präsentationen
Vortrag Themen: Fryderyk Chopin und die Musiktheorie seiner Ausbildungszeit, Freie Beiträge
Adam Riccis Sequenztheorie am Beispiel Chopins
Marvin Balzer
Hochschule für Musik und Theater München, Deutschland
Jan Philipp Sprick beklagt 2014, „dass eine konsistente und etablierte Terminologie für die Analyse sequenzieller Passagen [...] immer noch aussteht“. Tatsächlich existieren zu dieser Zeit bereits systematische Ansätze (Jersild 1982, Laitz 2004, Menke 2009, Tymoczko 2011 u. a.) und auch Sprick nennt neben weiteren Adam Riccis Dissertation A theory of the harmonic sequence (2004). Ricci überträgt Cloughs diatonic pc set theory (1979) auf harmonische Grundtöne (vgl. auch Ricci 2002, Kochavi 2008, Hook 2020). Er berücksichtigt etliche Aspekte von Sequenzen: Diatonik vs. Chromatik, Segmentierung, Hierarchisierung, Periodizität der Grundtöne sowie Stimmführung. Gegenüber Ansätzen, die mit herkömmlichen Intervallbezeichnungen operieren, kann Ricci die Sequenztypen auf ihr rechnerisches Minimum reduzieren und zugleich differenzierte Bestimmungen hinsichtlich der Segmentierung und des Verhältnisses von diatonischem und chromatischem Raum vornehmen. Seine Terminologie erfüllt gleichwohl nur die erste von Spricks Forderungen: Sie ist „konsistent[]“, aber keineswegs „etabliert[]“.
Mein Vortrag möchte die Systematik Riccis für den deutschsprachigen Diskurs aufgreifen und auf Chopins Sequenzgebrauch beziehen. Ein Standardfall bei Chopin ist die Diminution des steigenden Dur-Moll-Parallelismus durch den zweischrittigen Quintfall (II-V-I). Riccis Ansatz ermöglicht es, unterschiedliche Hierarchisierungen innerhalb des Patterns und deren Transpositionsintervalle anhand verschiedener Instanziierungen dieses Modells zu vergleichen. Seine Diskussion der pitch-class-Fluktuation zwischen den Akkorden weist zudem auf jüngere Theorien voraus, in denen der Stufengang als Auswahl aus einer fortlaufenden Kette einheitlicher Intervalle gezeigt wird (Tymoczko 2011/2023, Yust 2015).
Allerdings markieren die mit dem Postulat von Grundtönen einhergehenden Probleme (von Rameau bis hin zur Psychoakustik) auch eine Leerstelle, denn nicht immer ist klar, was als Grundton einer „Simultanität“ (Moreno 1996) gelesen werden soll. Felix Diergarten (2010/2011) verweist demgegenüber auf den Generalbassbezug in Lehrbüchern aus Chopins Ausbildungsumfeld und zeigt, dass sich manche Sequenzen Chopins im Rahmen eines intervallisch bassbezogenen Paradigmas überzeugender erfassen lassen als im Rahmen eines harmonisch grundtonbezogenen. Lassen sich etwa die teils umfänglichen Rückungen verminderter Septakkorde bei Chopin nur gewaltsam in einem Zusammenhang verkürzter Grundtöne bringen, treten im Rahmen regelmäßiger harmonischer Sequenzen bei Chopin andererseits immer wieder Klänge auf, darunter neben verminderten Septakkorden insbesondere der übermäßige (Quint-)Sextakkord, bei denen erst die Annahme eines verschwiegenen Grundtons die Einheitlichkeit der Sequenz verbürgt und je nach Deutung andere Familienzugehörigkeiten zutage treten.