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Lateness und Abstraktion – Kombinatorischer Kontrapunkt im späten 19. Jahrhundert
Zeit:
Freitag, 04.10.2024:
15:40 - 16:10
Ort:Raum 9.122
Gebäude 9
Lipezker Str. 47
03048 Cottbus
Sitzungsthemen:
Musiktheorie im Fin de siècle, Freie Beiträge
Präsentationen
Vortrag Themen: Musiktheorie im Fin de siècle, Freie Beiträge Stichworte: Musiktheorie des 19. Jahrhunderts, Historismus, Lateness, Johannes Brahms, Kontrapunkt
Lateness und Abstraktion – Kombinatorischer Kontrapunkt im späten 19. Jahrhundert
Ariane Jeßulat
Universität der Künste Berlin
Während die romantische Bach-Rezeption als integrales Merkmal des 19. Jahrhunderts ein ganz eigenes Referenzsystem ausgebildet hat, ist eine theoretische Aufarbeitung oder kreative Auseinandersetzung mit der Musik des 17. Jahrhunderts zur selben Zeit schwieriger zu fassen, sowohl in ihrer Wirkung auf das Komponieren als auch auf die Artikulation von Musiktheorie. Während Moritz Hauptmann in seiner Einleitung zu August Klengels Canons und Fugen (1854) dem „streng-polyphonischen Ausdruck“ eine Zeitlosigkeit zuschreibt, diesen aber klar auf Johann Sebastian Bachs Kontrapunkt bezieht, hatte die Polyphonie des 17. Jahrhunderts diese Wirkung auf den ersten Blick nicht: Cantus firmus-Satz und andere Formen obligaten Kontrapunkts wie die Arbeit mit obblighi, soggetti und perfidie werden nur lückenhaft im Kontext der Fux´schen Gattungslehre tradiert. Als Stileigentümlichkeit von Ricercarfugen werden sie eher museal und historisch gebunden in einem meist kirchenmusikalischen Kanon archiviert oder als Historismen verwendet. Während einschlägige romantische Kontrapunktlehren wie der Contrapunkt von Heinrich Bellermann den Ursprung strengen kontrapunktischen Satzes in vokaler Komposition sehen, geht es in diesem Beitrag darum, das Weiterleben des contrapunctus artificiosus – wie ihn z.B. Angelo Berardi im 17. Jahrhundert lehrt – im instrumentalen Idiom des 19. Jahrhunderts nachzuweisen, wo diese Arbeit allerdings durch Transformationen von Rhythmus, Register und Klangfarbe so versteckt sein kann, dass von „soggetti cavati“ gesprochen werden muss. Vor allem an Beispielen von Johannes Brahms wird gezeigt, wie kontrapunktische Phänomene, die in der Regel als „abstrakt“ verstanden oder mit dem Terminus „Lateness“ im Sinne von „Spätstil“, aber auch von „zu spät sein“ belegt werden, ein formelhaftes Komponieren des frühen Barock zum Teil ganz explizit aufgreifen und gleichzeitig reihenbasiertes Komponieren im 20. Jahrhundert vorbereiten. Instrumentation und Registrierung sind dabei keine weichen Parameter sondern für die Struktur wesentlich. Ein Rückbezug auf die Kontrapunktlehren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt schließlich die Hypothese zu, dass der dort vorherrschende Begriff von Strenge mehr von dieser romantischen Kombinatorik herrührt als von der Musik des frühen Barock.