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Molltöne und Molltheorien bei Brahms. Analyseperspektiven der Neo-Riemannian Theory für den Kopfsatz des Klaviertrios op. 101
Zeit:
Freitag, 04.10.2024:
15:40 - 16:10
Ort:Raum 9.118
Gebäude 9
Lipezker Str. 47
03048 Cottbus
Sitzungsthemen:
Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Musiktheorie im Fin de siècle
Präsentationen
Vortrag Themen: Damals und heute. Umbrüche im musiktheoretischen Fachdiskurs, Musiktheorie im Fin de siècle Stichworte: Harmonischer Dualismus; Fin de siècle; Johannes Brahms; Kadentheorie; Molltheorie
Molltöne und Molltheorien bei Brahms. Analyseperspektiven der Neo-Riemannian Theory für den Kopfsatz des Klaviertrios op. 101
Julian Caskel
Folkwang Universität der Künste, Deutschland
Die »dualistische Molltheorie« bleibt eine der umstrittensten bzw. wenig nachhaltigen Konzeptionen aus der Musiktheorie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Kontroversen, die ein dualistisches Mollverständnis auf sich zog, verweisen auf grundlegende Spannungen der Musiktheorie im Fin de siècle. Insbesondere betrifft dies eine Spaltung teils auch innerhalb einzelner Theorien in empirisch-naturwissenschaftliche Methoden (bzw. Messungen) und einen deduktiven Systemanspruch.
Eine analytische Anwendung der dualistischen Mollauffassung auf einzelne Kompositionen bleibt in der Neo-Riemannian-Theory umstritten. Der Kopfsatz des Klaviertrios Opus 101 von Brahms bietet hierzu ein besonders interessantes Beispiel, weil der – was in diesem Kontext bereits relevant ist – aufsteigende Molldreiklang als motivische Grundlage für Sequenz- und Symmetriebildungen genutzt wird. Einzelne Bausteine einer dualistischen Mollauffassung sind in der Komposition beobachtbar (Unterseptimenakkorde, plagale Kadenzwendungen, symmetrische Akkordbildungen). Eine erste Prämisse lautet demzufolge, dass der zeitgenössische musiktheoretische Hintergrund auch für Kompositionen des späten 19. Jahrhunderts verstärkt berücksichtigt werden sollte. Eine zweite Prämisse muss jedoch festhalten, dass die kompositorischen Lösungen von Brahms in auffälliger Weise den dualistischen Theorien gerade nicht entsprechen. Der Abgleich mit eigenen Satzmodellen in rein »phonischem« Moll bei Arthur von Oettingen erweist sich hier als ebenso erhellend wie der Einbezug des Gegensatzes von »Dominante sein« und »Dominante haben« bei Moritz Hauptmann.
Es ist weder davon auszugehen, dass im Sinne einer Kongruenz die Komposition von Brahms als direkte Antwort oder gar als intendierte Rezeption der (teils zeitgleich debattierten) Molltheorien betrachtet werden kann; noch erscheint eine vollständige Kontingenz als befriedigende Erklärung, in denen diese Kontroverse und die Komposition vollständig getrennt wären. Vielmehr wird eine partielle Konvergenz zwischen Theorie und Praxis vorgeschlagen: Am Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sich Herausforderungen sowohl der theoretischen Systeme wie der Sonatenformen, auf die mit ähnlichen Mitteln reagiert würde (insbesondere Rekombinationen und Permutationen der üblichen Kadenz- und Formmodelle). Für eine solche Rekonstruktion aber eignet sich die (späte) Musik von Johannes Brahms durch die musikhistorischen Kenntnisse und Interessen des Komponisten in besonderer Weise.