Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
18. Jahrhundert: Komponieren und Interpretieren
Zeit:
Freitag, 22.09.2023:
14:30 - 16:00

Chair der Sitzung: Derek Remes
Ort: Raum 156


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Präsentationen
14:30 - 15:00

Erstellung einer Partita für Solo-Violine im Stile Bachs – Überprüfung und Anreicherung musiktheoretischen Wissens durch stilgebundene écriture

Maurice Florin

Musikhochschule Freiburg, Deutschland

Im Gegensatz zur intensiven Auseinandersetzung, die etwa Klavier-, Orchester- und Kammermusikliteratur seitens der Musiktheorie erfahren haben, ist Literatur, die für andere Soloinstrumente als Klavier geschrieben wurde, eher im Hintergrund geblieben. Obwohl sich unter anderem Diether de la Motte der Einstimmigkeit in den Solowerken Johann Sebastian Bachs widmete, gibt es auf diesem Feld insbesondere aus der Perspektive der künstlerischen Forschung noch vieles zu entdecken.

Ein zentraler Aspekt dabei ist die Darstellung von Mehrstimmigkeit in der Einstimmigkeit. Viele Sätze aus Bachs Sonaten und Partiten für Solo-Violine, so zum Beispiel die Allemande aus der Partita in d-Moll für Solo-Violine BWV 1004, sind ausschließlich einstimmig, artikulieren aber eine mitunter komplexe Polyphonie.

Aufgrund dieser Fragestellung habe ich versucht, anhand der eigenen Herstellung einer solchen Partita für Solo-Violine im Stile Bachs herauszufinden, welchen Herausforderungen ich begegne und welche Merkmale und Methoden wichtig sind, um dem Stil eines solchen Werkes möglichst nahe zu kommen. Hieraus ist eine umfangreiche Stilkopie entstanden, von der ich Teile im Rahmen meines Vortrags auf der Geige präsentiere.

Von zentraler Bedeutung zur Erzeugung einer ‚virtuellen‘ Mehrstimmigkeit ist eine Technik, die ich als die Artikulation von „tenue-Stimmen“ bezeichne. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt für die betreffende Stilistik eine enge Beziehung zwischen Interpunktion und Figurierung: In der Allemande der d-Moll Partita wechselt Bach nach jeder formbildenden Kadenz die Figur, mit der er das harmonische Grundgerüst diminuiert. Auch das sogenannte Prinzip der „obligaten Lage“ hat sich als sehr bedeutsam erwiesen. Diese und weitere Techniken und Prinzipien, auf die ich in meinem Vortrag näher eingehe, haben sich bei der Arbeit an der Stilkopie als notwendige Ergänzung zu meinem vorherigen Wissen über Satz- und Formmodelle erwiesen.



15:00 - 15:30

“Compound Meter” as Metrical and Hypermetrical Play in Bach’s Harpsichord Concertos

John Paul Ito

Carnegie Mellon University, United States of America

In a concerto by Vivaldi, we expect abundant evidence of compound meter in the 18th-century sense, including arbitrary metrical shifts and phrases with irregular numbers of half bars (Grave 1985). Discussions of Bach (e.g., Marshall 1972, Grave 1985) often lead to similar expectations, but such expectations are false. In the harpsichord concertos, at least, a statistical corpus study (previously presented elsewhere) indicates that metrical shifts are rare and that phrases of four notated bars are prevalent. While the usual markers of compound meter are by no means absent from the harpsichord concertos, their paucity suggests that they may in some cases be instances of sophisticated compositional play.

This paper discusses Bach’s use of 1.5-length bars, or 1.5LB’s, heard measures consisting of three half bars, in the initial solos of several harpsichord concertos. (The term references Wintersgill’s two-length bar, 1936.) Of the set of six concertos BWV 1052-1057, four the first movements are in compound meters; of those, three first solos use 1.5LB’s and the other uses a related technique.

  • The first solos of BWV 1052, 1053, and 1055 begin with 1.5 LB’s, one pair in BWV 1053 and two in the others. In each case they stretch but do not disrupt regular four-bar hypermeter, as the phrase lengths are five and six notated bars.
  • In BWV 1053 and 1055, the surrounding context is otherwise entirely regular in four-bar construction.
  • In BWV 1055, 1.5LB’s are also used in the ritornello, in the second four-bar unit; because of a hypermetrical reinterpretation (Rothstein 1989) as the second unit overlaps with the third, the 1.5LB’s do not interrupt the regular flow of hyperdownbeats every four notated measures. The first ritornello of BWV 1052 also foreshadows the solo in using a pair of 1.5LB’s, albeit without the hypermetrical regularity of BWV 1055.

In Vivaldi or Telemann, similar solos would simply reflect business as usual in compound meter. Here, the statistical norms of the works, the identical formal placement of the 1.5LB’s, and their participation in regular, four-(heard)-bar groupings all point to deliberate compositional play.



15:30 - 16:00

Historisch informiertes Umblättern

Siavash Sabetrohani1,2

1University of Chicago; 2Universität der Künste Berlin

In den letzten Jahren haben die Musikwissenschaften immer lebhaftere Details der frühneuzeitlichen Aufführungspraxis ans Licht gebracht, zum Teil mit Hilfe der Digital Humanities. Überraschenderweise scheint jedoch ein zentrales Thema von Musikwissenschaftlern oder Befürwortern einer historisch informierten Aufführungspraxis nicht angesprochen worden zu sein. Bei der Aufführung von Instrumentalmusik aus dem 17. und 18. Jahrhundert aus Faksimile-Ausgaben trifft man oft auf Fälle, in denen ein V.S. (volti subito [sofort umblättern]) oder ähnliche Markierungen weisen auf ein schnelles Umblättern hin, wenn es in der Musik wenig oder keine Pause gibt. Wie haben Musiker damals mitten in Stücken umgeblättert? In Anbetracht des Mangels an Kopiergeräten, der Papierknappheit und der Probleme beim manuellen Kopieren ist es ausgeschlossen, zusätzliche Kopien zu haben. Haben sie auswendig gespielt oder hat jemand für sie umgeblättert?

Anhand einer Kombination aus korpusbasierte Studie, Ikonographie und Literatur aus dieser Zeit untersuche ich die unterschiedlichen Umgangsweisen der damaligen Musiker mit diesem Thema. Ich studiere sowohl Solo- als auch Ensemblemusik und zeige, dass verschiedene Instrumente und Ensembles unterschiedliche Aufführungsarrangements erfordern, die je nach verwendetem Instrument variieren. Darüber hinaus argumentiere ich, dass die Praxis zwischen den Ländern unterschiedlich war, wobei ich die nationalen (und manchmal regionalen) Aufführungspraktiken hervorhebe. Französische Drucke zum Beispiel waren viel praktischer und ließen normalerweise genug Platz für ein Umblättern am Ende der Seiten, während italienische und deutsche Drucke (und Manuskripte) dem Interpreten oft sehr wenig Platz zum Umblättern lassen. Im letzteren Fall sollten Klavierspieler oft die Seite für Spieler von Melodieinstrumenten umblättern.

Mit dem Aufkommen von IMSLP-Drucken und verschiedenen Tablets – oft mit Pedalen, die das Umblättern erleichtern – gehört das Umblättern von Notenblättern für viele Musiker der Vergangenheit an. Wie ich jedoch in diesem Aufsatz zeigen möchte, kann die Untersuchung der Art und Weise, wie Musiker der damaligen Zeit die Seiten umblätterten, einige unerwartete Aspekte der Aufführungspraxis der Musik aus dieser Zeit beleuchten, die bisher vernachlässigt wurden.



 
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