Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Neue und zeitgenössische Musik I
Zeit:
Freitag, 22.09.2023:
16:30 - 18:30

Chair der Sitzung: Martin Grabow
Ort: Raum 129 (Opernschule)


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Präsentationen
16:30 - 17:00

Das Verhältnis von kompositorischer Praxis und theoretischer Forschung im Darmstädter Serialismus

Mario Cosimo Schmidt

Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Deutschland

Im 20. Jahrhundert ist es ganz und gar nicht ungewöhnlich, dass aus der Hand von Komponisten auch umfangreiche theoretische Studien stammen. Teilweise haben sie einen lehrbuchartigen Charakter, wollen – so wie etwa Arnold Schönbergs Harmonielehre – ins kompositorisch-technische Handwerk einführen, teilweise erheben sie aber auch einen dezidiert wissenschaftlichen Anspruch. Dieser Anspruch, der nicht eine ästhetische Verbindlichkeit, sondern eine Einheit von wissenschaftlicher Theorie der Musik und kompositorisch-musikalischer Praxis fordert, findet sich nirgends so stark formuliert wie in den Studien der Serialisten – so hat es zumindest Herbert Eimert immer wieder formuliert.
Pierre Boulez beabsichtigt, mit seinen Darmstädter Vorträgen zum Musikdenken heute eine »allgemeine musikalische Morphologie« zu entwickeln und Karlheinz Stockhausen präsentiert in … wie die Zeit vergeht … eine Theorie der musikalischen Zeit. Diese knüpft unmittelbar an Erfahrungen und Erkenntnisse an, wie Stockhausen sie aus seinen Arbeiten an den elektronischen Kompositionen gewinnen konnte. Allerdings ist in diesen Schriften auch der enge Bezug zum kompositorischen Schaffen deutlich erkennbar: … wie die Zeit vergeht … kann etwa als Kompositionsplan oder Werkkommentar zu Stockhausens Gruppen gelesen werden. Können solche Studien wie jene Boulez’ und Stockhausens nur als ästhetische ›Statements‹ gelesen werden, die sich auf das Schaffen eines einzelnen Komponisten beschränken, oder haben sie einen allgemeineren theoretischen Gehalt, der darüber hinausweist?
Genau dieser Frage widmet sich mein Vortrag. Er diskutiert anhand dieser beiden für den Serialismus zentralen Beispiele das Verhältnis von kompositorischer Praxis und musikalischer Forschung und zeigt, wie sich im Falle des Serialismus diese Ebenen befruchten, durchdringen und teils überblenden.



17:00 - 17:30

Le Voile d´Orphée, - ein Experimentalstück von Pierre Henry?

Martin Hecker

Folkwanguni, HMTMH, HdK Bremen, HMT Leipzg, Deutschland

Le Voile d´Orphée (1953), ein Hauptwerk von Pierre Henry bildet das Finale eines Gemeinschaftswerkes mit Pierre Schaeffer, einer Radiokunst-Oper, einem Grenzfall der musique concrète, deren Uraufführung von Schaeffer als »Die Schlacht von Donaueschingen« umschrieben wurde. »Im Saal blieb am Schluß nur eine zurückhaltende und uns gewogene Mannschaft übrig: die französische Besatzungsarmee, die uns gratulierte.« Auf ihre Weise stellte die Aufführung so ein ähnliches Spektakel dar, wie Varèses Poème électronique (1958) oder Stockhausens Gesang der Jünglinge (1955), ist aber früher angesiedelt und noch entschiedener ein Experimentalstück, welches seine revolutionäre Kraft aus der Montage und Manipulation von Aufnahmen zieht und weniger aus dem Material selbst. Diese Eigenschaft wird auch für das damalige Scheitern der musique concrète bei der deutschen Kritik verantwortlich gemacht.

Die Montageeigenschaften, die Wahl und dramaturgische Anordnung der Klänge sowie die besondere Textbehandlung soll in diesem, für die frühe Phase der musique concrète, repräsentativen Stück näher untersucht werden. Welche späteren Techniken werden vorausgenommen, an welche die beiden konträren Kompositionstechniken von Varèse („Jäger und Sammler“) und Stockhausen (Gruppenkomposition) anknüpfen können?



17:30 - 18:00

Der Podcast als Medium zur Vermittlung zeitgenössischer Musik

Anne Melzer

Hochschule für Musik Mainz, Deutschland

Podcasts sind vielfältig und behandeln nahezu alle Fragen und Themen des Lebens. Dabei reichen die Formate von Interviews und Talks über Features und Dokumentationen bis hin zu Nachrichtensendungen. Auch im Bereich der sogenannten „klassischen“ Musik gibt es inzwischen einige Beispiele, die durchaus Reichweite und Popularität erlangt haben, wie Igor Levits Klavierpodcast, die Hörbiographien mit Udo Wachtveitl, die Meisterstücke, Klassik to go oder Das starke Stück – Musiker erklären Meisterwerke.

Dass Musik ein auditives Medium ist, ist ein trivialer Fakt. Die Vorteile, auditive Elemente bei der Vermittlung mit einzubeziehen, liegen also auf der Hand. Podcasts können, als „Audio on Demand“, individuell jederzeit abgerufen und „zwischendurch“ konsumiert werden: auf den Bus wartend, bei der Hausarbeit oder in der Mittagspause; nicht einmal Kopfhörer sind nötig, die Augen sind nicht an einen Bildschirm gebunden. Hinzu kommt, dass die notwendigerweise abzurufenden Datenmengen geringer als bei vergleichbaren Video-Dateien sind.

Die zeitgenössische Musik ist zwischen den vielen Angeboten nur minimal vertreten. In Zeiten von Klick- und Abrufzahlen ist sie offenbar nicht Mainstream-tauglich genug. Das Potential gerade für die Vermittlung zeitgenössischer Musik, der noch immer mit Vorbehalten begegnet wird, ist aber enorm – schlicht, weil den meisten Menschen die Hörerfahrung im Umgang mit nicht tonaler Musik fehlt.

In Podcasts können die Hörenden in kleinen Portionen mit Musik vertraut gemacht werden. Dabei können Kommentare immer wieder Hintergrundinformationen und Hörhilfen geben, die das Verstehen der entsprechenden Musik erleichtern. Durch Moderation und direkte Ansprache werden die Adressierten unmittelbar einbezogen; sie geraten mit dem Werk in Interaktion und werden zur Reflexion angeregt.

Der Vortrag beleuchtet diese Potentiale, thematisiert Aspekte der Performativität und auch die Frage, inwiefern unterschiedliche Zielgruppen mit Podcasts zur zeitgenössischen Musik erreicht werden können. Es werden außerdem erste Ergebnisse eines Projektes, das im Rahmen eines Analyse-Seminars an der Hochschule für Musik Mainz stattfindet, vorgestellt.



18:00 - 18:30

Die Unverfügbarkeit des Zitats. Vom Umgang mit Fremdkörpern in aktueller Komposition. Aus einem Forschungsvorhaben

Fojan Gharibnejad

Hochschule für Musik und Theater Leipzig, Deutschland

Die Unverfügbarkeit des Zitats. Vom Umgang mit Fremdkörpern in aktueller Komposition. Aus einem Forschungsvorhaben

Zitiert werden kann nur, was bereits existiert. Es muss schon auf Schreibflächen notiert, auf Servern gespeichert oder im Gedächtnis von Lebenden aufbewahrt sein, die es weitergeben können. Es muss also verfügbar sein. Und es wird zum Zitat erst in dem Moment, wo wir darüber verfügen, wo wir es aus seinem Kontext herauslösen und in einen anderen verpflanzen. Zitieren ist Transplantieren. Und das heißt: Aus einem fremden Kontext wird es dem eigenen Kontext assimiliert. Aber bleibt das Zitierte in seiner Verfügbarkeit nicht immer ein Stück weit unverfügbar, wie ein Fremdkörper? Nachdem das Fremde in ästhetischen Debatten für ein Jahrhundert kaum eine Rolle gespielt hatte (Simmel 1908, Waldenfels 2007), gewann es seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wieder an gesellschaftlicher und politischer Brisanz. Auf der Grundlage neuerer Studien (Gottstein 2015, Nonnenmann 2018) und im Anschluss an Hartmut Rosa (Unverfügbarkeit, 2020) wird ein Weg aufgezeigt, wie experimentell und explorativ die paradoxe Existenz von musikalischen Fremdkörpern erkundet werden kann. Gezeigt wird das an einem Teilaspekt eines größeren eigenen Forschungsprojekts. Als Grundlegung wurde zunächst der Umgang mit Zitaten in neuerer Musik exemplarisch untersucht: u.a. anhand von Popkultur-Zitaten in Werken von Alexander Schubert, Zitaten aus älterer Musikgeschichte bei Klaus Huber, Zitaten als Spiegel von Rezeption bei Mauricio Kagel und Zitaten als sozialen Metaphern bei Johannes Kreidler. Sodann wurde mit künstlerischen Mitteln die semantische Veränderlichkeit von Zitaten durch neue Kontexte untersucht. Ausgewählt wurde für das Projekt u.a. die chromatische Linie der Streicher aus dem Liebestod von Wagner. Was passiert, wenn dieses Zitat von aktueller (eigener) Musik umgeben ist? Ändert das Zitat den neuen Kontext? Und ändert umgekehrt der Kontext das Zitat? Bleiben die Zitate Fremdkörper? Methodisch wird mit Stilkritik gearbeitet und durch Verfolgung seiner semiologischen Transformationen.

Mein Forschungsprojekt hat einen hohen musikanalytischen Anteil, seine im Kern philosophische Frage soll indes mit künstlerischen Methoden beantwortet werden. Die vorgestellten Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das Zitat der Erinnerung, der Inspiration, der Kennerschaft und dem Wissen verfügbar ist, aber auch seine Unverfügbarkeit: Es kann zum Eigenen werden, aber selbst bei hoher Anpassung wird es ein Anderes bleiben.



 
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