Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert war die Iberische Halbinsel eine Hochburg der schriftlosen Mehrstimmigkeit. Zahllose Quellen belegen sowohl den usus der populären Polyphonie im breiten Volk als auch ein professionelles Singen nach Regeln (ratio). Insbesondere in den Kapellen der Kathedralen wurden die Sängerknaben (seises) jahrelang täglich trainiert, um die verschiedensten Sorten von Kontrapunkten zu improvisieren.
Auch wenn die Unterweisung der Knaben mündlich war und durch Training und Wiederholung geprägt war, gibt es auch eine lange Reihe von Traktaten aus Aragon, Kastilien und Portugal, die zahlreiche Informationen dazu enthalten. Einige der wichtigsten Quellen sind:
- Vicente Lusitano, Del Arte de Contrapunto, ca. 1550
- Juan Bermudo, Declaracion de instrumentos musicales, 1555
- Thomas de Sancta Maria, Arte de tañer fantasia, 1565
- Montanos, Arte de Musica, 1592
- Cerone, El Melopeo, 1613
- Lorente, El por que de la Musica, 1672
- Rabassa, Guia para principiantes, 1720
- Nassarre, Escuela Musica II, 1723
Ein tieferes Verständnis über die Techniken des improvisierten Kontrapunkts erlangt man jedoch nicht ausschließlich durch die Lektüre der Quellen, sondern vielmehr durch das eigene Improvisieren. Dafür ist es erforderlich, die in den Notenbeispielen „gefangene“ implizite Theorie zu befreien und sie mit den expliziten Anweisungen zu verknüpfen. Erst dann lässt sich daraus eine auf Quellen gestützte Methodik ableiten, um die Improvisationstechniken zu üben und zu meistern.
In einem zweistündigen Workshop sollen verschiedene Techniken des improvisierten Kontrapunkts nach iberischen Quellen praktisch umgesetzt werden:
- Contrapunto suelto (zweistimmig) nach Lusitano und Nassarre
- Fuga (Kanon) nach Thomas de Sancta Maria
- Contrapunto de dezenas nach Lusitano und Cerone
- Carreras nach Montanos und Nassarre
- Clausulas nach Lorente und Rabassa
- Passos nach Lusitano und Rabassa
Darüber hinaus werden zusammengesetzte Techniken geübt, bei denen verschiedene der oben erwähnten Sorten kombiniert werden:
- Contrapunto concertado als Kombination von Passos, Clausulas und Carreras, nach Montanos und Rabassa
- Kombination von Fugas und Contrapunto concertado nach Bermudo