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Sitzungsübersicht
Sitzung
Künstlerische Forschung II
Zeit:
Samstag, 23.09.2023:
14:30 - 16:00

Chair der Sitzung: Kilian Sprau
Ort: Kammermusiksaal


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Präsentationen
14:30 - 15:30

Embodied Music Analysis: Musikanalyse als „Embodied Practice“

Sigrun Heinzelmann, Sihua Ren

Univ. Mozarteum Salzburg, Österreich

Unser Konzept der „embodied music analysis“ (EMA) dient der Situierung von Musikanalyse im Kontext von Artistic Research (AR). Der Begriff EMA steht in englischer Sprache, um an das – für AR sehr relevante – Forschungsgebiet von Embodiment anzuknüpfen, und weil sich für die vielschichtige Begrifflichkeit des Embodiments im Deutschen kein einzelnes umfassendes Wort findet. Bezugnehmend auf existierende Definitionen (z.B. Dombois 2006, Crispin 2015), die innerhalb von AR-Prozessen zwischen künstlerischem „input“ (Forschungsmodus) und „output“ (Darstellung des Forschungsergebnisses) unterscheiden, stellen wir zwei sich spiegelnde Prozesse der EMA vor:

  1. Embodiment als „artistic input“ erzeugt Analyse, indem die im Spiel durch Verkörperung (Haptik, Gestik, Propriozeption, Kinetik, u. ä.) gewonnenen Erfahrungen zu analytischen Erkenntnissen führen. Zum Beispiel kann das „Spielen“ eines Notentextes als physische Kommunikation mit Komponist*innen verstanden werden, instrumentenspezifische Gesten werden analytisch aussagekräftig. Die durch EMA gewonnenen Analysen beziehen sich also nicht auf den Notentext selbst, sondern auf die Erfahrung von dessen künstlerischer Verwirklichung. Im Unterschied zu performance analysis oder Interpretationsforschung geht es hier um subjektive Erkenntnisse, die buchstäblich „aus erster Hand“ gewonnen werden.
    In unserer Präsentation wird EMA als Input anhand zweier Beispiele live am Klavier demonstriert: Der „Stimmführungsfingersatz“ (oder „embodied voice leading“) in Chopins Nouvelle Etude in As-Dur zeigt einen direkten Zusammenhang zwischen der physischen Realisation verschiedener Fingersätze, einer analytisch erfassbaren Stimmführung sowie einer daraus resultierenden Interpretation. In Ravels Valses nobles et sentimentales führen haptisch-gestische Verbindungen in zu weitreichenden Folgerungen über strukturelle und thematische Zusammenhänge dieses Walzerzyklus.
  2. Embodiment als „artistic outcome” eines musikanalytischen Impulses zeigt, wie musikanalytische Kriterien interdisziplinär „verkörpert“ werden können. Hier geht es um ein Embodiment musikalischer Parameter in anderen Kunstformen, das zeitgleich zum Erklingen des gewählten Musikstückes dargestellt wird. Dieser Ansatz enthält neben der künstlerischen Neuschöpfung auch Elemente, die in der AR-Literatur als zentrale Bestandteile künstlerischer Forschung aufgeführt werden: interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie pädagogische und gesellschaftliche Relevanz – sowohl in den Prozessen als auch dem so entstehenden künstlerischen Produkt (Teil der „Entwicklung und Erschließung der Künste“ an österreichischen Kunsthochschulen).
    Auch hier stellt unsere Präsentation ein konkretes Projekt vor: eine kooperative künstlerische Umsetzung des ersten Satzes von Mozarts Symphonie Nr. 29 A-Dur KV 201 durch ein kreatives Team mit Mitgliedern aus den Disziplinen Musiktheorie, Bühnengestaltung und Videokunst. Nach einem kurzen Überblick über die Entwicklung des gesamten Projekts erläutern wir die Prozesse der Zusammenarbeit, die Methodik zur Umsetzung musikalischer Parameter, die daraus gewonnenen Erfahrungen in der interdisziplinären Kooperation, sowie das künstlerische Ergebnis.

In unserem Modell von EMA können beide dieser Aspekte in einem Kreislauf miteinander kombiniert werden, also z.B. „embodied artistic input“ – Analyse – „artistic output“. Wichtig ist hierbei, dass die künstlerische Praxis mit der (musikanalytischen) Reflexion einhergeht. In einer durch EMA verstärkten Affinität zur künstlerisch-empirischen Forschung kann Musikanalyse also interessante und wertvolle Beiträge zu AR leisten.

Zur wissenschaftlichen Verortung von EMA im Kontext von AR adaptieren wir Modelle und Kriterien von Dombois und Crispin. In der angelsächsischen Musiktheorie hat die „performative Wende“ (Cook 2015) nicht nur Forschungen zur Analyse des künstlerischen Ausdrucks hervorgebracht (z.B. das Studium von Aufnahmen oder Aufführungen), sondern auch musiktheoretische Systeme inspiriert, die zu ergründen versuchen, wie Musik Bedeutung erzeugt. Relevant im Zusammenhang mit Embodiment sind hier Forschungen zur musikalischen Geste (z. B. Allanbrook 1993, Laws 2014) und zur Bedeutungsfindung durch die Verknüpfung musikalischer Prozesse mit verkörperten Erfahrungen (Abbate 1991, Fisher/Lochhead 2002, Cox 2016, De Souza 2017). Die Einführung von „Subjektivität“ als Qualität des musiktheoretischen Diskurses (Guck 1994, Cumming 2000) resoniert mit dem für AR wichtigen Aspekt der subjektiven Erfahrung als einer Kategorie sowohl des Schaffens als auch des Dokumentierens.

Ziel unseres Beitrags ist es, anhand von EMA spezifische Beispiele und Methodiken vorzustellen, durch welche Musikanalyse – als eine Teildisziplin der Musiktheorie – in und als Artistic Research praktiziert werden kann.

Abbate, Carolyn. 1991. Unsung Voices.

Cook, Nicholas. 2015. »Performing Research«
In Artistic Practice as Research in Music, 11–32.

Cox, Arnie. 2016. Music and Embodied Cognition.

Crispin, Darla. 2015. »Artistic Research and Music Scholarship.«
In Artistic Practice as Research, 53–72.

Cumming, Naomi. 2000. The Sonic Self..

De Souza, Jonathan. 2017. Music at Hand.

Dombois, Florian. 2006. »Kunst als Forschung.« HKB/HEAB 1: 23–31.

Fischer and Lochhead. 2002. »Analyzing from the Body.«
Theory and Practice 27: 37–67.

Guck, Marion. 1994. »Analytical Fictions.«
Music Theory Spectrum 16/2: 217–30.

Laws, Catherine. 2014. »Embodiment and Gesture in Performance« In Artistic Experimentation in Music, 131–141.



15:30 - 16:00

Music Theory inside Music Instruments

Ellen Fallowfield

Hochschule der Künste Bern (KHB), Schweiz

Experimentation with musical instrument-objects has been central to contemporary music of the past 60 years. High-constraint ‘found’ objects, ‘homemade’ instruments, hybrid found/homemade-classical instruments, rudimentary electronics, interfaces, prepared classical instruments, and so-called ‘extended techniques’ have shaped musical expression. The ‘performance turn’ triggered a practitioner-led refocusing of music research. And yet, this new instrumentarium, so fundamental to today’s music, and to today’s performers, has received surprisingly little research attention. Physical and musicological research lags behind practice, and the ‘cataloguing’ tendencies of composer-led work has had the effect of discretizing actions and sounds that can often be expressed in continuous scales bounded by action-sound parameters. Moreover, Sachs’ organological classifications of musical instruments by their materials and playing techniques has remained almost unchanged since its first publication in 1940.

In his monograph on the philosophy of science, Baird (2004) describes a ‘text bias’ in the history of science that has undervalued scientific instruments in favour of theory such that the epistemology of instruments, their ‘thing knowledge’, and its contribution to scientific understanding has not been recognized. Could the same argument be made for musical instruments? New luthier Thor Magnusson describes the epistemology of musical instruments as their containing of a music theory (Magnusson 2019). Could performance practice and composition practice be described as an unravelling of the music theory intrinsically contained in a music instrument object? The application of this idea to music instruments has much to offer found, adapted, and homemade instruments, and classical instruments that are prepared and played in ways that were not intended by the original instrument makers, but are nonetheless highly idiomatic. Lachenmann’s musique concrète instrumentale aims to liberate sound from music-historical baggage by asserting the acoustical connections between instruments, actions, and sounds, without prioritizing historically more weighted techniques (Lachenmann 2004). Not only is the knowledge of the sound-producing actions of an instrument central to this concept, but also the communication of this ‘thing knowledge’ to performer and audience. In this presentation I will discuss how to define and extract musical instruments’ ‘thing knowledge’ and the implications for a re-thinking of organology.



 
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