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Sitzungsübersicht
Sitzung
S3_2_1.319: Vortragssymposium Systemisches Denken in Biologie
Zeit:
Mittwoch, 20.09.2023:
8:30 - 10:30

Chair der Sitzung: Prof. Dr. Sandra Nitz
Chair der Sitzung: Prof. Dr. Philipp Schmiemann
Ort: 1.319

Gebäude 1, dritter Stock

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Präsentationen

Systemisches Denken in Biologie

Chair(s): Sandra Nitz (Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)), Philipp Schmiemann (Universität Duisburg-Essen)

Diskutant*in(nen): Philipp Schmiemann (Universität Duisburg-Essen), Sandra Nitz (Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau)

Die Analyse komplexer Systeme spielt in den Naturwissenschaften, aber auch in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine entscheidende Rolle. Komplexe Systeme weisen eine komplexe Struktur und ein komplexes Verhalten auf. Für einen adäquaten Umgang mit komplexen Systemen ist daher die Fähigkeit systemisch denken zu können notwendig. Systemisches Denken beschreibt die Fähigkeiten, komplexe Systeme und ihre Eigenschaften zu identifizieren, zu modellieren und Prognosen über ihr Verhalten zu treffen. Das Systemische Denken wurde bereits in vielen fachlichen Kontexten und fächerübergreifend untersucht. Modell- und theorieübergreifend konnten dabei wesentliche Gemeinsamkeiten identifiziert werden, die relevant mit Blick auf das Systemische Denken sind: (1) die Systemorganisation, also die Fähigkeit Strukturen und Grenzen eines Systems zu erkennen und seine Elemente und ihre Beziehungen erklären zu können, (2) das Systemverhalten, sprich die Fähigkeit, Systeminteraktionen, -dynamiken und Verhaltensweisen analysieren zu können, und (3) das Systemmodellieren, also das Modellieren von komplexem Systemverhalten.

Im Rahmen des Symposiums werden aktuelle Forschungsansätze in der Biologiedidaktik zum systemischen Denken zusammengebracht. Im Rahmen einer bibliometrischen Analyse werden die Entwicklungen in der Forschung zum Systemdenken in den MINT-Didaktiken der letzten 20 Jahre zusammenfassend eingeführt (Beitrag 1). Ein weiterer Beitrag widmet sich der validen und vergleichbaren Messung von Systemdenken (Beitrag 2). Zudem wird das Systemkonzept von Lernenden vertieft analysiert (Beitrag 3). Den Abschluss bilden zwei Vorträge, die das Systemische Denken und das Modellieren als naturwissenschaftliche Arbeitsweise zusammenbringen und kontrastieren (Beitrag 4 und 5).

Aus dem Stand der Forschung und den derzeitigen Arbeiten sollen Impulse für weiterführende Fragestellungen generiert und mehrperspektivisch diskutiert werden.

 

Beiträge des Symposiums

 

Systemdenken und Komplexität in der MINT-Didaktik: Eine bibliometrische Analyse und Forschungssynthese

Moritz Krell1, Tom Bielik2, Ibrahim Delen3, Orit Ben-Zvi Assaraf4
1IPN - Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel, 2Beit Berl College, 3Usak University, 4Ben-Gurion University of the Negev

Die Erforschung komplexer Systeme wird in den Naturwissenschaften zunehmend bedeutsam. In den Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss ist das Basiskonzept System beschrieben. Die vorliegende Studie liefert eine bibliometrische Analyse und Forschungssynthese von Studien zum Systemdenken aus den Didaktiken der MINT-Disziplinen der letzten 20 Jahre. Die folgende Fragestellung war leitend: Welche Merkmale und Entwicklungen lassen sich in der MINT-didaktischen Forschung zu Systemdenken in den letzten zwei Jahrzehnten identifizieren? Bibliometrische Analysen nutzen mathematische Verfahren zur Identifikation wichtiger Autor:innen, Fachzeitschriften und Schlüsselbegriffe in einem Forschungsfeld und werden oftmals durch inhaltliche Reviews ergänzt. In der vorliegenden Studie wurden 778 Artikel in Web of Science identifiziert und in einem Screening auf 255 relevante Artikel reduziert. Die relevanten Artikel wurden bibliometrisch, ergänzend deren Abstracts inhaltlich mit einem Kategoriensystem analysiert (Hauptkategorien: Studienpopulation (z.B. Lehrkräfte), Disziplin (z.B. Biologie), Art der Studie (Diagnose oder Intervention), Systemeigenschaften (z.B. Komponenten), kognitive Aspekte (z.B. Denken)). Die Entwicklung des Kategoriensystem erfolgte deduktiv-induktiv in mehreren Schleifen, die Interrater-Übereinstimmung war sehr gut (Gwet’s AC=.92). Die bibliometrische Analyse ergab u.a. eine positive Entwicklung der Artikelanzahl/ Jahr über die Zeit. Inhaltlich zeigte sich u.a., dass sich die meisten Artikel auf Hochschulbildung beziehen (n=86) und angehende Lehrkräfte die seltenste Studienpopulation sind (n=14). Die häufigste Disziplin ist Biologie (n=67). Die am häufigsten genannte Systemeigenschaft ist Komplexität (n=89); wobei Studien aus der Biologie relativ breit vielfältige Systemeigenschaften betrachten, während bspw. die Physik auf Interaktion, Dynamik und Komplexität fokussiert. Signifikant positive Zusammenhänge zwischen dem Publikationsjahr und einzelnen Kategorien deuten auf Trends in der Forschung hin (z.B. für Artikel zu praktizierenden Lehrkräften; Spearman r=.13, p=.035). Insgesamt zeigt die Studie die bisherige Entwicklung sowie Desiderate der empirischen Forschung zu Systemdenken in den MINT-Didaktiken (eine umfassende Präsentation der Ergebnisse erfolgt auf der Tagung). Eine Limitation ist die ausschließliche Betrachtung der Abstracts der Studien, ein Volltextreview sollte sich daher anschließen.

 

Entwicklung eines Hypothesentests zur Messung des Systemdenkens

Maike Sauer, Alexander Kauertz, Sandra Nitz
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau

Der adäquate Umgang mit komplexen Systemen spielt eine wesentliche für das Verständnis von Biologie. Gleichzeitig ist dies kognitiv herausfordernd und Lernende zeigen häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Systemen. Die Förderung von Systemdenken kann Lernenden ein besseres Verständnis von Systemen und ihren Eigenschaften ermöglichen. Systemdenken umfasst die Fähigkeiten, Systemelemente und ihre Relation zu erkennen und ihr Zusammenwirken als Gesamtsystem zu verstehen. In mehreren Studien wurden diese Fähigkeiten in Kompetenzmodelle eingeordnet und gemessen. Allerdings zeigen die bisherigen Messinstrumente zum Systemdenken eine starke Gebundenheit an den jeweiligen fachlichen Kontext auf, wodurch ihre Übertragbarkeit auf andere Kontexte und Systeme fraglich ist. Eine Methode, die auch häufig zur Erhebung des Systemdenkens eingesetzt wird und Potential hat hinsichtlich der Übertragbarkeit zwischen verschiedenen Kontexten ist das Concept Mapping. Allerdings ist die händische Auswertung sehr aufwändig. Hier setzt diese Studie an und verfolgt das Ziel ein generalisierbares quantitatives Messverfahren zum Systemdenken zu entwickeln, welches effektiv auszuwerten und generell auf andere Systeme übertragbar ist. Hierzu wurde die Methode der Netzwerkanalyse auf die Analyse von Concept Maps übertragen. Auf diese Weise konnte ein Hypothesentest für RStudio entwickelt werden, mit dem sich (Gruppen-) Netzwerke statistisch vergleichen lassen. Der Hypothesentest CompareEdgelistsNetworks (CEN) untersucht dazu zwei Netzwerke auf Basis von vier Invarianzmaßen. Diese zeigen Ähnlichkeiten zu gängigen Auswertungsparametern von Concept Maps. Zudem wird durch die Invarianzmaße die zugrundeliegende Systemstruktur analysiert. Die CEN hat somit das Potential die von einer Gruppe erzeugte Systemstruktur zu analysieren, das mittlere Systemdenken in einer Gruppe zu erfassen und über zwei Gruppen hinweg zu vergleichen. Auf der Tagung werden die Funktion, die Invarianzmaße und Argumente für deren Validität präsentiert. Darüber hinaus wird ein Ausblick auf eine weitere Validierungsstudie gegeben.

 

Was ist ein "biologisches System"? - Eine explorative Untersuchung des Systemkonzepts von Lernenden in der frühen Sekundarstufe I

Alexander Bergmann-Gering1, Cornelia Averdunk2
1Universität Kassel, 2Universität Leipzig

Der Biologieunterricht soll zur Entwicklung des Systemdenkens von Schüler:innen beitragen. Systemdenken beschreibt die Fähigkeit, auf das Wissen über allgemeine Eigenschaften biologischer Systeme zurückzugreifen (z.B. ihre hierarchische Organisation) um ein konkretes biologisches Phänomen zu erklären. Es ist anzunehmen, dass Schüler:innen, die mehr über allgemeine Systemeigenschaften wissen – die also ein komplexeres Systemkonzept aufweisen – letztlich auch biologische Konzepte besser verstehen können. Dieser Untersuchung liegt entsprechend die Annahme zu Grunde, dass die Förderung des Systemkonzepts von Schüler:innen einen wichtigen Beitrag zu verstehensförderlichem Biologieunterricht leisten kann. Im Fokus steht deswegen die Frage, über welches Systemkonzept Lernende in der frühen Sekundarstufe I verfügen und inwiefern dieses im Biologieunterricht gefördert werden kann.

Im Rahmen einer Querschnittstudie beantworteten Gymnasialschüler:innen der Klassenstufe 6 (N = 89; MWAlter = 12,0; SDAlter = 0,3) sechs Fragen im offenen Antwortformat (z.B. „Beschreibe, was du unter einem System verstehst“, „Nenne Beispiele für biologische Systeme, die du kennst“). Die Systemkonzepte der Schüler:innen wurden in einem induktiven Kodierprozess anhand thematischer und analytischer Kategorien rekonstruiert.

Am vorläufigen Ende des Kodierprozesses liegen acht Kategorien vor, welche die Systemkonzepte der Lernenden charakterisieren. Diese Systemkonzepte sind teilweise durch ein sehr alltagsnahes Verständnis geprägt (z.B. „Ein System ist planvolles Vorgehen“). Es zeigen sich aber auch komplexere Vorstellungen (z.B. „Ein System ist eine Anordnung von Dingen, die in einem Funktionszusammenhang stehen“). Insgesamt deutet sich an, dass die meisten Lernenden ein System als etwas Geordnetes, planvoll Erzeugtes und/oder Zielgerichtetes verstehen.

Einige dieser Konzepte bieten gute Ansatzpunkte für das Systemdenken in der Auseinandersetzung mit biologischen Phänomenen. Andere Konzepte (insbesondere die Vorstellung, Systeme seien etwas planvoll Erzeugtes, Geordnetes und Zielgerichtetes) erschweren möglicherweise ein fachlich angemessenes Verständnis von humanbiologischen und ökologischen Systemen im späteren Verlauf des Biologieunterrichts. Um diesen Schwierigkeiten vorzubeugen, erscheint die frühe und vor allem explizite Auseinandersetzung mit den Eigenschaften biologischer Systeme im Rahmen des Biologieunterrichts notwendig.

 

Systemisches Denken von Schüler:innen beim Wissenschaftlichen Modellieren eines Ökosystems

Annika Lankers, Justin Timm, Philipp Schmiemann
Universität Duisburg-Essen

Vor dem Hintergrund des derzeitigen globalen Wandels wird das komplexe Problemverstehen für Schüler:innen immer entscheidender. Eine der wichtigsten ökologischen Herausforderungen stellt die zunehmende Homogenisierung des Artenvorkommens dar. Einheimische Pflanzen und Tiere verschwinden zu Gunsten einer Ausbreitung gebietsfremder Arten, sogenannten Neobiota. Den Umgang mit derartig komplexen Phänomenen ermöglichen das Systemische Denken, welches ein Erfassen von Ökosystemeigenschaften und ein Ableiten von Systemzuständen umfasst sowie darüber hinaus das Wissenschaftliche Modellieren eines Ökosystems, welches zu einer Abbildung des komplexen Phänomens führt. In der vorliegenden Studie werden die Fähigkeiten von Schüler:innen im Systemischen Denken und Wissenschaftlichen Modellieren sowie die Beziehung beider Perspektiven zueinander untersucht. Dazu erhielten neun Oberstufenschüler:innen eine Simulation der Populationsdynamiken eines Ökosystems, in welches ein Neobiot eindringt. Aufgabe der Schüler:innen war es, laut denkend, die zugrundeliegenden Beziehungen zu erfassen und das Ökosystem in einem Modell abzubilden. Mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse wurden 1412 Schüleraussagen kategorisiert und anhand einer deskriptiven Analyse ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Schüler:innen beim Systemischen Denken umfassend mit der Identifizierung der Systemorganisation beschäftigen und auf der Grundlage der dargestellten Populationsdynamiken das Systemverhalten analysieren. Hingegen selten modellieren die Schüler:innen die Systemevolution, was ein Abschätzen zukünftiger Systemzustände darstellt. Die Auswertung der Schüler:innenaktivitäten beim Wissenschaftlichen Modellieren zeigt eine umfassende Exploration des Phänomens mit nur wenig Bezug zum Systemischen Denken. Beginnen die Schüler:innen jedoch mental oder grafisch das Modell des Ökosystems zu entwickeln, referieren sie vielfach auf die Organisation und das Verhalten des Systems. Bezug zur Modellierung der Systemevolution nehmen die Schüler:innen ausschließlich in den Phasen des Mentalen Modellierens sowie während der Modellanwendung. Dies verdeutlicht den kognitiven Zweischritt, der beiden Perspektiven immanent ist und aus einem Wissenserwerb über das Ökosystem und einer Wissensanwendung besteht. Zusammenfassend ermöglicht die Studie einen Überblick über den Wissensstand von Schüler:innen bezüglich entscheidender Fähigkeiten des komplexen Problemlösens sowie einen Einblick, in den bisher wenig untersuchten Zusammenhang beider Perspektiven.

 

Systemdenken und Modellieren in der Erkennntnisgewinnung komplexer biologischer Phänomene - die Rolle des abduktiven Schließens

Paul Engelschalt1, Johanna Penzlin1, Annette Upmeier zu Belzen1, Dirk Krüger2
1Humboldt-Universität zu Berlin, 2Freie Universität Berlin

Die Förderung von Kompetenzen des Modellierens und Systemdenkens sind zentrale Ziele des Biologieunterrichts. Modellieren umfasst das Generieren von Erklärungen bei der Modellkonstruktion und das Testen von Erklärungen bei der Modellanwendung. Systemdenken wird benötigt, um Modelle im Sinne von Erklärungen für komplexe Phänomenen herzustellen. Aus theoretischer Perspektive erfolgt das Generieren von Erklärungen durch den kognitiven Prozess des abduktiven Schließens. Ziel dieser Studie ist die empirische Überprüfung der Rolle des abduktiven Schließens für die Herstellung von Modellen zu komplexen biologischen Phänomenen.

Dafür wurden kognitive Prozesse beim Modellieren von 18 angehenden Biologielehrkräften mit der Methode des Lauten Denkens untersucht. Die Proband:innen bearbeiteten nach zufälliger Zuordnung entweder das Phänomen einer Person mit rotem Gesicht, das ihnen aus dem Alltag bekannt war oder das Phänomen der Geschlechtsumwandlung eines Clownfisches, das ihnen unbekannt war. Abduktives Schließen und die mit Systemdenken verbundene Fähigkeit, komplexe Modelle zu konstruieren wurden von zwei Kodierer:innen durch Nutzung von Kodierleitfäden analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass wiederholtes abduktives Schließen nur mit einigen Aspekten biologischer Komplexität in der Modellherstellung korreliert. Aus diesen Ergebnissen leiten wir ab, dass abduktives Schließen allein nicht ausreicht, um Erklärungen zu generieren, welche die Komplexität biologischer Phänomene berücksichtigen. Modellierprozesse im Kontext rotes Gesicht waren mit einer unmittelbaren Herstellung verschiedener Modelle mit geringer Komplexität verbunden und wurden häufig in der Modellanwendung getestet. Modellierprozesse für das Clownfisch-Phänomen waren mit einer hohen Komplexität in der Modellkonstruktion verbunden und wurden selten in der Modellanwendung getestet. Auf Grundlage dieser Unterschiede werden Implikationen zur Förderung von Systemdenken und Modellieren im naturwissenschaftlichen Unterricht diskutiert.



 
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