Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AK2.10: Symposium: Bewegungsbezogene Versorgungsforschung: Bewegungsförderung bei unterschiedlichen Indikationen und Zielgruppen
Zeit:
Mittwoch, 17.09.2025:
10:00 - 11:30

Chair der Sitzung: Lars Gabrys, ESAB Fachhochschule für Sport und Management Potsdam
Chair der Sitzung: Klaus Pfeifer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Ort: Raum Göttingen (S1)

Schloss 200 Plätze

Präsentationen

Bewegungsbezogene Versorgungsforschung: Bewegungsförderung bei unterschiedlichen Indikationen und Zielgruppen

Chair(s): Gabrys, Lars (ESAB Fachhochschule für Sport und Management Potsdam), Pfeifer, Klaus (FAU Erlangen-Nürnberg)

RAHMENABSTRACT

Prinzipiell besteht eine gute Evidenz zur Wirksamkeit von körperlicher Aktivität, Bewegung und Sport hinsichtlich zahlreicher gesundheitsrelevanter Outcomes (Dibben et al., 2024; Warburton & Bredin, 2017). In der Gesundheitsversorgung ist die Sport- und Bewegungstherapie beispielsweise in der medizinischen Rehabilitation und der Nachsorge langjährig etabliert und fester Bestandteil des Leistungskatalogs der Kostenträger. In anderen Bereichen und bei anderen Zielgruppen steht eine strukturierte Implementation evidenzbasierter bewegungsbezogener Versorgungsangebote noch aus. Die bewegungsbezogene Versorgungsforschung ist ein relativ junges Forschungsfeld innerhalb der Sportwissenschaft und setzt sich sowohl mit Fragen der Wirksamkeit von Bewegungsinterventionen im Versorgungsalltag auseinander als auch mit der Entwicklung und Implementation neuer Versorgungsmodelle. Darüber hinaus stehen neben den unmittelbaren Akteuren auch Strukturen des Gesundheitssystems und gesundheitsökonomische Fragestellungen im Fokus der Bewegungsversorgungsforschung.

Der Arbeitskreis gibt einerseits einen Einblick in aktuell laufende Forschungsprojekte zu neuen Konzepten und Ansätzen in der Bewegungstherapie und Bewegungsförderung bei unterschiedlichen Zielgruppen, zum anderen analysiert ein Beitrag die Verankerung der Sport- und Bewegungstherapie in deutschsprachigen Behandlungsleitlinien. Die unterschiedlichen methodischen Zugänge der Beiträge spiegeln die ganze Breite bewegungsbezogener Versorgungsforschung wider und sollen andere Forscher und Forscherinnen dazu motivieren sich mit versorgungswissenschaftlichen Fragestellungen in der Sportwissenschaft auseinanderzusetzen.

Der Arbeitskreis wird in Zusammenarbeit der AG „Bewegungsbezogene Versorgungsforschung“ im DNVF und der AG „Bewegungstherapie“ in der DGRW organisiert. Ziel des Arbeitskreises ist es, unterschiedliche Ansätze und Versorgungskontexte zu betrachten und die Rolle der Sportwissenschaft im Kontext der Gesundheitsversorgung herauszuarbeiten. Das Memorandum „Ziele und Methoden bewegungsbezogener Versorgungsforschung“ liefert hierzu eine Orientierung und den methodischen Rahmen (Gabrys et al., 2024).

LITERATUR

Dibben, G. O., Gardiner, L., Young, H. M., Wells, V., Evans, R. A., Ahmed, Z., Barber, S., Dean, S., Doherty, P., Gardiner, N., Greaves, C., Ibbotson, T., Jani, B. D., Jolly, K., Mair, F. S., McIntosh, E., Ormansy, P., Simpson, S. A., Ahmed, S., Krauth, S. J. Steell, L., Singh, S. J., Taylor, R. S., & PERFORM Reseach Team (2024). Evidence for exercise-based interventions across 45 different long-term conditions: an overview of systematic reviews. EClinicalMedicine, 72(102599).

Gabrys, L., Schaller, A., Peters, S., Barzel, A., Berrisch-Rahmel, S., Dreinhöfer, K., Mayer, F., Schulz, S., Meusch, A., Blaschke, S., Kümmel, M., Geidl, W., Füzéki, E., Banzer, W., & Thiel, C. (2024). DNVF Memorandum – Ziele und Methoden bewegungsbezogener Versorgungsforschung. Gesundheitswesen, 86, 655–680.

Warburton, D. E., & Bredin, S. S. (2017). Health benefits of physical activity: a systematic review of current systematic reviews. Current opinion in cardiology, 32(5), 541–556.

 

Beiträge des Symposiums

 

Bewegungsversorgung in medizinischen Leitlinien - eine systematische Dokumentenanalyse

Gabrys, Lars1, Peters, Stefan2, Thiel, Christian3, Schaller, Andrea2
1ESAB Fachhochschule für Sport und Management Potsdam, 2Universität der Bundeswehr München, 3Hochschule Bochum

EINLEITUNG

Medizinische Behandlungsleitlinien (LL) enthalten Empfehlungen zur Verbesserung der Patientenversorgung. Sie bieten einen „Handlungs- und Entscheidungskorridor“ und unterstützen die individuelle, patientenorientierte Versorgung. Regelmäßige Bewegung und körperliche Aktivität senken das Risiko für chronische Krankheiten, sporttherapeutische und bewegungsfördernde Maßnahmen unterstützen den Therapieverlauf und verbessern gesundheitsrelevante Outcomes. Eine systematische Analyse zum Grad der Integration von körperlicher Aktivität, Bewegung und Sport in LL ist bis dato nicht verfügbar.

METHODE

Es wurde die Integration von Bewegungsempfehlungen in aktuellen deutschen LL untersucht. Hierzu wurde zunächst eine quantitative Dokumentenanalyse aller verfügbaren Langfassungen der deutschsprachigen LL durchgeführt. Im Anschluss wurden chronische Erkrankungen, für die auf Grundlage einer aktuellen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2024 positive Effekte von körperlicher Aktivität, Bewegung und Sport in der Behandlung und Therapie nachgewiesen sind bzw. angenommen werden können (Dibben et al., 2024) analysiert. Kategorien waren (1) die prinzipielle Empfehlung für körperliche Aktivität, Bewegung und Sport, (2) die Aufbereitung der wissenschaftlichen Evidenz zum Thema sowie (3) die systematische Empfehlung zur Umsetzung bewegungstherapeutischer Inhalte (FITT-Kriterien) und (4) die Empfehlung für ein konkretes Versorgungsangebot.

ERGEBNISSE

Insgesamt enthalten 76 % der untersuchten LL (619 von 812) keine Empfehlungen zur körperlichen Aktivität oder Bewegung. 78 % enthalten keine Informationen zur Evidenz von Sport/Bewegungstherapie und 84 % keine Evidenz zur körperlichen Aktivität. Lediglich knapp 25% der LL formulieren konkrete Bewegungsempfehlungen. Entsprechend der Klassifikation nach Dibben et al. (2024) wurden 98 LL in die Analyse eingeschlossen, von denen 61 % Empfehlungen zu körperlicher Aktivität bzw. Bewegungstherapie enthalten und die entsprechende Evidenz aufbereiten. Sporttherapie wird nur in 10 Fällen explizit als empfohlene Versorgungsform genannt. 7 LL enthalten systematische Empfehlungen zur Umsetzung bewegungstherapeutischer Inhalte entsprechend der FITT-Kriterien. Physiotherapie wird mit Abstand als häufigstes Versorgungsangebot aufgeführt.

DISKUSSION

Weniger als 2/3 der LL für chronische Erkrankungen, für die eine gute bis ausreichende Evidenz für Bewegung vorliegt, integrieren diese Empfehlung auch systematisch. Dies sollte in zukünftigen LL-Überarbeitungen berücksichtigt werden.

LITERATUR

Dibben, G. O., Gardiner, L., Young, H. M., Wells, V., Evans, R. A., Ahmed, Z., Zaccardi, F., Gray, L. J., Khunti, K., Davies, M. J., & Gardiner, N. (2024). Evidence for exercise-based interventions across 45 different long-term conditions: an overview of systematic reviews. EClinicalMedicine, 72, 102599.

 

Aufgaben- und Kompetenzprofil in der Netzwerkkoordination von „ActiveOncoKids“: eine qualitative Interviewstudie mit verschiedenen Akteursgruppen

Peters, Stefan, Bleier, Hannah, Schaller, Andrea
Universität der Bundeswehr München

EINLEITUNG

Bei Krebs im Kinder- und Jugendalter sind vielfältige positive kurz- und langfristige Gesundheitseffekte von Bewegung erwiesen. Allerdings fehlt es in Deutschland bisher an einem sektorenübergreifenden Ansatz zur nachhaltigen Bewegungsversorgung der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Das Netzwerk ActiveOncoKids (NAOK) strebt u.a. die Schaffung entsprechender nachhaltiger Strukturen an (Götte et al., 2022). Der vorliegende Beitrag befasst sich am Beispiel von NAOK mit der Frage nach den notwendigen Aufgaben und Kompetenzen zur Ausgestaltung eines sektorenübergreifenden Ansatzes zur indikations- und zielgruppenspezifischen Bewegungsversorgung.

METHODE

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden 23 teilstrukturierte Leitfadeninterviews geführt (15 Frauen, 8 Männer). Die Stichprobe umfasste 10 Bewegungsfachkräfte, 4 Angehörige von Betroffenen, 4 Personen des NAOK Unterstützerkreises, 3 Ärzte und 2 Personen des NAOK-Projektteams. Es wurde ein problem-zentrierter Interviewleitfaden entwickelt (Witzel & Reiter, 2022). Die Interviews wurden zwischen September 2023 und März 2024 geführt. Die Auswertung erfolgte mittels strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse.

ERGEBNISSE

Bezogen auf die Aufgaben zeigten sich 2 Hauptkategorien: organisationsbezogene Aufgaben (u. a. die Dimensionen Rekrutierung onkologischer Zentren und Öffentlichkeitsarbeit) und individuumsbezogene Aufgaben (u. a. die Beratung von Betroffenen/Angehörigen bzw. von Fachpersonal). Hinsichtlich des Kompetenzprofils zeigten sich Fachkompetenzen (z. B. Expertise in Sportwissenschaft/-therapie bzw. Onkologie), sozial-kommunikative Kompetenzen (z. B. interdisziplinäres Arbeiten) und personale Kompetenzen (z. B. Empathie).

DISKUSSION

Die Ergebnisse zeigen, dass die Aufgaben und Kompetenzen weit über eine reine „Koordination“ des Netzwerkes hinausgehen. Für einen sektorenübergreifenden Ansatz in der Bewegungsversorgung erscheint es deshalb dringend nötig, die Rollen im Netzwerkmanagement (organisationale Ebene) und der Bewegungsberatung (individuelle Ebene) mit einem klaren Aufgaben- und Kompetenzprofil zu hinterlegen und ggf. zu differenzieren. Diese Ergebnisse liefern erste Hinweise dafür.

LITERATUR

Götte, M., Söntgerath, R., Gauß, G., Wiskemann, J., Buždon, M., & Kesting, S. (2022). A National Implementation Approach for Exercise as Usual Care in Pediatric and Adolescent Oncology: Network ActiveOncoKids. Pediatric exercise science, 34(4), 219–226. https://doi.org/10.1123/pes.2021-0218

Witzel, A., & Reiter, H. (2022). Das problemzentrierte Interview-eine praxisorientierte Einführung. Beltz Juventa.

 

Implementierung und Evaluation eines multiprofessionellen Versorgungspfades und Netzwerkes zur Förderung einer bedarfsgerechten, wohnortnahen Bewegungstherapie für onkologische Patienten (MOVE-ONKO)

Bauer, Nikolai1, Blütgen, Saskia2, Krug, Katja3, Graf, Katharina4, Betz, Ulrich5, Böhm, Julian6, Jäger, Elke4, Krell, Verena7, Müller, Jana1, Pahl, Antonia8, Voland, Annelie1, Weigmann‑Fasbender, Sandra9, Zinkevich, Anna2, Wensing, Michel3, Ansmann, Lena2, Wiskemann, Joachim1
1Department of Medical Oncology, National Center for Tumor Diseases (NCT), University Hospital Heidelberg, 2Faculty of Medicine and University Hospital Cologne, Institute of Medical Sociology, Health Services Research and Rehabilitation Science (IMVR), 3Department of Primary Care and Health Services Research, University Hospital Heidelberg, 4Department for Oncology and Hematology, University Cancer Center (UCT) Frankfurt, Krankenhaus Nordwest, 5Institute of Physical Therapy, Prevention and Rehabilitation, University Medical Center of the Johannes Gutenberg University Mainz, 6Abteilung für Sportmedizin, Universitätsklinikum Tübingen, 7Department of Sports Medicine, Charite – Universitatsmedizin Berlin, 8Department of Medicine I, Hematology, Oncology, and Stem‑Cell Transplantation, Medical Center, Faculty of Medicine, Universität Freiburg, 9National Center for Tumor Diseases (NCT/UCC) Dresden

EINLEITUNG

Die Evidenz zeigt, dass körperliche Aktivität für Menschen mit einer Krebsdiagnose von Vorteil ist. Die bundesweite Versorgung mit adäquaten Angeboten ist jedoch unzureichend. So erhalten Betroffene im Rahmen ihrer onkologischen Versorgung oftmals nicht genügend Informationen über Nutzen und Möglichkeiten von Bewegung. MOVE-ONKO zielt daher darauf ab, einen neuen multiprofessionellen Versorgungspfad in drei großen Regionen in Deutschland an der Schnittstelle von onkologischer Behandlung und Bewegungstherapie für Krebspatienten zu implementieren.

METHODE

Das Projekt umfasst drei Phasen: 1) Vorbereitung, 2) Implementierung in Comprehensive Cancer Centers (CCCs), 3) Implementierung in peripheren Zentren. Der multiprofessionelle Versorgungspfad umfasst eine spezifische Bewegungsberatung und -vermittlung durch die im Rahmen von MOVE-ONKO ausgebildeten Bewegungslotsen und -experten. Eine digitale bewegungsbezogene Gesundheitsakte dient als zentrales Element für die Kommunikation und den Ablauf des Versorgungspfades. Eine Stichprobe von N = 2.240 Krebspatienten ≥ 18 Jahren wird für die Analyse bei Studienbeginn sowie nach vier, zwölf und 24 Wochen rekrutiert. Das Projekt wird mit einem Mixed-Method-Ansatz kontinuierlich evaluiert, wobei neben der Wirksamkeit auch Strukturen und Prozesse für eine nachhaltige Implementierung analysiert werden.

ERGEBNISSE

Wir erwarten, dass die Ausbildung von Bewegungslotsen und -experten zentral für die erfolgreiche Implementierung von Bewegung in der onkologischen Regelversorgung ist. Die Machbarkeit von MOVE-ONKO wird aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften, Patientenvertretungen und Versicherungsunternehmen sowie des großen Engagements der beteiligten CCCs als hoch eingeschätzt.

DISKUSSION

Eine erfolgreiche Umsetzung des Versorgungspfads im Rahmen der Studie würde die Voraussetzung und Blaupause für die flächendeckende Implementierung bewegungsbezogener Beratung und Vermittlung in die klinische Behandlungsroutine onkologischer Patienten schaffen und damit einen wichtigen Beitrag leisten, damit alle onkologischen Patienten von bewegungsfördernden Maßnahmen profitieren können.

 

Langzeitveränderung der bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz und motivational-volitionaler Determinanten durch eine individualisierte Lebensstilintervention für Personen mit Multimorbidität

Dierkes, Katja1, Schweda, Simone2, Schmid, Julia3, Martus, Peter4, Müller, Gerhard5, Krauß, Inga2, Sudeck, Gorden1
1Institut für Sportwissenschaft, Universität Tübingen; Interfakultäres Forschungsinstitut für Sport und körperliche Aktivität, Universität Tübingen, 2Abteilung Sportmedizin, Universitätsklinikum Tübingen; Interfakultäres Forschungsinstitut für Sport und körperliche Aktivität, Universität Tübingen, 3Institut für Sportwissenschaft, Universität Bern, Schweiz, 4Institut für Klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie, Universitätsklinikum Tübingen; Interfakultäres Forschungsinstitut für Sport und körperliche Aktivität, Universität Tübingen, 5AOK Baden-Württemberg; Institut für Sport und Sportwissenschaft; Karlsruher Institut für Technologie

EINLEITUNG

Multimorbidität ist ein zunehmendes Phänomen, das eine große Herausforderung für die Gesundheitsversorgung darstellt. Trotz vielfacher Evidenz für den Nutzen körperlicher Aktivität, besteht ein ausgeprägter Bewegungsmangel bei Personen mit Multimorbidität. Individuumbezogene Strategien zur Steigerung der langfristigen körperlichen Aktivität betonen die Bedeutung bewegungsbezogener Gesundheitskompetenz (Sudeck & Pfeifer, 2016) und motivational-volitionaler Verhaltensdeterminanten (Fuchs, 2007). Vor diesem Hintergrund wurde das Programm MultiPill-Exercise entwickelt, das neben Gesundheitswirkungen auf Kompetenz- und Motivationsförderung für körperliches Training abzielt.

METHODE

Zur Überprüfung der Überlegenheit von Multipill-Exercise wurde eine multizentrische, randomisiertkontrollierte Studie an sieben Standorten der AOK Baden-Württemberg durchgeführt. Hierfür wurden 257 Versicherte mit zwei oder mehr chronischen Erkrankungen oder ausgeprägten Risikofaktoren in die 24-wöchige Lebensstilintervention oder die Standardversorgung randomisiert. Vor (t0), in der Mitte (t3) und nach Programmabschluss (t6) sowie sechs (t12) und zwölf Monate (t18) nach der Intervention wurden mittels Fragebogen die bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz und motivational-volitionale Determinanten erhoben. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mittels ANCOVA-Modellen geprüft.

ERGEBNISSE UND DISKUSSION

In der Primäranalyse (t0-t6) zeigten sich signifikante Unterschiede (p ≤ .05) für alle kompetenzbezogenen Variablen (Steuerungskompetenz für körperliches Training, Befindensregulation, motivationale Kompetenz und volitionale Selbstkontrolle) und für bestimmte Verhaltensdeterminanten (Selbstwirksamkeit, Selbstkonkordanz [intrinsische und identifizierte Motivation], Handlungs- und Bewältigungsplanung) zugunsten der MultiPill-Exercise Gruppe. Für die Verhaltensdeterminanten introjizierte und extrinsische Motivation sowie affektive und kognitive Einstellung wurden keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Das individualisierte Bewegungsprogramm MultiPill-Exercise stärkt vermehrt Kompetenzen und motivational-volitionale Faktoren für gesundheitswirksames körperliches Training bei Menschen mit Multimorbidität im Vergleich zur Standardversorgung. Zudem liefert es wertvolle Impulse für die Gestaltung von Interventionen für Menschen mit einem höheren Risiko für Bewegungsmangel. Die Nachhaltigkeit dieser Kompetenz- und Motivationsförderung gilt es auf Basis der längerfristigen Nachuntersuchungszeitpunkte (t12, t18) zu prüfen.

LITERATUR

Fuchs, R. (2007). Das MoVo-Modell als theoretische Grundlage für Programme der Gesundheitsverhaltensänderung. In R. Fuchs, W. Göhner, & H. Seelig (Hrsg.), Aufbau eines körperlich-aktiven Lebensstils (S. 317–325). Hogrefe.

Sudeck, G., & Pfeifer, K. (2016). Physical activity-related health competence as an integrative objective in exercise therapy and health sports. Sportwissenschaft, 46, 74–87.

 

Wirksamkeit eines digitalen Sturzpräventionsprogramms auf Sturzrate, Sturzrisiko und Sturzangst bei Pflegeheimbewohnenden

Diener, Jonathan, Krafft, Jelena, Krell-Rösch, Janina, Rayling, Sabine, Woll, Alexander, Wunsch, Kathrin
Karlsruher Institut für Technologie

EINLEITUNG

Stürze stellen eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für ältere Bewohnende in Pflegeeinrichtungen dar und führen häufig zu schweren Verletzungen. Obwohl körperliche Aktivität das Sturzrisiko nachweislich reduzieren kann, bleibt die Implementierung wirksamer Präventionsprogramme in institutionellen Settings eine Herausforderung. Digitale Technologien bieten Lösungen, um Barrieren bei der Umsetzung von Bewegungsinterventionen (z.B. Personalengpässe) zu überwinden. Unsere Studie untersuchte die Auswirkungen eines digitalen Programms zur Sturzprävention und Bewegungsförderung (BeSt Age App), das speziell für Pflegeeinrichtungen entwickelt wurde, auf die Sturzrate, das Sturzrisiko und die Sturzangst bei Pflegeheimbewohnenden.

METHODE

Zur Bewertung der Wirksamkeit des BeSt Age Programms wurde eine 12-wöchige cluster-randomisierte kontrollierte Studie durchgeführt. Bewohnende > 65 Jahre mit mindestens zwei funktionellen Extremitäten und der Fähigkeit, verbalen Anweisungen zu folgen, wurden eingeschlossen. Die Interventionsgruppe (IG) nahm zweimal wöchentlich an 25–30-minütigen Übungseinheiten mit der BeSt-Age App teil, während die Kontrollgruppe (KG) ihren üblichen Aktivitäten nachging. Das Sturzrisiko wurde mittels Timed-Up and Go Test (TUG) und Berg Balance Scale (BBS), die Sturzangst mittels Short Falls Efficacy Scale-International (Short FES-I), jeweils vor und nach der Intervention erhoben. Die Sturzrate wurde zusätzlich drei Monate nach Studienende erfasst.

ERGEBNISSE

Insgesamt nahmen 229 Personen (171 Frauen, 58 Männer; 137 IG, 92 KG; MAlter 85.4, SD = 7.4 Jahre) aus 19 Pflegeheimen (11 IG, 8 KG) teil. Die Datenerhebung wurde im März 2025 abgeschlossen. Erste explorative Datenanalysen mittels Mixed ANOVA zeigen eine signifikante Verbesserung der IG im Vergleich zur KG hinsichtlich des Sturzrisikos gemäß BBS (p < .01; η2 = .04), jedoch nicht im TUG (p = .866). Auch die Sturzangst veränderte sich nicht (p = .248). Eine negative Binomialregression zur Analyse der Sturzrate zeigte ebenfalls keine Veränderungen (Rate Ratio = 1.33, 95 % KI [0.57; 3.13], p = .801).

DISKUSSION

Erste Auswertungen zeigen zwar keine Reduktion der Sturzrate, jedoch einen positiven Effekt auf eines der beiden Sturzrisiko-Outcomes. Dies verdeutlicht die Komplexität von Sturzpräventionsinterventionen bei Bewohnenden von Pflegeeinrichtungen. Es bedarf weiterer Forschung mit längeren Interventionszeiträumen, um die Wirksamkeit digitaler Bewegungsinterventionen in Pflegeeinrichtungen umfassend zu bewerten.