Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AK6.03: AK: Perspektiven zu Körper und Emotionen
Zeit:
Freitag, 19.09.2025:
8:30 - 9:30

Chair der Sitzung: Stephani Howahl, Deutsche Sporthochschule Köln
Ort: Raum Hamburg (SP4 201)

Biologie/ Schlossplatz 4 140 Plätze

Präsentationen

Sportwissenschaftliche Perspektive auf die Diversität von Emotionskulturen als Ressource einer Bildung für nachhaltige Entwicklung

Howahl, Stephani

Deutsche Sporthochschule Köln

EINLEITUNG

Da Kultur der Ort ist, an dem gesellschaftliche Werte verhandelt sind, kann nachhaltige Entwicklung nicht über Kulturen hinweg erreicht werden (Sabatini, 2019). Ein vielfältiges kulturelles Erbe birgt dabei diverse Lösungsoptionen für globale Herausforderungen. Der vorliegende Beitrag nimmt in dieser Hinsicht die Diversität von Emotionskulturen als Teil eines immateriellen Erbes in einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Blick. Emotionen werden hier nicht synonym gesetzt zu Gefühlen und nicht, wie im Alltagverständnis verbreitet, als kulturloser Automatismus, sondern als bio-kulturelle Prozesse betrachtet. Emotives Tun erweist sich als Ergebnis von Erziehung, Bildung und Sozialisation, trägt maßgeblich zur Fortschreibung von Werteordnungen bei und ist einer empirischen Forschung zugänglich (Scheve, 2011; Howahl, 2023).

METHODE

Emotives Tun wurde in diesem Sinne untersucht in Zumba Kursen, pontos-griechischen Volkstanzpraktiken, urbanen Tanzevents und zeitgenössischen Tanzaufführungen. Praktiker:innen wurden in 54 problemzentrierten Interviews mit Video als Erzählanlass befragt. In einem iterativen Verfahren konnten danach kulturspezifische, diverse Emotionen und ihre Logiken im Tanz rekonstruiert werden (Howahl, 2023).

ERGEBNISSE

Dass in Bewegung kultivierte und geteilte Emotionen ein Hebel für Transformationen und eine Ressource zum Durchstehen von Krisen sein können, dabei stets aber auch Schattenseiten bergen, zeigt sich am Beispiel diverser Energiekulturen im Tanz. Energie wird in den untersuchten Tanzpraktiken kulturspezifisch getan und empfunden als physische Power, als efferveszenter Gruppenrausch gespeist durch einschneidende kollektive Erinnerungen und geteilte Haltung, Ausdruckskraft oder schlicht als Lampenfieber.

DISKUSSION

Welchen Beitrag die Sportwissenschaft leisten kann, um Möglichkeiten des Eintauchens in Emotionskulturen zu fundieren und zu reflektieren, um auf Ebene kultureller Bildung einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten, ist weiter zu diskutieren

LITERATUR

Howahl, S. (2023). Begeisterung in der Tanzvermittlung. Ein emotionspraxeologischer Forschungsansatz. In H. Peskoller & J. Zirfas (Hrsg.), Die Kunst der Begeisterung. Anthropologische Erkenntnisse und pädagogische Praktiken (S. 191–210). Beltz Juventa.

Sabatini, F. (2019). Culture as Fourth Pillar of Sustainable Development: Perspectives for Integration, Paradigms of Action. European Journal of Sustainable Development, 8(3), 31. https://doi.org/10.14207/ejsd.2019.v8n3p31

von Scheve, C. (2011). Die soziale Konstitution und Funktion von Emotion. Akteur, Gruppe, normative Ordnung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(2), 207–222. https://doi.org/10.1007/s11618-011-0206-3



Virtuelle Welten und verkörperte Erfahrung: Körpererleben in einer persönlichkeitsbildenden Tanzvermittlung durch Virtuelle Realität

Metschies, Anne; Heyn, Luisa; Rudi, Helena

Johannes Gutenberg Universität Mainz

EINLEITUNG

Digitalität ist längst in der Tanzvermittlung angekommen (Howahl & Kieltyka, 2023). Hierbei gewinnen virtuelle und erweiterte Realitäten als innovatives Medium im Kontext immersiver Lernprozesse (Mills et al., 2022) und körperzentrierter Diskurse an Bedeutung (Steinberg & Bonn, 2021). Scham spielt dabei im Schulsportkontext eine wesentliche Rolle (Wiesche & Klinge, 2017). Eine Tanzvermittlung, die nicht auf rein vorgefertigte technikspezifische Tanzinhalte abzielt, sondern eine kreative, wertfreie Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit anstrebt (Rudi, 2021), kann existierende Unsicherheiten und Stereotype aufbrechen. Die VR-Technologie bietet hierzu einen vielschichtigen Erfahrungsraum zur explorativen, geschützten Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper oder der Erforschung körperlicher Möglichkeiten und sensibilisiert zur vertieften Bewegungswahrnehmung und Selbstreflexion.

METHODE

Die Datenerhebung orientiert sich an einem qualitativen Mixed-Methods-Ansatz und erfolgte mithilfe induktiver Kodierverfahren der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996), u. a. Invivo-Codes. So kann die Authentizität der Daten bewahrt und die Relevanz in der Sprache erfasst werden. Durch die Anwendung axialer und selektiver Kodierung wurden die Kategorien detailliert betrachtet, in Beziehung zueinander gesetzt und in Kernkategorien gegliedert.

ERGEBNISSE

Der Beitrag benennt Umsetzungsmöglichkeiten von VR im Sportunterricht, hinterfragt bildungswirksame Möglichkeiten (z. B. persönlichkeitsbildender Faktoren) und beschreibt mithilfe von Interviewdaten das Körpererleben im immersiven Raum. Teilnehmende berichten bspw. von Bewegungs- und Wahrnehmungsprozessen, die sich von ungewohnt, vorsichtig und unsicher zu umfangreich, frei und vielfältig entwickelt haben. Ebenso werden Erfahrungsprozesse von bewusster und aktiver Ausführung hin zu einem Experimentieren, Einlassen und intuitiver Bewegung beschrieben.

LITERATUR

Howahl, S., & Kieltyka, S. C. (2023). Von der Bewegungsform zum Sinn mit YouTube und LernBar. Basics einer Tanzvermittlung postdigital. Sportunterricht, 73(2), 81–86.

Mills, K. A., Scholes, L., & Brown, A. (2022). Virtual Reality and Embodiment in Multimodal Meaning Making. Written Communication, 39(3), 335–369. https://doi.org/10.1177/07410883221083517.

Rudi, H. (2021). Persönlichkeitsbildung durch Tanz. Theoretische Herleitung und empirische Analyse des tänzerischen Selbstkonzepts bei Kindern. Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33717-9.

Steinberg, C., & Bonn, B. (2021). Sportwissenschaft zwischen Digitalisierung und (Post-) Digitalität? Zu diesem Band. In Digitalisierung und Sportwissenschaft, (S. 7–14). Academia Verlag.

Strauss, A. L., & Corbin, J. L. (1996). Grounded theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Beltz.

Wiesche, D., & Klinge, A. (2017). Scham und Beschämung im Schulsport. Facetten eines unbeachteten Phänomens. Meyer & Meyer.



Die Umkleide im Schulsport. Empirische Einblicke in die diskursive Konstruktion intimer Körperverhältnisse

Zander, Benjamin1; Rode, Daniel2; Böhlke, Nicola3

1Universität Osnabrück; 2Paris Lodron Universität Salzburg, Österreich; 3TU Braunschweig

EINLEITUNG

Die Umkleide ist mehr als ein funktionaler Raum zum Wechseln der Kleidung – sie bildet u. a. eine spezifische soziale Arena, in der intime Körperverhältnisse zwischen Akteuren ausgehandelt werden (Landi, 2018). Während sie in Studien zu außerschulischen Sportsettings bereits gesondert untersucht wurde (Schmechel, 2022), ist sie in der deutschsprachigen Schulsportforschung (Balz et al., 2020) weitgehend unsichtbar. Der Beitrag widmet sich der Frage, wie intime Körperverhältnisse in Umkleidesituationen des Schulsport diskursiv konstruiert werden. Durch den diskursanalytischen Zugang (Keller, 2011) wird sichtbar gemacht, welche Handlungs- und Deutungsmöglichkeiten in den Situationen bestehen und inwieweit z. B. normative schulische Ordnungsvorstellungen herausgefordert werden.

METHODE

Es wurden elf Threads aus vier verschiedenen deutschsprachigen Onlineforen, in denen (ehemalige) Schüler:innen über Umkleidesituationen im Schulsport sprechen, in einem iterativ-zyklischen Vorgehen nach Kriterien eines theoretischen Samplings ausgewählt und nach der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller, 2011) ausgewertet.

ERGEBNISSE

Die Analyse zeigt, dass Umkleidesituationen das Schüler:innen-Sein in seinen sozialen und emotionalen Dimensionen ansprechen. Unter den Peers entstehen hier Spielräume für Blickkontakte, Berührungen und Gespräche über den Körper, geprägt von Neugier, Freundschaft, Begehren, aber auch Abwertung und Ausgrenzung. Intime Körperverhältnisse gehen mit dem Austesten körperlicher Nähe, dem Erkunden homoerotischer Sympathien sowie der Verhandlung von Körper- und Schönheitsnormen einher. Diskursiv wird das Handeln und Deuten in dem Raum trotz (oder aufgrund) vielfältiger Spielräume, immer wieder stark durch schulische Normalitätsvorstellungen eingegrenzt. So erweist sich die Lehrkraft auch als ambivalente Figur, die in einem Spannungsfeld von Eingreifen und Tolerieren agiert.

DISKUSSION

Die Umkleide im Schulsport eröffnet reichhaltige Situationen, die mit intimen Körperverhältnissen einhergehen. Intime Körperverhältnisse profitieren von den Freiräumen der Peer-Interaktion, werden aber zugleich schulisch negiert oder pauschal begrenzt. Das wirft die Frage auf, wie eine schulische Praxis aussehen könnte, die diese Spielräume stärker anerkennt und die vielschichtigen Interaktio- nen diversitätssensibel begleitet.

LITERATUR

Balz, E., Krieger, C., Miethling, W.-D., & Wolters, P. (2020). Empirie des Schulsports (3. Neu nearbeitete Aufl.) Meyer & Meyer.

Landi, D. (2018). Queer men, affect, and physical education. Qual. Res. Sport Exerc. Health, 11(2), 168–187.

Keller, R. (2011). Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen (4. Aufl.). Springer VS.

Schmechel, C. (2022). Auspowern und Empowern? Eine Ethnografie queerer Fitnesskultur. transcript.