Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
AK7.01: Invited Symposium: „Was ist fair?“ Geschlechterdiversität im Sport zwischen Chancengleichheit und Selbstbestimmung
Zeit:
Freitag, 19.09.2025:
10:00 - 11:30

Chair der Sitzung: Dennis Krämer, Universität Münster
Ort: Raum Freiburg (S9)

Schloss 151 Plätze

Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen

„Was ist fair?“ Geschlechterdiversität im Sport zwischen Chancengleichheit und Selbstbestimmung

Chair(s): Krämer, Dennis (Universität Münster)

Auch wenn sich inter- und transgeschlechtliche sowie nichtbinäre Personen (TIN) seit vielen Jahren für ihr Recht auf Teilhabe am Sport einsetzen, besteht im sportwissenschaftlichen Diskurs und seitens der Sportorganisationen nach wie vor kein Konsens darüber, wie mit Geschlechterdiversität im Sport umzugehen ist. Die Diskussionen drehen sich dabei um zwei Grundprinzipien, die den modernen Sport prägen: (1) das auf einem egalitaristischen Leistungsverständnis beruhende Prinzip der Chancengleichheit, das durch die Bildung von Leistungsklassen und eine medizinisch orientierte Geschlechtersegregation realisiert wird, sowie (2) das Prinzip der Selbstbestimmung, das – in Korrespondenz mit inklusiven Rechtsregelungen wie dem 2024 in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) – Aspekte wie die individuelle Geschlechtsentwicklung und körperliche Unversehrtheit betont.

Das Symposium „‚Was ist fair?‘ Geschlechterdiversität im Sport zwischen Chancengleichheit und Selbstbestimmung“ widmet sich diesem Spannungsfeld aus theoretischer, empirischer und rechtlicher Perspektive. Unter Bezugnahme auf Ausführungen aus der Soziologie der Quantifizierung wird verdeutlicht, dass kennzeichnend für das auf Rekordmarken, Torschüssen und Ligaplätzen – und letztlich auf Zahlen – basierende System des Leistungssports auch ein binäres Geschlechtersystem über Zahlen stabilisiert wird. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Körper von Sportler:innen, die Varianten der Geschlechtsentwicklung aufweisen, über Zahlen reguliert werden – etwa anhand ihrer Testosteronwerte. Mit Blick auf den europäischen Breitensport wirft das Symposium ferner einen empirischen Blick auf die Erfahrungen von TIN-Personen. Dabei wird aufgezeigt, dass diese häufig durch heteronormative Denkmuster und hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit geprägt werden. Darüber hinaus wird aus einer intersektionalen Perspektive das Narrativ eines durch die Präsenz von trans* Athlet:innen bedrohten Frauensports in den Fokus genommen und dargelegt, wie spezifische Geschlechterbilder und Machtverhältnisse im Sport fest und fortgeschrieben werden. Schließlich fragt das Symposium aus einer rechtlichen Perspektive danach, inwiefern Sportverbände bei der Kategorisierung von TIN-Personen – etwa hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einem Team, einer Liga oder einer Startkategorie – an menschenrechtliche Vorgaben gebunden sind.

 

Beiträge des Symposiums

 

Die numerische Vermessung von Geschlechtervariationen im modernen Leistungssport

Krämer, Dennis
Universität Münster

EINLEITUNG

Seit der Teilnahme der südafrikanischen Mittelstreckenläufer:in Caster Semenya bei der Berliner Leichtathletik-WM 2009 liefert die Präsenz von TIN-Personen im Sport den Zündstoff für zahlreiche mediale und wissenschaftliche Kontroversen. Die Positionen bewegen sich in einem diskursiven Spannungsfeld, das von zwei konfligierenden Leitgedanken umgrenzt wird: dem Prinzip der Chancengleichheit und dem Prinzip der Selbstbestimmung. Der organisierte Leistungssport reagiert auf diese Situation bislang damit, dass er die Teilnahme von TIN-Personen über ein medizinisches Wissen reguliert und an verschiedene, numerisch objektivierte Voraussetzungen koppelt – darunter die Höhe des endogenen Testosterons, die Dauer der medikamentösen Testosteronsenkung, den Zeitpunkt der medizinischen Transition oder den Grad der Virilisierung während der Pubertät.

THEORIE UND METHODE

Der Vortrag knüpft an Ausführungen aus der Soziologie der Quantifizierung an und konkretisiert die Bedeutung von Zahlen bei der Regulierung von Geschlechterkategorien am Beispiel der professionellen Leichtathletik. Im Sport versprechen Zahlen nicht nur ein „akzeptiertes, objektives, standardisiertes und von Kontingenz befreites Wissen“ (Heintz, 2007), sondern transformieren Bewegungsaktivitäten in sportliche Leistungen, machen diese als objektivierte Leistungsnachweise vergleichund kommunizierbar und haben maßgeblich zum Aufstieg des Weltsports beigetragen (Werron, 2009).

DISKUSSION

Der Vortrag verfolgt die These, dass über Zahlen darüber hinaus die beiden Leitprinzipien der Chancengleichheit und der Selbstbestimmung reguliert werden: Zahlen spielen in dieser Hinsicht nicht nur eine zentrale Rolle bei der Bildung von Leistungsklassen – etwa über numerisch festgelegte Gewichts- oder Altersschwellen –, sondern dienen bei der Regulierung von Geschlechterkategorien auch dazu, Variationen von Geschlecht zu objektivieren und diese in ein geschlechterbinäres System zu integrieren (Krämer, 2024). Darüber hinaus werden sie von den Sportverbänden als zentrale Evidenzbringer herangezogen, um einschätzen zu können, welchen Eingriffen sich Athlet:innen in welchem Umfang unterziehen müssen, um an Wettkämpfen teilnehmen zu können.

LITERATUR

Heintz, B. (2007). Zahlen, Wissen, Objektivität: Wissenschaftssoziologische Perspektiven. In A. Mennicken, & H. Vollmer (Hrsg.), Zahlenwerk. Kalkulation, Organisation und Gesellschaft (S. 65–87). Springer VS.

Krämer, D. (2024). Die Vermessung von Geschlecht im Sport und der Umgang mit kategorialen Transgressionen. In R. Schmidt, M. Weigelin & D. Kempf (Hrsg.), Leistungsvergleiche und evaluative Praktiken. Sport als instruktiver Fall der Soziologie der Bewertung (S. 93–123). transcript.

Werron, T. (2009). Der Weltsport und sein Publikum. Zur Autonomie des modernen Sports. Velbrück.

 

Ein empirischer Blick auf geschlechtliche Vielfalt im Breitensport

Braumüller, Birgit
Deutsche Sporthochschule Köln

EINLEITUNG

Die Forderung nach einer Auseinandersetzung des organisierten Sports mit geschlechtlicher Vielfalt wird zunehmend virulent, da das auf Zweigeschlechtlichkeit und Geschlechtertrennung ausgerichtete Sportsystem geschlechtliche Diversität nicht adäquat abbildet. Das betrifft Personen, die binäre Geschlechternormen und -erwartungen überschreiten oder sich in dem zweigeschlechtlichen System nicht einordnen können/wollen, d. h. trans*, inter* und nicht-binäre Personen sowie Personen mit weiteren nicht-cisgeschlechtlichen Identitäten (TIN+ Personen). Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung lässt sich mit einer Zunahme von vielfältigen Geschlechteridentitäten und der dem Sport inhärenten Handlungsorientierung Sport für alle ebenso begründen wie mit sportpolitischen und -rechtlichen Vorgaben. In Anlehnung an Cunninghams Multilevel Modell (2012) wird in diesem Beitrag ein differenzierter Blick auf (1) die Erfahrungen von TIN+ Personen im organisierten Breitensport (Mikrolevel), (2) inklusive Maßnahmen in Sportorganisationen (Mesolevel) und (3) die Einschätzungen von relevanten Stakeholdern zu geschlechtlicher Vielfalt (Makrolevel) geworfen.

METHODE

In den vier im Zeitraum von 2018 bis 2024 bearbeiteten Erasmus+ Projekten wurden quantitative online Surveys mit spezifischen Schwerpunkten durchgeführt sowie bei einem Projekt ergänzend Fokusgruppendiskussionen. Die Zielgruppen variierten hinsichtlich der geschlechtlichen Identität der Befragten, der ausgeübten Sportarten und Rollen im organisierten Sport sowie der sportkontextuellen Verortung der teilnehmenden Personen.

ERGEBNISSE

Die empirischen Befunde belegen systematisch und konsistent, dass TIN+ Personen im organisierten Breitensport besonders gefährdet sind, Benachteiligung, Diskriminierung und Ausgrenzung zu erleben. Das zeigt sich einerseits bei den tatsächlichen Erfahrungen und Gefühlen der Ausgrenzung von TIN+ Personen im europäischen Breitensport. Andererseits wird die hohe Vulnerabilität auch in den Meinungsbildern relevanter Stakeholder zu geschlechtlicher Vielfalt evident. Dennoch fokussieren Sportorganisationen ihre inklusiven Maßnahmen stärker auf das binäre Geschlecht und die sexuelle Orientierung.

DISKUSSION

Die Befunde verdeutlichen die Wirkmacht der tief im Sport verwurzelten heteronormativen Denkmuster und hegemonialen Vorstellungen von Männlichkeit/Weiblichkeit (Krane, 2019), die den Transfer der steigenden Sensibilisierung in nicht-diskriminierendes Verhalten, einladende Kulturen und inklusive Strukturen erschwert. Der organisierte Breitensport muss einen gelingenden Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt entwickeln, um dem Anspruch von Inklusion, Offenheit und der Schaffung diskriminierungsfreier Räume gerecht zu werden.

LITERATUR

Cunningham, G. B. (2012). A multilevel model for understanding the experiences of LGBT sport participants. Journal for the Study of Sports and Athletes in Education, 6(1), 5–20.

Krane, V. (2019). Sex, gender, and sexuality in sport: Queer inquiries. Routledge.

 

Frauen vor Frauen schützen – Trans* Athletinnen und die Narration des bedrohten Frauensports

Heckemeyer, Karolin
Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz

EINLEITUNG

Der Beitrag greift aktuelle Debatten über die Teilhabe von trans: Personen am Sport und an sportiven Wettkämpfen auf und nimmt dabei in besonderer Weise die Narration eines durch die Präsenz von trans* Athletinnen bedrohten Frauensports in den Blick. Es wird gezeigt, dass und wie durch diese Narration herkömmliche cis-heteronormative Geschlechtervorstellungen und damit verbundene Machtverhältnisse im Sport reproduziert und festgeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund wird abschließend für eine trans*-feministische Analyseperspektive plädiert, die es ermöglicht, Geschlechtervielfalt im Sport in einem komplexen Gefüge geschlechtlicher und intersektionaler Verhältnisse zu betrachten.

THEORIE & METHODE

Ausgangspunkt der in diesem Beitrag vorgestellten Überlegungen sind trans*- und geschlechtertheoretische Ansätze, die trans*/transgender nicht als geschlechtliches Selbstverständnis verstehen, sondern als einen theoretisch-analytischen Begriff, der es erlaubt, vergeschlechtlichte Subjekte und Subjektpositionen im Sport zu analysieren (Radi, 2019). Diese Perspektive dient in einem ersten Schritt dazu, der Frage nachzugehen, wie Körper im Sport zu trans* Körpern gemacht und im Zuge dessen als deviant konstruiert werden. Wie erwähnt geraten dabei vor allem trans* Athletinnen in den Fokus und damit auch die Konstruktion „weiblicher“ Körper im Sport. Anhand aktuell gültiger Regularien internationaler Sportverbände zur Teilnahme von trans* Frauen an Wettkämpfen der Leistungsklasse Frauen sowie anhand medialer Berichte und internationaler Kampagnen wie Save Women’s Sport und Fairplay for Women wird gezeigt, dass und wie die Körper und Geschlechtlichkeit von trans* Athletinnen entlang cis-heteronormativer Normierungen zu „Nicht-Frauenkörpern“ verändert und ihr Ausschluss aus dem Sport legitimiert werden. Dabei lässt sich eine Verdichtung der Argumentation zu einem Bedrohungsszenario für den Frauensport beobachten, das historisch gewachsene, paternalistische und geschlechterbinär-hierarchische Strukturen und Denkweisen des Sports reproduziert.

DISKUSSION

Die Analysen legen nahe, dass aktuelle Debatten über Geschlechtervielfalt durch den expliziten Fokus auf den Frauensport, zentrale geschlechtsbezogene Ungleichheitsstrukturen des Sports aus dem Blick verlieren. Eine trans*-feministische Theorie- und Analyseperspektive, die konsequent auf ein intersektionales Geschlechterverständnis rekurriert, kann hier neue Impulse geben (Adjepong, 2023).

LITERATUR

Adjepong, A. (2023). Queer African feminist orientations for a trans sports studies. Transgender Studies Quarterly, 10(2), 153–159.

Radi, B. (2019). On trans* epistemology: Critiques, contributions, and challenges. Transgender Studies Quarterly, 6(1), 43–63.

 

Geschlechtszuordnung im Sport als menschenrechtliche Entscheidung

Roßbach, Susanna
Max-Planck-Institut Hamburg

EINLEITUNG

In der eigenen Geschlechtsidentität anerkannt zu werden, ist ein Menschenrecht. Das Bundesverfassungsgericht geht seit den späten 1970er-Jahren davon aus, dass das Grundgesetz jedem Menschen ein Recht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen Identität zuspricht. Ähnlich äußern sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf europäischer sowie der UN-Menschenrechtsausschuss auf internationaler Ebene. Im deutschen einfachen Recht ist das Menschenrecht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen Identität seit November 2024 im Selbstbestimmungsgesetz verbürgt, das es erstmals erlaubt, die rechtliche Geschlechtszuordnung (weitestgehend) diskriminierungsfrei zu korrigieren. Der Geschlechtseintrag im Geburtenregister und der Vorname können seitdem durch eine selbstbestimmte Erklärung beim Standesamt geändert werden. Das Selbstbestimmungsgesetz verfolgt dabei das ausdrücklich erklärte Ziel, die rechtliche Geschlechtszuordnung von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SBGG).

Diese rechtliche Geschlechtszuordnung, wie sie im Geschlechtseintrag im Geburtenregister abgebildet wird, ist für den Sport grundsätzlich nicht bindend. Die Zuordnung – etwa von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Sportler:innen – zu einem Team, einer Liga oder einem Wettbewerb obliegt vielmehr den autonom organisierten Sportverbänden.

THEORIE & METHODE

Der Beitrag fragt danach, inwiefern Sportverbände bei der Zuordnung von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Sportler:innen zu einem Team, einer Liga oder einem Wettbewerb an menschen-rechtliche Vorgaben gebunden sein können. Eine mögliche Bindungswirkung wird unter Heranziehung verschiedener rechtlicher Instrumente und Methoden sowie der vertretenen Literaturansätze analysiert.

DISKUSSION

Da es sich bei Sportverbänden nicht um staatliche Organisationen handelt, scheint eine unmittelbare Bindung an Menschenrechte auf den ersten Blick nicht naheliegend. Ansätze in der Literatur ziehen aber etwa die VN-Leitprinzipien heran (Thielbörger, 2023). Auch eine Einstufung der Zuordnung entgegen der Geschlechtsidentität als antidiskriminierungsrechtlich verbotene Benachteiligung wegen des Geschlechts (Block, 2014) könnte wegen der damit verbundenen Rechtsfolgen jedenfalls eine faktische Bindungswirkung bedeuten. Der gesellschaftspolitische Auftrag des Sports legt schließlich aber auch eine weitere Überlegung nahe: Nur weil Sportverbände bei ihren Entscheidungen die Menschenrechte nicht (immer) beachten müssen, bedeutet dies nicht, dass sie sie nicht berücksichtigen dürfen und sollten.

LITERATUR

Block, J. (2014). Geschlechtergleichheit im Sport. Nomos Verlagsgesellschaft.

Thielbörger, P. (2023). Zur Verantwortung von Fußballvereinen und -verbänden für LSBTIQ*-Rechte. In Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hrsg.), Queere Vielfalt im Fußball (S. 29–41). Verlag Barbara Budrich.