âWas ist fair?â GeschlechterdiversitĂ€t im Sport zwischen Chancengleichheit und Selbstbestimmung
Chair(s): KrĂ€mer, Dennis (UniversitĂ€t MĂŒnster)
Auch wenn sich inter- und transgeschlechtliche sowie nichtbinĂ€re Personen (TIN) seit vielen Jahren fĂŒr ihr Recht auf Teilhabe am Sport einsetzen, besteht im sportwissenschaftlichen Diskurs und seitens der Sportorganisationen nach wie vor kein Konsens darĂŒber, wie mit GeschlechterdiversitĂ€t im Sport umzugehen ist. Die Diskussionen drehen sich dabei um zwei Grundprinzipien, die den modernen Sport prĂ€gen: (1) das auf einem egalitaristischen LeistungsverstĂ€ndnis beruhende Prinzip der Chancengleichheit, das durch die Bildung von Leistungsklassen und eine medizinisch orientierte Geschlechtersegregation realisiert wird, sowie (2) das Prinzip der Selbstbestimmung, das â in Korrespondenz mit inklusiven Rechtsregelungen wie dem 2024 in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) â Aspekte wie die individuelle Geschlechtsentwicklung und körperliche Unversehrtheit betont.
Das Symposium ââWas ist fair?â GeschlechterdiversitĂ€t im Sport zwischen Chancengleichheit und Selbstbestimmungâ widmet sich diesem Spannungsfeld aus theoretischer, empirischer und rechtlicher Perspektive. Unter Bezugnahme auf AusfĂŒhrungen aus der Soziologie der Quantifizierung wird verdeutlicht, dass kennzeichnend fĂŒr das auf Rekordmarken, TorschĂŒssen und LigaplĂ€tzen â und letztlich auf Zahlen â basierende System des Leistungssports auch ein binĂ€res Geschlechtersystem ĂŒber Zahlen stabilisiert wird. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Körper von Sportler:innen, die Varianten der Geschlechtsentwicklung aufweisen, ĂŒber Zahlen reguliert werden â etwa anhand ihrer Testosteronwerte. Mit Blick auf den europĂ€ischen Breitensport wirft das Symposium ferner einen empirischen Blick auf die Erfahrungen von TIN-Personen. Dabei wird aufgezeigt, dass diese hĂ€ufig durch heteronormative Denkmuster und hegemoniale Vorstellungen von MĂ€nnlichkeit und Weiblichkeit geprĂ€gt werden. DarĂŒber hinaus wird aus einer intersektionalen Perspektive das Narrativ eines durch die PrĂ€senz von trans* Athlet:innen bedrohten Frauensports in den Fokus genommen und dargelegt, wie spezifische Geschlechterbilder und MachtverhĂ€ltnisse im Sport fest und fortgeschrieben werden. SchlieĂlich fragt das Symposium aus einer rechtlichen Perspektive danach, inwiefern SportverbĂ€nde bei der Kategorisierung von TIN-Personen â etwa hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einem Team, einer Liga oder einer Startkategorie â an menschenrechtliche Vorgaben gebunden sind.
BeitrÀge des Symposiums
Die numerische Vermessung von Geschlechtervariationen im modernen Leistungssport
KrÀmer, Dennis
UniversitĂ€t MĂŒnster
EINLEITUNG
Seit der Teilnahme der sĂŒdafrikanischen MittelstreckenlĂ€ufer:in Caster Semenya bei der Berliner Leichtathletik-WM 2009 liefert die PrĂ€senz von TIN-Personen im Sport den ZĂŒndstoff fĂŒr zahlreiche mediale und wissenschaftliche Kontroversen. Die Positionen bewegen sich in einem diskursiven Spannungsfeld, das von zwei konfligierenden Leitgedanken umgrenzt wird: dem Prinzip der Chancengleichheit und dem Prinzip der Selbstbestimmung. Der organisierte Leistungssport reagiert auf diese Situation bislang damit, dass er die Teilnahme von TIN-Personen ĂŒber ein medizinisches Wissen reguliert und an verschiedene, numerisch objektivierte Voraussetzungen koppelt â darunter die Höhe des endogenen Testosterons, die Dauer der medikamentösen Testosteronsenkung, den Zeitpunkt der medizinischen Transition oder den Grad der Virilisierung wĂ€hrend der PubertĂ€t.
THEORIE UND METHODE
Der Vortrag knĂŒpft an AusfĂŒhrungen aus der Soziologie der Quantifizierung an und konkretisiert die Bedeutung von Zahlen bei der Regulierung von Geschlechterkategorien am Beispiel der professionellen Leichtathletik. Im Sport versprechen Zahlen nicht nur ein âakzeptiertes, objektives, standardisiertes und von Kontingenz befreites Wissenâ (Heintz, 2007), sondern transformieren BewegungsaktivitĂ€ten in sportliche Leistungen, machen diese als objektivierte Leistungsnachweise vergleichund kommunizierbar und haben maĂgeblich zum Aufstieg des Weltsports beigetragen (Werron, 2009).
DISKUSSION
Der Vortrag verfolgt die These, dass ĂŒber Zahlen darĂŒber hinaus die beiden Leitprinzipien der Chancengleichheit und der Selbstbestimmung reguliert werden: Zahlen spielen in dieser Hinsicht nicht nur eine zentrale Rolle bei der Bildung von Leistungsklassen â etwa ĂŒber numerisch festgelegte Gewichts- oder Altersschwellen â, sondern dienen bei der Regulierung von Geschlechterkategorien auch dazu, Variationen von Geschlecht zu objektivieren und diese in ein geschlechterbinĂ€res System zu integrieren (KrĂ€mer, 2024). DarĂŒber hinaus werden sie von den SportverbĂ€nden als zentrale Evidenzbringer herangezogen, um einschĂ€tzen zu können, welchen Eingriffen sich Athlet:innen in welchem Umfang unterziehen mĂŒssen, um an WettkĂ€mpfen teilnehmen zu können.
LITERATUR
Heintz, B. (2007). Zahlen, Wissen, ObjektivitĂ€t: Wissenschaftssoziologische Perspektiven. In A. Mennicken, & H. Vollmer (Hrsg.), Zahlenwerk. Kalkulation, Organisation und Gesellschaft (S. 65â87). Springer VS.
KrĂ€mer, D. (2024). Die Vermessung von Geschlecht im Sport und der Umgang mit kategorialen Transgressionen. In R. Schmidt, M. Weigelin & D. Kempf (Hrsg.), Leistungsvergleiche und evaluative Praktiken. Sport als instruktiver Fall der Soziologie der Bewertung (S. 93â123). transcript.
Werron, T. (2009). Der Weltsport und sein Publikum. Zur Autonomie des modernen Sports. VelbrĂŒck.
Ein empirischer Blick auf geschlechtliche Vielfalt im Breitensport
BraumĂŒller, Birgit
Deutsche Sporthochschule Köln
EINLEITUNG
Die Forderung nach einer Auseinandersetzung des organisierten Sports mit geschlechtlicher Vielfalt wird zunehmend virulent, da das auf Zweigeschlechtlichkeit und Geschlechtertrennung ausgerichtete Sportsystem geschlechtliche DiversitĂ€t nicht adĂ€quat abbildet. Das betrifft Personen, die binĂ€re Geschlechternormen und -erwartungen ĂŒberschreiten oder sich in dem zweigeschlechtlichen System nicht einordnen können/wollen, d. h. trans*, inter* und nicht-binĂ€re Personen sowie Personen mit weiteren nicht-cisgeschlechtlichen IdentitĂ€ten (TIN+ Personen). Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung lĂ€sst sich mit einer Zunahme von vielfĂ€ltigen GeschlechteridentitĂ€ten und der dem Sport inhĂ€renten Handlungsorientierung Sport fĂŒr alle ebenso begrĂŒnden wie mit sportpolitischen und -rechtlichen Vorgaben. In Anlehnung an Cunninghams Multilevel Modell (2012) wird in diesem Beitrag ein differenzierter Blick auf (1) die Erfahrungen von TIN+ Personen im organisierten Breitensport (Mikrolevel), (2) inklusive MaĂnahmen in Sportorganisationen (Mesolevel) und (3) die EinschĂ€tzungen von relevanten Stakeholdern zu geschlechtlicher Vielfalt (Makrolevel) geworfen.
METHODE
In den vier im Zeitraum von 2018 bis 2024 bearbeiteten Erasmus+ Projekten wurden quantitative online Surveys mit spezifischen Schwerpunkten durchgefĂŒhrt sowie bei einem Projekt ergĂ€nzend Fokusgruppendiskussionen. Die Zielgruppen variierten hinsichtlich der geschlechtlichen IdentitĂ€t der Befragten, der ausgeĂŒbten Sportarten und Rollen im organisierten Sport sowie der sportkontextuellen Verortung der teilnehmenden Personen.
ERGEBNISSE
Die empirischen Befunde belegen systematisch und konsistent, dass TIN+ Personen im organisierten Breitensport besonders gefĂ€hrdet sind, Benachteiligung, Diskriminierung und Ausgrenzung zu erleben. Das zeigt sich einerseits bei den tatsĂ€chlichen Erfahrungen und GefĂŒhlen der Ausgrenzung von TIN+ Personen im europĂ€ischen Breitensport. Andererseits wird die hohe VulnerabilitĂ€t auch in den Meinungsbildern relevanter Stakeholder zu geschlechtlicher Vielfalt evident. Dennoch fokussieren Sportorganisationen ihre inklusiven MaĂnahmen stĂ€rker auf das binĂ€re Geschlecht und die sexuelle Orientierung.
DISKUSSION
Die Befunde verdeutlichen die Wirkmacht der tief im Sport verwurzelten heteronormativen Denkmuster und hegemonialen Vorstellungen von MĂ€nnlichkeit/Weiblichkeit (Krane, 2019), die den Transfer der steigenden Sensibilisierung in nicht-diskriminierendes Verhalten, einladende Kulturen und inklusive Strukturen erschwert. Der organisierte Breitensport muss einen gelingenden Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt entwickeln, um dem Anspruch von Inklusion, Offenheit und der Schaffung diskriminierungsfreier RĂ€ume gerecht zu werden.
LITERATUR
Cunningham, G. B. (2012). A multilevel model for understanding the experiences of LGBT sport participants. Journal for the Study of Sports and Athletes in Education, 6(1), 5â20.
Krane, V. (2019). Sex, gender, and sexuality in sport: Queer inquiries. Routledge.
Frauen vor Frauen schĂŒtzen â Trans* Athletinnen und die Narration des bedrohten Frauensports
Heckemeyer, Karolin
PĂ€dagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz
EINLEITUNG
Der Beitrag greift aktuelle Debatten ĂŒber die Teilhabe von trans: Personen am Sport und an sportiven WettkĂ€mpfen auf und nimmt dabei in besonderer Weise die Narration eines durch die PrĂ€senz von trans* Athletinnen bedrohten Frauensports in den Blick. Es wird gezeigt, dass und wie durch diese Narration herkömmliche cis-heteronormative Geschlechtervorstellungen und damit verbundene MachtverhĂ€ltnisse im Sport reproduziert und festgeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund wird abschlieĂend fĂŒr eine trans*-feministische Analyseperspektive plĂ€diert, die es ermöglicht, Geschlechtervielfalt im Sport in einem komplexen GefĂŒge geschlechtlicher und intersektionaler VerhĂ€ltnisse zu betrachten.
THEORIE & METHODE
Ausgangspunkt der in diesem Beitrag vorgestellten Ăberlegungen sind trans*- und geschlechtertheoretische AnsĂ€tze, die trans*/transgender nicht als geschlechtliches SelbstverstĂ€ndnis verstehen, sondern als einen theoretisch-analytischen Begriff, der es erlaubt, vergeschlechtlichte Subjekte und Subjektpositionen im Sport zu analysieren (Radi, 2019). Diese Perspektive dient in einem ersten Schritt dazu, der Frage nachzugehen, wie Körper im Sport zu trans* Körpern gemacht und im Zuge dessen als deviant konstruiert werden. Wie erwĂ€hnt geraten dabei vor allem trans* Athletinnen in den Fokus und damit auch die Konstruktion âweiblicherâ Körper im Sport. Anhand aktuell gĂŒltiger Regularien internationaler SportverbĂ€nde zur Teilnahme von trans* Frauen an WettkĂ€mpfen der Leistungsklasse Frauen sowie anhand medialer Berichte und internationaler Kampagnen wie Save Womenâs Sport und Fairplay for Women wird gezeigt, dass und wie die Körper und Geschlechtlichkeit von trans* Athletinnen entlang cis-heteronormativer Normierungen zu âNicht-Frauenkörpernâ verĂ€ndert und ihr Ausschluss aus dem Sport legitimiert werden. Dabei lĂ€sst sich eine Verdichtung der Argumentation zu einem Bedrohungsszenario fĂŒr den Frauensport beobachten, das historisch gewachsene, paternalistische und geschlechterbinĂ€r-hierarchische Strukturen und Denkweisen des Sports reproduziert.
DISKUSSION
Die Analysen legen nahe, dass aktuelle Debatten ĂŒber Geschlechtervielfalt durch den expliziten Fokus auf den Frauensport, zentrale geschlechtsbezogene Ungleichheitsstrukturen des Sports aus dem Blick verlieren. Eine trans*-feministische Theorie- und Analyseperspektive, die konsequent auf ein intersektionales GeschlechterverstĂ€ndnis rekurriert, kann hier neue Impulse geben (Adjepong, 2023).
LITERATUR
Adjepong, A. (2023). Queer African feminist orientations for a trans sports studies. Transgender Studies Quarterly, 10(2), 153â159.
Radi, B. (2019). On trans* epistemology: Critiques, contributions, and challenges. Transgender Studies Quarterly, 6(1), 43â63.
Geschlechtszuordnung im Sport als menschenrechtliche Entscheidung
RoĂbach, Susanna
Max-Planck-Institut Hamburg
EINLEITUNG
In der eigenen GeschlechtsidentitĂ€t anerkannt zu werden, ist ein Menschenrecht. Das Bundesverfassungsgericht geht seit den spĂ€ten 1970er-Jahren davon aus, dass das Grundgesetz jedem Menschen ein Recht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen IdentitĂ€t zuspricht. Ăhnlich Ă€uĂern sich der EuropĂ€ische Gerichtshof fĂŒr Menschenrechte auf europĂ€ischer sowie der UN-Menschenrechtsausschuss auf internationaler Ebene. Im deutschen einfachen Recht ist das Menschenrecht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen IdentitĂ€t seit November 2024 im Selbstbestimmungsgesetz verbĂŒrgt, das es erstmals erlaubt, die rechtliche Geschlechtszuordnung (weitestgehend) diskriminierungsfrei zu korrigieren. Der Geschlechtseintrag im Geburtenregister und der Vorname können seitdem durch eine selbstbestimmte ErklĂ€rung beim Standesamt geĂ€ndert werden. Das Selbstbestimmungsgesetz verfolgt dabei das ausdrĂŒcklich erklĂ€rte Ziel, die rechtliche Geschlechtszuordnung von der EinschĂ€tzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stĂ€rken (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SBGG).
Diese rechtliche Geschlechtszuordnung, wie sie im Geschlechtseintrag im Geburtenregister abgebildet wird, ist fĂŒr den Sport grundsĂ€tzlich nicht bindend. Die Zuordnung â etwa von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binĂ€ren Sportler:innen â zu einem Team, einer Liga oder einem Wettbewerb obliegt vielmehr den autonom organisierten SportverbĂ€nden.
THEORIE & METHODE
Der Beitrag fragt danach, inwiefern SportverbÀnde bei der Zuordnung von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binÀren Sportler:innen zu einem Team, einer Liga oder einem Wettbewerb an menschen-rechtliche Vorgaben gebunden sein können. Eine mögliche Bindungswirkung wird unter Heranziehung verschiedener rechtlicher Instrumente und Methoden sowie der vertretenen LiteraturansÀtze analysiert.
DISKUSSION
Da es sich bei SportverbĂ€nden nicht um staatliche Organisationen handelt, scheint eine unmittelbare Bindung an Menschenrechte auf den ersten Blick nicht naheliegend. AnsĂ€tze in der Literatur ziehen aber etwa die VN-Leitprinzipien heran (Thielbörger, 2023). Auch eine Einstufung der Zuordnung entgegen der GeschlechtsidentitĂ€t als antidiskriminierungsrechtlich verbotene Benachteiligung wegen des Geschlechts (Block, 2014) könnte wegen der damit verbundenen Rechtsfolgen jedenfalls eine faktische Bindungswirkung bedeuten. Der gesellschaftspolitische Auftrag des Sports legt schlieĂlich aber auch eine weitere Ăberlegung nahe: Nur weil SportverbĂ€nde bei ihren Entscheidungen die Menschenrechte nicht (immer) beachten mĂŒssen, bedeutet dies nicht, dass sie sie nicht berĂŒcksichtigen dĂŒrfen und sollten.
LITERATUR
Block, J. (2014). Geschlechtergleichheit im Sport. Nomos Verlagsgesellschaft.
Thielbörger, P. (2023). Zur Verantwortung von FuĂballvereinen und -verbĂ€nden fĂŒr LSBTIQ*-Rechte. In Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hrsg.), Queere Vielfalt im FuĂball (S. 29â41). Verlag Barbara Budrich.