Sportwissenschaft gemeinsam neu denken – eine Zukunftswerkstatt
Chair(s): Kuhn, Peter Leonhard (Denkfabrik sportainable)
RAHMENABSTRACT
1997 schreibt Kuhn in seinem Beitrag „Natur als Herausforderung der Sportpädagogik“ für das Schwerpunktheft „Sport und Ökologie“ der dvs-Informationen: „Allerdings kann es nicht eigentlich Aufgabe einer ökologisch orientierten Diskussion in der Sportpädagogik sein, ökologische Ziele zu verfolgen. Bislang lassen sich umweltpädagogische Ansätze im Sport jedoch in weiten Teilen von der Möglichkeit einer Kompensation gesellschaftlicher Missstände durch pädagogische Steuerungsversuche leiten – und insofern lässt sich Bewegungserziehung instrumentalisieren.“
Öffnet man den Blick von der Sportpädagogik auf die Sportwissenschaft als Ganzes und von Umweltschutz im engeren auf Nachhaltigkeit im weiteren Sinne, so könnte man analog argumentieren, dass sich Sportwissenschaft(en) nicht für Zwecke der nachhaltigen Entwicklung instrumentalisieren lassen sollte(n). Doch ist diese Zurückhaltung heute noch akzeptabel? Ja – ist sie überhaupt sachgerecht? Ist nicht vielmehr Bildung für nachhaltige Entwicklung im Sport die eigentliche Sportpädagogik? Und Sportökologie der Kern der Sportwissenschaft? Wie auch immer – Nachhaltigkeit ist, um es analog zu Kuhn zu formulieren, eine Herausforderung der Sportwissenschaft. Angesichts des Ressourcenverbrauchs, der CO2-äquivalenten Emissionen und des Müllaufkommens im Sport (expl.: Collins & Roberts, 2017; Wicker, 2019; McLoughlin, 2021), angesichts der Arbeitsbedingungen in den Lieferketten (expl.: Hale & Wills, 2011; Antonini et al., 2020) ist das Überbietungsparadigma „citius, altius, fortius“ fragwürdig geworden. Was bedeutet das für die Sportwissenschaft und ihre Teildisziplinen? Nicht weniger als: die Bereitschaft zum Paradigmenwechsel.
Im invited Symposium „Sportwissenschaft gemeinsam neu denken“ wollen wir diesen Paradigmenwechsel einleiten. Zunächst wird in Impulsreferaten der Problemhorizont aufgespannt. Anschließend sollen in einer „Zukunftswerkstatt“ konkrete Grundlagen für ein neues Selbstverständnis der Sportwissenschaft und ihrer Teildisziplinen entwickelt werden. Diese sollen in ein Positionspapier überführt werden.
LITERATUR
Antonini, C., Beck, C., & Larrinaga, C. (2020). Subpolitics and sustainability reporting boundaries. The case of working conditions in global supply chains. Accounting, Auditing & Accountability Journal, 33(7), 1535−1567.
Collins, A., & Roberts, A. (2017). Assessing the environmental impact of economic activity surrounding major sport events. In B. P. McCullough & T. B. Kellison, Routledge Handbook of Sport and the Environment (pp. 207–219). Routledge.
Hale, A., & Wills, J. (2011). Threads of labour: garment industry supply chains from the workers’ perspective. John Wiley & Sons.
Kuhn, P. (1997). Natur als Herausforderung der Sportpädagogik. dvs Informationen, 12(2), 14−18.
McLoughlin, D. (2021). All Eco Sneakers Do Is Kill The Planet a Little Bit Slower. https://runrepeat.com/eco-sneakers-research.
Wicker, P. (2019). The carbon footprint of active sport participants. Sport management review, 22(4), 513–526. https://doi.org/10.1016/j.smr.2018.07.001
Beiträge des Symposiums
Impuls: Soziale Nachhaltigkeit als Herausforderung der Sportwissenschaft
Muth, Lavinia Denkfabrik sportainable
Während der Diskurs über ökologische Nachhaltigkeit im Sport langsam Fahrt aufnimmt, bleibt die Auseinandersetzung mit sozialer Nachhaltigkeit – insbesondere Geschlechtergerechtigkeit – in der Praxis oft oberflächlich oder gar scheinheilig. Zwar beschäftigt sich die Sportwissenschaft durchaus differenziert mit diesen Themen (etwa in Gender Studies, Sportpädagogik oder Inklusionsforschung, wie Arbeiten von Hartmann-Tews, Rulofs oder Gieß-Stüber zeigen). Doch trotz wertvoller Erkenntnisse gelingt es bisher kaum, diese Forschung in die Sportpraxis zu übersetzen oder strukturelle Probleme wirksam zu adressieren. So wird etwa Frauengesundheit im Leistungssport noch immer marginalisiert – mit wenigen, hochgehypten Ausnahmen, die vor allem eines sind: Marketing. Während Unternehmen wie Nike und SKIMS mit feministischen Kampagnen protzen (‟If you have a body, you are an athlete”, Nike 2025), bleibt die Realität für Frauen eine der strukturellen Benachteiligung. Menstruation, Schwangerschaft oder Menopause gelten weiterhin als Tabus – selbst in der Sportwissenschaft, wobei sich da langsam etwas tut. Leistungssportlerinnen kämpfen mit hormonellen Dysbalancen, Essstörungen und medizinischer Unterversorgung (z. B. Relative Energy Deficiency in Sport, RED-S). Doch statt Systeme zu verändern, wird Individualisierung betrieben: Frauen sollen sich „anpassen“, während Konzerne Profite mit leeren Empowerment-Botschaften machen. Hier braucht es stärkere transdisziplinäre Zusammenarbeit – damit wissenschaftliche Erkenntnisse endlich in Lösungen münden, statt ungenutzt zu bleiben.
Die jüngste Kooperation von Nike und SKIMS ist ein Paradebeispiel für diese Heuchelei. Während sie sich als „Innovatoren für Frauen im Sport“ inszenieren, zeigt die Realität: Nike, das sich „Net-Zero bis 2050“ auf die Fahnen schreibt, feuerte 30 % seines Nachhaltigkeitsteams. SKIMS erhielt im 2024 Fashion Accountability Report von Remake die schlechtestmögliche Bewertung (0/150) – neben Fast-Fashion-Konzernen wie SHEIN. Kim Kardashians Statement („Wir glauben an die Kraft der Frauen“) ist dabei eine dreiste Verhöhnung sozialer Gerechtigkeit. Denn: Die „empowernden“ Produkte basieren auf Plastik, Überproduktion und Ausbeutung – hergestellt von Frauen in globalen Lieferketten, die kaum Löhne, geschweige denn faire Arbeitsbedingungen erhalten. Das Geschäftsmodell perpetuiert Wachstumswahn, während es ökologische und soziale Ressourcen zerstört.
Während die Industrie mit feministischem Branding Milliarden scheffelt, fehlt es an:
• Transparenz: Wie viele Frauen in der Lieferkette verdienen existenzsichernde Löhne?
• Medizinischer Forschung: Warum gibt es kaum Studien zu Langzeitfolgen von RED-S oder hormoneller Verhütung im Leistungssport?
• Systemkritik: Warum werden Trainingsnormen noch immer von männlichen Körpern definiert?
Die Sportwissenschaft muss sich entscheiden: Dient sie als Sprachrohr der Industrie – oder dekonstruiert sie patriarchale und kapitalistische Strukturen?
Fazit: „Empowerment“-Marketing ändert nichts – solange es nur Profitinteressen bedient. Echte Gleichberechtigung erfordert:
• Konsequente Aufklärung über Frauengesundheit im Sport,
• Boykott von Schein-Innovationen wie NikeSKIMS,
• Solidarität mit den Arbeiterinnen, die die Sportmode nähen – statt mit den Konzernen, die sie
ausbeuten.
LITERATUR
Nike (2025). https://about.nike.com/en/newsroom/releases/nikeskims-official-announcement.
Impuls: Nachhaltige Sportstätten als Herausforderung der Sportwissenschaft
Essig, Natalie Hochschule München
Sportbauten bilden einen wichtigen Bestandteil der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur. Neben der Förderung des Breitensports dienen Sportbauten als Orte der Begegnung oder der Inklusion zur Gesundheitsförderung. Vor allem für Kinder und Jugendliche sind diese Orte wichtig, um Bewegung zu fördern und den Teamgeist und die Bildung sozialer Kompetenzen zu stärken. In Deutschland herrscht aktuell in vielen Regionen ein erheblicher Sanierungs- und Neubaubedarf für den Sportstättenbau. Viele Sportstätten sind in die Jahre gekommen, was die Nutzung einschränkt oder teilweise sogar unmöglich macht. Auf der anderen Seite beeinflusst der Bausektor maßgeblich unsere Umwelt, unsere Gesellschaft und den Klimawandel. Denn der Bausektor ist weltweit verantwortlich für etwa 40 % des Energieverbrauchs, 50 % des Ressourcenverbrauchs und verursacht 60 % des Abfallaufkommens (BMWK, 2022). Hierzu trägt auch der Sportstättenbau maßgeblich bei. Ein klima- bzw. treibhausgasneutraler Gebäudebestand bis 2045 ist nur möglich, wenn die klimaschutzpolitischen Grundsätze umgesetzt werden.
Um die Ziele des von der Bundesregierung beschlossenen Klimaschutzplan zu erreichen, bedarf es eines (Um)Denkens und (Um)Handelns in der Baubranche. Ein Rahmenwerkzeug hierfür sind Bewertungssysteme für nachhaltige Gebäude mit klar definierten Benchmarks. Hierfür sind ganzheitliche Ansätze erforderlich, bei denen ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen betrachtet werden. Diese sollten in die Prozessabläufe und die Planung integriert werden. Ebenso wichtig ist die Betrachtung des Lebenszyklus, um Zirkularität zu fördern und somit auch die CO2 Emissionen zu reduzieren.
Im Rahmen des Vortrags wird zum einen der vom BISp geförderte „Leitfaden Nachhaltiger Sportstättenbau“ (Eßig et al., 2015, 2017) vorgestellt und zum anderen die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Entwicklung von Kriteriensteckbriefen und das Nachhaltigkeitsbewertungssystem BNS“. Dieses wurde im Zeitraum von 2022 bis 2024 für den Neubau von Sportstätten, Schwimmbäder und Sportleistungszentren entwickelt.
Die Ziele des Forschungsprojekts waren:
• Förderung der Nachhaltigkeit im Sportstättenbau, um die Klimaschutzziele zu erreichen und CO2 Emissionen zu reduzieren;
• Entwicklung eines Mustersystems für die Nachhaltigkeitsbewertung für den Neubau von Sportstätten in Bezug auf die Anforderungen des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG);
• Abbau von Hemmschwellen für die Praxisanwendung;
• Integration digitaler Hilfsmittel, um die Anwenderfreundlichkeit zu verbessern;
• Entwicklung von praxisnahen Maßnahmen entwickeln, um Nachhaltigkeitsansätze einfacher in den Planungs- und Bauprozess zu integrieren.
Die Forschungsergebnisse stellen zudem die Grundlagen für ein Bewertungssystem für Sportstätten dar, das die Anforderungen des Qualitätssiegel Nachhaltiges Bauen (QNG) des Bundes abdeckt und zudem eine Basis für eine eigene Förderkategorie darstellt (QNG, 2024).
Die daraus abzuleitende Herausforderung für die Sportwissenschaft besteht darin, die Selbstverständlichkeit zu hinterfragen, mit der sie von der Funktionalität von Sportstätten ausgeht, ohne an die Neben- und Fernfolgen — von Ressourcenverbrauch bis Rückbau — zu denken.
LITERATUR
Eßig, N., Lindner, S., Magdolen, S., & Siegmund, L. (2015). Leitfaden Nachhaltiger Sportstättenbau. Sportverlag Strauß.
Essig, N., Lindner S. Magdolen, S. (2017). Leitfaden Nachhaltiger Sportstättenbau – Kriterien für den Neubau von Sportstätten [Kurzfassung]. Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Sportverlag Strauß.https://www.bisp.de/DE/WissenVermitteln/Aktuelles/Nachrichten/2017/Leitfaden_Nachhaltiger%20Sportst%C3%A4ttenbau.html
Bundeministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) (2022). Gebäudestrategie Klimaneutralität 2024. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Klimaschutz/gebaeudestrategie-klimaneutralitaet2045.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (aufgerufen am: 31.01.2025)
Qualitätssiegel Nachhaltiges Bauen (QNG) (2024). Handbuch Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude – Anlage 3. https://www.qng.info/app/uploads/2024/07/QNG_Handbuch_Anlage-3_AnforderungenBund_v1-4_GR-1.pdf (aufgerufen am: 31.01.2025)
Impuls: Hitze- und UV-Risiken durch den Klimawandel: Wissens- und Präventionsdefizite im deutschen Sport
Schneider, Sven Universität Heidelberg
Im Zuge des Klimawandels wird eine deutliche Zunahme von Hitze- und UV-Belastungen erwartet. Beim Schutz der in Deutschland mehr als 15 Millionen Outdoor-Sportler nehmen Trainer eine Schlüsselrolle ein. Im Rahmen der jüngst abgeschlossenen Climate Change, Coaches and Outdoor Sports (C3O) Study wurden Trainer zu Präventionswissen, -praxis und Handlungsoptionen befragt.
Bundesweit wurden 1200 Trainer aus den zehn größten Outdoor-Sportverbänden mit einem durch Expert-Review und Pretest validierten standardisierten asynchronen Online-Fragebogen zwischen Mai 2022 und Juni 2023 repräsentativ befragt. Das Präventionswissen bezüglich Hitze- respektive UV-spezifischer Risiken und Erkrankungen wurde mittels international etablierter Scores operationalisiert (Knowledge of Heat Related Illness Symptoms Index; Range: 0-14; Skin Cancer and Sun Knowledge Scale; Range: 0-25). Die Erfassung realisierter sowie grundsätzlich umsetzbarer Maßnahmen stützte sich auf offizielle Empfehlungen und Leitlinien. Als Vignette wurde ein „wolkenloser, sonniger Sommertag mit einer Außentemperatur von > 30 °C“ vorgegeben. Auf einer 100-Punkte-Likertskala wurde der aktuelle sowie der grundsätzlich im Training realisierbare Umsetzungsgrad von Präventionsmaßnahmen angegeben.
Über alle Sportarten hinweg zeigten sich sowohl bezüglich Hitzerisiken (MIndex = 10.31, SD = 1.81) als auch UV-Risiken (MSkalen = 17.76, SD = 2.98) erhebliche Defizite. Besonders ausgeprägt waren diese bei Thema Hitze u.a. bei Trainern im Fußball (M = 10.07, SD = 1.33) und im Golf (M = 10.09, SD = 1.75; pANOVA < .05). Bei UV-Risiken zeigten Fußball- und Tennistrainer, mit Werten von M = 16.90 (SD = 3.39) respektive M = 17.20 (SD = 3.15; pANOVA < .05), die größten Wissensdefizite. Auch bei den tatsächlich im Training umgesetzten Maßnahmen zum Schutz vor Hitze- und UV-Erkrankungen zeigten sich signifikante, sportartspezifische Umsetzungsdefizite. So wurde lediglich in etwa zwei Drittel aller Trainings unter Hitze gemäß den Empfehlungen getrunken (M = 67.38, SD = 27.76). Leitlinienkonforme UV-Prävention wurde im Durchschnitt nur in der Hälfte der Fälle realisiert (M = 53.43, SD = 16.37). Im Übrigen bestand kein Zusammenhang zwischen Gesundheitswissen und praktischer Umsetzung (r2 = .05; p = .858).
Hierzulande scheinen Trainer noch nicht ausreichend auf klimawandelspezifische Gesundheitsrisiken vorbereitet zu sein. Künftige Traineraus- und -weiterbildung sollte Wissensvermittlung mit sportartspezifischen Präventionsmaßnahmen kombinieren.
Impuls: Nachhaltige Mobilität als Herausforderung der Sportwissenschaft
Schmidt, Christian FAU Erlangen-Nürnberg
Nachhaltige Mobilität stellt einen zentralen Ansatz zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen wie Klimawandel, Umweltbelastung sowie der physischen und psychischen Gesundheit dar. Ihr Nutzen zeigt sich sowohl im Kontext von Public Health und körperlicher Aktivität als auch in ökologischer und ökonomischer Hinsicht (Abu-Omar et al., 2020; Brand et al., 2021). Die Notwendigkeit einer Mobilitätswende ist unstrittig, wobei dem Fahrrad eine zentrale Rolle zukommt. Bestehende Fördermaßnahmen – etwa Safe Routes to School, der schulische Fahrradführerschein oder evaluierte Interventionen – bleiben jedoch zunehmend hinter den Erwartungen zurück (Vasey, 2022; Aranda-Balboa, 2022). Trotz verfügbarer Evaluationsmodelle wie RE-AIM und klar definierter Zielgrößen zeigt sich eine Diskrepanz zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Wirkung. Eine Ursache könnte in der unzureichenden empirischen Fundierung zentraler Annahmen liegen (Dadaczynski, 2022).
Praxisnahe Erkenntnisse aus dem schulischen Alltag, insbesondere von Lehrkräften und Mitarbeitenden der Verkehrspolizei, deuten auf bestehende Defizite hin. So weist die Verkehrspolizei Hamburg darauf hin, dass die Durchfallquote bei der Fahrradprüfung von 17.8 % im Jahr 2019 auf 28.05 % im Jahr 2023 angestiegen ist. Bereits 2019 lag die Quote bei Kindern aus innerstädtischen Bezirken bei nahezu 50 %. Diese Entwicklung korrespondiert mit Beobachtungen aus dem Schulsport, wonach motorische Grundfähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen zunehmend weniger ausgeprägt sind.
In der Konsequenz verlieren etablierte sportpädagogische Interventionen an Wirksamkeit, da grundlegende Bewegungsfertigkeiten – wie das sichere Radfahren – nicht mehr vorausgesetzt werden können. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2020 die Initiative bikepool Hessen e. V. gegründet, die als Grassroot-Initiative aus dem schulischen Umfeld heraus entstanden ist. Ziel dieser Initiative ist es, die für die Mobilitätswende notwendige Basiskompetenz – das sichere Beherrschen des Fahrrads – zu vermitteln und zu fördern.
Die Sportwissenschaft steht hierbei vor der Herausforderung, die Neben- und Fernfolgen des als selbstverständlich angenommenen motorisierten Individualverkehrs in sportlichen Kontexten in Frage zu stellen und Entscheidungsgrundlagen für nachhaltigere Mobilität im Sport zu liefern. Sie kann die Relevanz, Effektivität und Wirksamkeit praxisorientierter Maßnahmen – insbesondere durch Initiativen wie bikepool sowie durch das Engagement von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften – durch empirisch fundierte Modelle stärken und nachhaltig unterstützen.
LITERATUR
Abu-Omar K., Gelius P. & Messing S. (2020). Physical activity promotion in the age of climate change [version: 2; peer review: 2 approved]. F1000Research, 9, 349 https://doi.org/10.12688/f1000research.23764.2
Aranda-Balboa, M. J., Huertas-Delgado, F. J., Gálvez-Fernández, P., Saucedo-Araujo, R., Molina-Soberanes, D., Campos-Garzón, P., Herrador-Colmenero, M., Lara-Sánchez, A. J., Molina-García, J., Queralt, A., Crone, D., & Chillón, P. (2022). The Effect of a School-Based Intervention on Children’s Cycling Knowledge, Mode of Commuting and Perceived Barriers: A Randomized Controlled Trial. International Journal of Environmental Research and Public Health, 19, 9626. https://doi.org/10.3390/ijerph19159626
Brand, C., Götschi, T., Dons, E., Gerike, R., Anaya-Boig, E., Avila-Palencia, I., de Nazelle, A., Gascon, M., Gaupp-Berghausen, M., Iacorossi, F., Kahlmeier, S., Int Panis, L., Racioppi, F., Rojas-Rueda, D., Standaert, A., Stigell, E., Sulikova, S., Wegener, S., & Nieuwenhuijsen, M. J (2021). The climate change mitigation impacts of active travel: Evidence from a longitudinal panel study in seven European cities. Global Environmental Change, 67, 102224
Dadaczynski, K., Okan, O., De Bock, F., & Koch-Gromus, U. (2020). Schulische Gesundheitsförderung und Prävention in Deutschland. Aktuelle Themen, Umsetzung und Herausforderungen. Bundesgesundheitsblatt, 65, 737–740. https://doi.org/10.1007/s00103-022-03558-3
Vasey, T. V., Carroll, S. J., Daniel, M., & Cargo, M. (2020). Changing Primary School Children’s Engagement in Active School Travel Using Safe Routes to School Interventions: A Rapid Realist Review. International Journal of Environmental Research and Public Health, 19, 9976. https://doi.org/10.3390/ijerph19169976
Impuls: Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Sport als Herausforderung der Sportwissenschaft
Lohmann, Julia Denkfabrik sportainable
Bewegung und Sport(unterricht) bieten wertvolle Bildungsanlässe im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Inhaltlich gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte z. B. in Bezug auf nachhaltige Sportkleidung, sportbezogene Mobilität oder klimawandelbedingte Gesundheitsrisiken. Durch die Verknüpfung körperlicher, kognitiver, emotionaler und sozialer Aktivitäten können Bewegung und Sport(unterricht) Nachhaltigkeits-Kompetenzen wie interpersonelle und normative Kompetenzen, systemisches und antizipatorisches Denken (Redman & Wiek, 2021) ganzheitlich gefördert werden.
Wie kann, wie sollte Bildung in Sport- und Bewegungskontexten gestaltet werden, um Lernende auf die vielfältigen und oft komplexen Anforderungen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung vorzubereiten? In Bezug auf diese Frage werden instrumentelle und emanzipatorische Bildungsansätze, d. h. verhaltensbezogene bzw. kompetenzorientierte Ansätze sowie das transformative Lernen diskutiert (Lohmann & Goller, 2022). Dabei geht es auch um die Gefahr einer möglichen Verzweckung der Bildung für gesellschaftspolitische Zwecke (Barth, 2021). Auch in der Sportpädagogik hat man sich schon früh die Frage gestellt, inwiefern Bewegung und Sport zum Mittel für pädagogische Zwecke gemacht werden darf (Scherler, 2008).
Während die Sportpädagogik Themen der sozialen Nachhaltigkeit wie Inklusion, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit seit langem als Kernthemen bearbeitet, findet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ökologischen Aspekten nur punktuell statt. Das Bildungskonzept BNE, das auf konstruktive Auseinandersetzung mit Zielkonflikten zwischen sozialen Bedürfnissen und ökologischen Konsequenzen ausgerichtet ist und dabei Unsicherheiten und Komplexität in Bezug auf die Wissensbasis einbezieht, wird erst seit kürzerem auch sportpädagogisch bearbeitet.
In der Zukunftswerkstatt des Symposiums könnten dementsprechend folgende Fragen diskutiert werden: Wie kann BNE in Bewegungs- und Sportkontexten gelingen, ohne „den Sport“ und „die Bildung“ für gesellschaftspolitische Zwecke zu instrumentalisieren? Welche Rolle können bzw. sollen Bewegung und Sport für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsbildung spielen? Inwiefern wird BNE nicht bereits durch eine grundlegend kompetenzorientierte Bildung in Bewegungs- und (Schul-)Sportkontexten realisiert, ohne dass wir dies als BNE erkennen?
LITERATUR
Barth, M. (2021). Bildung für nachhaltige Entwicklung. In T. Schmohl & T. Philipp (Hrsg.), Handbuch Transdisziplinäre Didaktik (S. 35−44). transcript.
Lohmann, J., & Goller, A. (2022). Physical education teacher educators’ subjective theories about sustainability and education for sustainable development. Journal of Sustainability in Higher Education, 24(4), 877–894. https://doi.org/10.1108/IJSHE-06-2022-0186
Scherler, K. (2008). Die Instrumentalisierungsdebatte in der Sportpädagogik. In E. Balz & P. Wolters (Hrsg.), Schulsport. Didaktik und Methodik. (S. 28−33). Friedrich.
Redman, A., & Wiek, A. (2021). Competencies for Advancing Transformations Towards Sustainability. Frontiers in Education, 6, Article 785163. https://doi.org/10.3389/feduc.2021.785163
Impuls: Biodiversität als Herausforderung in der Sportwissenschaft
Sommer, Fabian Universität Bayreuth
Sport und Biodiversität bilden im Kontext der Planetary Health zentrale Eckpfeiler. Während Bewegung essenziell für die menschliche Gesundheit ist, sorgt Biodiversität für resiliente Umweltbedingungen und funktionsfähige Ökosysteme. Damit Sport auch künftig im Naturraum stattfinden und Erholung ermöglichen kann, muss sich die Sportwissenschaft mit der globalen Herausforderung des Biodiversitätsverlusts auseinandersetzen.
Artenreiche Ökosysteme sind widerstandsfähiger gegenüber klimatischen Extremereignissen. Sie erholen sich schneller von Dürren und anderen Stressoren (Isbell et al., 2015). Dieses Phänomen wird durch die „Versicherungshypothese“ erklärt: Verschiedene Arten reagieren unterschiedlich auf Störungen und stabilisieren so das Gesamtsystem.
Biodiversität bildet somit die Grundlage für Ökosystemdienstleistungen, von denen Sport unmittelbar profitiert. Besonders bedeutsam ist die Bereitstellung geeigneter Erholungsräume, die durch intakte Natur- und Kulturlandschaften ermöglicht wird. Dazu zählen die Regulation von Luftqualität und Mikroklima ebenso wie attraktive Landschaftsbilder und stabile ökologische Rahmenbedingungen (Díaz et al., 2019; IBES, 2019). Geht Biodiversität verloren, verlieren Wälder, Gewässer und urbane Grünräume ihre Funktion als Sport- und Bewegungsräume – mit direkten Folgen für den (Outdoor-) Sport.
Im Lichte des Planetary Health-Ansatzes (Whitmee et al., 2015) wird deutlich, dass Biodiversität nicht nur ökologisch, sondern auch gesundheitlich zentral ist: Sie sichert sauberes Wasser, gesunde Böden, stabiles Klima und lebenswerte Räume für Erholung. Biodiversität ist damit Voraussetzung sowohl für sportliche Aktivität im Freien als auch für körperliche und psychische Gesundheit. Sportwissenschaft muss Biodiversität deshalb als Schlüsselressource begreifen und integrativ in Forschung, Lehre und Praxis verankern.
Bisher hat sich die Sportwissenschaft jedoch kaum systematisch mit Biodiversität befasst. In der Nachhaltigkeitsdebatte dominieren Themen wie Klima, Mobilität oder Materialfragen, während die Abhängigkeit des Sports und seiner Industrie von intakten Ökosystemen oft ausgeblendet bleibt. Outdoor-Sportarten wie Wandern, Klettern, Skifahren oder Kanufahren sind hier besonders, aber nicht ausschließlich auf funktionierende und vielfältige Ökosysteme angewiesen. Biodiversitätsverlust bedroht somit unmittelbar die Grundlagen von Bewegung und Erholung im Freien. Auch bildet Biodiversität einen wichtigen Faktor zur Bereitstellung von natürlichen Ressourcen für die Sportartikelindustrie.
Ein Paradigmenwechsel ist erforderlich: Sport darf Biodiversität nicht nur als äußere Rahmenbedingung betrachten, sondern muss sie als zentrale Ressource schützen. Das bedeutet, Biodiversität in Sportökologie, Bildung für nachhaltige Entwicklung und sportpolitische Strategien einzubinden (Wang et al., 2023). So kann die Sportwissenschaft zu einem aktiven Mitgestalter von Biodiversitätsschutz und nachhaltiger Raumnutzung werden – und damit zugleich zur Förderung von Planetary Health beitragen.
LITERATUR
Díaz, S., Settele, J., Brondízio, E. S., et al. (2019). Pervasive human-driven decline of life on Earth points to the need for transformative change. Science, 366(6471), eaax3100. https://doi.org/10.1126/science.aax3100
Isbell, F., Craven, D., Connolly, J., et al. (2015). Biodiversity increases the resistance of ecosystem productivity to climate extremes. Nature, 526, 574–577. https://doi.org/10.1038/nature15374
Wang, C., Pan, Y., Chen, Z., & He, Y. (2023). Recreational Ecosystem Services: A Review of Concepts, Methods and Applications. Land, 12(2), 509. https://doi.org/10.3390/land12020509
IPBES (2019): Summary for policymakers of the global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the IntergovernmentalvScience-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. S. Díaz, J. Settele, E. S. Brondízio E.S., H. T. Ngo, M. Guèze, J. Agard, A. Arneth, P. Balvanera, K. A. Brauman, S. H. M. Butchart, K. M. A. Chan, L. A. Garibaldi, K. Ichii, J. Liu, S. M. Subramanian, G. F. Midgley, P. Miloslavich, Z. Molnár, D. Obura, A. Pfaff, S. Polasky, A. Purvis, J. Razzaque, B. Reyers, R. Roy Chowdhury, Y. J. Shin, I. J. Visseren-Hamakers, K. J. Willis, and C. N. Zayas (eds.). IPBES secretariat, Bonn, Germany. 56 pages.
Whitmee, S., Haines, A., Beyrer, C., et al. (2015). Safeguarding human health in the Anthropocene epoch: report of The Rockefeller Foundation–Lancet Commission on Planetary Health. The Lancet, 386(10007), 1973–2028. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60901-1
Workshop: Nachhaltige Sportwissenschaft konkret
Sand, Manuel Denkfabrik sportainable
VORGEHEN
Nachdem die Impulsvorträge verschiedene Aspekte der Thematik aufgezeigt, zum Nachdenken angeregt und evtl. auch Dinge aufgewühlt haben, steht anschließend der Austausch der Anwesenden im Mittelpunkt. Gemeinsam wollen wir Sportwissenschaft neu denken, neue Ansätze diskutieren und einen Weg in die Zukunft suchen. Dazu werden wir die Impulse in einem World Café aufgreifen und gemeinsam diskutieren. Anschließend geht es darum, konkrete Handlungsfelder zu eruieren und Wege in die Zukunft zu ebnen, die wir gemeinsam beschreiten. Aus den Ergebnissen des Workshops solle nicht nur (eine) Arbeitsgruppe(n) entstehen, sondern auch ein Positionspapier.
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