Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AK5.06: AK: Karriere im Leistungssport
Zeit:
Donnerstag, 18.09.2025:
10:00 - 11:30

Chair der Sitzung: Michael Mutz, Justus-Liebig-Universität Giessen
Ort: Raum Mainz (H4)

Schlossplatz 46 120 Plätze

Präsentationen

Lässt sich Dropout im Spitzensport frühzeitig erkennen? Zur Validierung einer Kurzskala im Rahmen einer prospektiven Längsschnittstudie

Blessing, Jonna; Mutz, Michael

Justus-Liebig Universität Gießen

EINLEITUNG

Das Konzept des Dropouts im Spitzensport wird unterschiedlich definiert. In einem breiteren Verständnis bezeichnet es den Verlust der Sportförderung (Baron-Thiene, 2014), im engeren Sinn fokussiert es das vorzeitige, selbstgewählte Karriereende (Alfermann & Stambulova, 2007). Besonders Trainer:innen und Verbände haben ein Interesse daran, frühzeitige Karriereabbrüche präventiv zu identifizieren, um Talentverluste im Spitzensportsystem zu minimieren. Dieser Beitrag untersucht, inwieweit eine neu konzipierte Kurzskala zu Dropoutgedanken als Frühwarnindikator für einen tatsächlichen Dropout genutzt werden kann.

METHODE

Die Analysen basieren auf Längsschnittdaten des in:prove-Projekts, in dem seit April 2022 Athlet:innen im Rahmen von Kaderlehrgängen jährlich befragt werden. Als Teil des Fragebogens wird eine neue Kurzskala zu Dropoutgedanken eingesetzt. Das Messinstrument erfasst 1) die negative Evaluation der Leistungssportkarriere, 2) die Exploration von Alternativen zum Leistungssport und 3) die ernsthafte Absicht, den Leistungssport zu beenden. Mit Hilfe des prospektiven Designs wird geprüft, ob Dropoutgedanken (zu t1) den Verlust des Kaderstatus oder das frühzeitige Ende der Leistungssportkarriere (zu t2) vorhersagen können. Zur Validierung der neuen Skala werden t-Tests, ROC- und Genauigkeitsrücklauf-Analysen genutzt, um die Eignung der Skala als Klassifizierungsinstrument einzuschätzen.

ERGEBNISSE

Erste Ergebnisse zeigen, dass Athlet:innen, die ihren Kaderstatus verloren oder ihre Leistungssportkarriere beendet haben, bereits ein Jahr zuvor signifikant häufiger und konkreter von Dropoutgedanken berichteten als Athlet:innen, die weiterhin im Kader bzw. im Leistungssport aktiv sind. Bei den ROC-Analysen zeichnet sich ab, dass die Skala zu Dropoutgedanken weniger gut in der Lage ist, Athlet:innen zu klassifizieren, die zwar den Kaderstatus verloren haben, aber weiterhin auf professionellem Niveau Leistungssport betreiben. Die Klassifikationsgenauigkeit und allgemeine Modellqualität steigt jedoch deutlich bei der Vorhersage des Dropouts aus dem Leistungssport.

DISKUSSION

Die Skala zur Erfassung von Dropoutgedanken kann einen Dropout bereits mit einem Vorlauf von einem Jahr abbilden, wenn ein hinreichend enger Dropoutbegriff zugrunde gelegt wird. Dies ist für Trainer:innen relevant, da das Spitzensportsystem viele dieser Athlet:innen halten möchte. Entsprechend schätzen wir die Kurzskala als nützlich ein, um Dropout frühzeitig erkennen und ggf. Maßnahmen zum Verbleib der Athlet:innen ergreifen zu können.

LITERATUR

Alfermann, D., & Stambulova, N. (2007). Career transitions and career termination. In G. Tenenbaum & R. C. Eklund (Hrsg.), Handbook of Sport Psychology (pp. 712–733). Wiley.

Baron-Thiene, A. (2014). Das Dropout-Phänomen. Eine Untersuchung an Eliteschulen des Sports in Sachsen. Dissertation. Universität Leipzig.



Kritische Lebensereignisse und ihre Bedeutung für die mentale Gesundheit von Athletinnen und Athleten – eine Längsschnittanalyse

Hilpisch, Celine; Mutz, Michael

Justus-Liebig Universität Gießen

EINLEITUNG

In Ergänzung zu der Vielzahl alltäglicher Stressoren verweist die Lebensereignisforschung auf die besondere Bedeutung kritischer Lebensereignisse (KLEs) sowohl für individuelle Biografien als auch für die psychische und physische Gesundheit von Betroffenen (John et al., 2019). Aus einer Längsschnittperspektive untersuchen wir die Annahme, dass KLEs negative Auswirkungen auf Indikatoren der mentalen Gesundheit von Athletinnen und Athleten haben können, wobei wir den bisherigen Fokus auf sportbezogene KLEs erweitern.

METHODE

Die empirische Überprüfung unserer Annahmen basiert auf Längsschnittdaten deutscher Spitzensportler:innen (aktuell N = 203), die im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts „Individualisierte Leistungsentwicklung im Spitzensport“ (in:prove) zwischen April 2022 und März 2025 zweimal und im Abstand ca. eines Jahres befragt wurden. Neben der Erfassung verschiedener Konstrukte der mentalen Gesundheit (u. a. Angst- und depressive Symptome, emotionales Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit) mithilfe etablierter Screening-Instrumente, beinhaltete der Fragebogen u. a. die retrospektive Abfrage kritischer Lebensereignisse für die vergangenen 12 Monate einschließlich des damit jeweils verbundenen subjektiven Belastungsempfindens sowie Einschätzungen zu sozialen Unterstützungssystemen innerhalb und außerhalb des eigenen sportlichen Umfelds.

ERGEBNISSE

Es zeigt sich eine signifikante Zunahme der mit KLEs einhergehenden kumulativen Gesamtbelastung innerhalb eines Jahres. Lineare Regressionsanalysen lassen zudem darauf schließen, dass die wahrgenommene Gesamtbelastung mit einer Verschlechterung der mentalen Gesundheit von Athletinnen und Athleten assoziiert ist. Eine differenziertere Analyse unterstreicht die Bedeutung einzelner KLEs (z. B. schwerwiegende Kränkungen, wichtige sportliche Niederlagen) für unterschiedliche Aspekte der mentalen Gesundheit. Ergebnisse vertiefender Analysen verweisen u. a. auf die Rolle sozialer Unterstützungssysteme, die als potenzieller Schutzfaktor im Umfeld von Sportlerinnen und Sportlern lokalisiert sind.

DISKUSSION

Innerhalb eines Jahres sehen sich Athletinnen und Athleten mit einer Vielzahl von KLEs innerhalb und außerhalb des Sports konfrontiert. Die damit einhergehende kumulative Gesamtbelastung birgt das Risiko, die mentale Gesundheit der Betroffenen im Zeitverlauf negativ zu beeinflussen. Wir plädieren für eine stärkere Sensibilisierung des sozialen Umfelds von Athletinnen und Athleten, um diese in herausfordernden Zeiten zu unterstützen.

LITERATUR

John, J. M., Gropper, H., & Thiel, A. (2019). The role of critical life events in the talent development pathways of athletes and musicians: A systematic review. Psychology of Sport and Exercise, 45, 101565.



„Ob ich heute mit einem Studium anfange oder in zehn Jahren… raus bin ich so oder so!“ Analyse von beruflichen Ausbildungsentscheidungen aktueller und ehemaliger Sportsoldat*innen

Ehnold, Peter1; Schlesinger, Torsten2

1IST Hochschule für Management, Düsseldorf; 2TU Chemnitz

EINLEITUNG

Der Stellenwert einer dualen Karriere kann zwischen Spitzensportler:innen trotz staatlicher Unterstützungssysteme, wie den Sportfördergruppen der Bundeswehr (SportFGrpBw), erheblich differieren. Cartigny et al. (2021) unterscheiden z. B. zwischen drei Typen: Priorisierung der Ausbildung, ausgeglichene Priorisierung von Sport und Ausbildung, Priorisierung des Sports. Diese oder ähnliche Typisierungen reflektieren zwar Faktoren, die Bildungsentscheidungen beeinflussen, aufgrund des hohen Aggregationsniveaus bleibt jedoch weitgehend unklar, wie Ausbildungsentscheidungen konkret getroffen werden. Der Beitrag analysiert Entscheidungsprozesse und die dahinterliegenden Logiken im Hinblick auf duale Karrieren von aktuellen und ehemaligen Spitzensportler:innen der SportFGrpBw.

THEORETISCHER RAHMEN

Ausbildungsbezogene Entscheidungen von Spitzensportler:innen werden als individuelle Investitionen in Humankapital modelliert, wobei die Investitionsentscheidungen (1) an den (zukünftigen) Nutzen, der mit der Ausbildung verbunden ist und (2) an die zu erwartenden (Opportunitäts-)Kosten gekoppelt sind (Becker, 1975).

METHODE

Zur Datengenerierung wurde eine Interviewstudie mit aktuellen (n = 12) und ehemaligen (n = 11) Sportsoldat:innen durchgeführt, Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer (strukturierender) Inhaltsanalyse nach Mayring (2022).

ERGEBNISSE

Spitzensportler:innen, die sich im Hinblick auf die Priorisierung einer dualen Karriere demselben Typ zuordnen lassen, weisen dennoch z.T. erhebliche Unterschiede im Entscheidungsprozess auf, wobei die zugrundeliegenden Begründungshorizonte sowohl von sportspezifischen (z. B. Trainingsbelastung, Verdienstchancen) als auch umfeldbezogenen (z. B. Unterstützungsmaßnahmen, Freunde/ Elternhaus) Faktoren beeinflusst werden.

DISKUSSION

Die Analyse von Kosten- und Nutzenfaktoren und deren intraindividuell unterschiedliche Wertigkeit in Bezug auf Ausbildungsentscheidungen, ermöglicht die zielgenauere Beratung und Weiterentwicklung von Unterstützungsmaßnahmen zur Förderung dualer Karrieren.

LITERATUR

Becker, G. S. (1975). Human capital: a theoretical and empirical analysis, with special reference to education (2. Ed.). National Bureau of Economic Research.

Cartigny, E., Fletcher, D., Coupland, C. & Bandelow, S. (2021) Typologies of dual career in sport: A cluster analysis of identity and self-efficacy. Journal of Sports Sciences, 39(5), 583–590.

Mayring, P. (2022). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Beltz.



Zur Elternperspektive im leistungssportlichen Gerätturnen - Eltern im Spannungsfeld von leistungssportlichen Erwartungen und erzieherischen Vorstellungen

Zweigert, Maika

Universität Bremen

EINLEITUNG

Im weiblichen Gerätturnen beginnt die leistungssportliche Karriere i. d. R. in der (frühen) Kindheit. Damit wird eine Zielgruppe in den Leistungssport integriert, die sich in einer besonderen Entwicklungsphase und in Abhängigkeiten zu Erwachsenen befindet. Insofern Eltern die Verantwortung für die Entwicklung und das Wohlergehen ihrer Kinder innehaben, kann man davon ausgehen, dass diese, wenn sie ihre Kinder in das fordernde System Leistungssport integrieren, mit besonderen Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen konfrontiert sind. Die Untersuchung setzte sich zum Ziel, eben diese Herausforderungen und Umgangsweisen aus Sicht der Eltern zu rekonstruieren.

METHODE

Der Beitrag basiert auf einem qualitativen, am Vorgehen der Grounded Theory Methodologie (GTM; Breuer et al., 2017) orientierten Forschungsprojekt. Dabei wurden neun narrative, leitfadengestützte Interviews mit Eltern von 5- bis 7-jährigen, an einem Leistungszentrum Gerätturnen weiblich aktiven Kindern geführt. Die transkribierten Interviews wurden in Anlehnung an das Kodierparadigma der GTM und mit Hilfe sequenzanalytischer Verfahren ausgewertet.

ERGEBNISSE

Die Ergebnisse zeigen auf, dass sich Eltern im Kontext ihrer Unterstützung des Kindes im Leistungssport in einem Spannungsfeld von leistungssportlichen Erwartungen und ihren (eigenen) erzieherischen Ansprüchen und Wünschen für ihr Kind befinden. Auf der einen Seite erhoffen sie sich vom leistungssportlichen Turnen einen Vorteil für ihr Kind (z. B. Förderung bestimmter Fähigkeiten), auf der anderen Seite erleben sie, dass der Alltag des Leistungssports tief in die familialen Abläufe hineinwirkt und verschiedene Verantwortungsbereiche der Eltern (z. B. für das Familienleben, die (gesunde) kindliche Entwicklung, das kindliche Wohl) tangiert. Eltern müssen sich daraus resultierenden inneren Konflikten stellen und diese entsprechend der Priorisierung lösen. Feststellen lässt sich, dass Eltern dabei zwischen Anpassungen an die Erwartungsstrukturen des Leistungssports und einem Ringen um Normalität für die Familie und ihr Kind changieren.

DISKUSSION

Die Ergebnisse verdeutlichen einen hohen Verantwortungs- und z. T. auch Leidensdruck von Eltern im leistungssportlichen Turnen und geben Einblicke in die elterliche Involvierung in den Leistungssport und deren Folgen.

LITERATUR

Breuer, F., Muckel, P., & Dieris, B. (2017). Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis (3. Aufl.). Springer.



Eltern im paralympischen Leistungssport – Eine Kombination aus Mapping und Scoping Review

Vogel, Alina; Radtke, Sabine

Universität Paderborn

EINLEITUNG

Die Unterstützungsleistungen von Eltern als zentraler Faktor für leistungssportliches Engagement von Kindern und Jugendlichen ist weithin belegt (Knight et al., 2017). Martin und Choi (2009) betonen in diesem Zusammenhang die noch höhere Bedeutung der Eltern von sporttreibenden Kindern mit Behinderung. Da bisher nur wenige deutsch- und englischsprachige Studien zum Thema Eltern im Para Sport vorliegen, wird der Fokus dieser Studie um den Bereich Eltern im Nichtbehindertensport erweitert. Ziel ist es mithilfe einer Kombination aus Mapping und Scoping Review herauszuarbeiten, zu welchen Unterthemen im Bereich Eltern im Leistungssport geforscht wurde, welche Theorien der Forschung zugrunde liegen und welche Methoden verwendet wurden. Ein weiteres Ziel ist es, aus den Ergebnissen unter Hinzunahme von Erkenntnissen aus den Disability Studies Hypothesen zum Thema Eltern im Para Sport zu entwickeln.

METHODE

Nach Campbell et al. (2023) handelt es sich bei Mapping und Scoping Reviews um zwei sich überschneidende Ansätze. Während Mapping Reviews durch eine „higher level data extraction“ (Campbell et al., 2023, S. 4) gekennzeichnet sind, liegt der Schwerpunkt bei Scoping Reviews auf einer „more in-depth data extraction“ (Campbell et al., 2023, S. 4). Das Screening von Titeln und Abstracts erfolgte nach dem Mapping-Ansatz, um die Studien nach Unterthemen zum Thema Eltern im Leistungssport zu kategorisieren. Anschließend wurde eine Volltextanalyse nach dem Scoping-Ansatz durchgeführt, um detaillierte Ergebnisse, Methoden und Theorien zu ermitteln. Die Auswertung der Volltexte erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2024).

ERGEBNISSE

Nach Screening von Titeln und Abstracts wurden 709 Studien als relevant eingestuft und in sogenannte Ordnungskategorien eingeteilt (Kuckartz & Rädiker, 2024). Im nächsten Schritt erfolgte eine Volltextanalyse einzelner, für das Vorhaben relevanter, Themenbereiche (z. B. Unterstützungsleistungen von Eltern im Leistungssport). Die Volltextanalyse ist zum Zeitpunkt der Abstract-Einreichung noch nicht vollständig abgeschlossen, daher kann die Anzahl der eingeschlossenen Studien an dieser Stelle noch nicht genannt werden.

LITERATUR

Campbell, F., Tricco, A. C., Munn, Z., Pollock, D., Saran, A., Sutton, A., White, H., & Khalil, H. (2023). Mapping reviews, scoping reviews, and evidence and gap maps (EGMs): the same but different- the “Big Picture” review family. Systematic reviews, 12(1), 45. https://doi.org/10.1186/s13643-023-02178-5

Knight, C. J., Berrow, S. R., & Harwood, C. G. (2017). Parenting in sport. Current opinion in psychology, 16, 93–97. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2017.03.011

Kuckartz, U., & Rädiker, S. (2024). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Umsetzung mit Software und künstlicher Intelligenz. Juventa Verlag.

Martin, J. J., & Choi, Y. S. (2009). Parents' physical activity-related perceptions of their children with disabilities. Disability and health journal, 2(1), 9–14. https://doi.org/10.1016/j.dhjo.2008.09.001