Zusammenspiel informeller, non-formaler und formaler Bildungsprozesse digital ent|be|grenz|en
Chair(s): Prof. Dr. Rudolf Kammerl (Friedrich-Alexander-Universtität Erlangen-Nürnberg, Deutschland), Dr. Claudia Lampert (Leibniz-Institut für Medienforschung / Hans-Bredow-Institut)
Infolge von Mediatisierung und Digitalisierung verändert sich das Zusammenspiel zwischen Sozialisationsinstanzen, Bildungseinrichtungen und subjektiven Entwicklungsprozessen. Diesem veränderten Zusammenspiel von informellen, non-formalen und formalen Bildungsprozessen und dem Phänomen der Ent|grenz|zung geht das Symposium anhand von theoretischen Zugängen und Forschungsergebnissen aus aktuellen Projekten und unterschiedlichen Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Soziologie und Kommunikationswissenschaft) nach. Dazu soll vor dem Hintergrund aktueller sozialisationstheoretischer und bildungstheoretischer Ansätze die Metapher der Ent|grenz|ungen kritisch hinterfragt und eingeordnet werden. So wird u.a. versucht, praxistheoretische, systemtheoretische und figurationstheoretische Perspektiven der Sozialisationsforschung einerseits einem subjektorientierten Bildungsverständnis andererseits gegenüberzustellen und dabei geplante, sowie ungeplante Aspekte von Ent|- und Be|grenz|ungen auszuloten
Beiträge des Panels
Bildungsbezogene Medienrepertoires als Schnittstelle informeller und formaler Bildung
Prof. Dr. Rudolf Kammerl1, Katrin Potzel1, Paul Petschner1, Dr. Claudia Lampert2
1Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2Leibniz-Institut für Medienforschung / Hans-Bredow-Institut
Im Zuge der Digitalisierung sind die Grenzen verschiedener sozialer Domänen, wie z. B. Familie und Schule, zunehmend in Auflösung begriffen. Dies hat auch für Bildungsprozesse Konsequenzen, da formales Lernen verstärkt (wie etwa in der derzeit andauernden Pandemie) auch in familiären Kontexten stattfindet und wiederum informelles Lernen auch für die schulische Bildung an Bedeutung gewinnt. Ausgehend vom theoretischen Rahmen der kommunikativen Figurationen (Hepp & Hasebrink 2014) schlagen wir vor, mit dem Konzept des Medienrepertoires die Schnittstelle zwischen formalen und informellen Bildungskontexten zu untersuchen. Das Medienrepertoire bezeichnet ein relativ stabiles, individuelles und medienübergreifendes Muster von Medienpraktiken, das Individuen orientiert an übergreifenden Prinzipien (z. B. Nützlichkeit, Involvement) entwickeln (Hasebrink & Hölig 2017). Statt auf ein einzelnes Medium bzw. eine Medienpraktik, wie z. B. Fernsehen oder Lesen, richtet sich mit dem Medienrepertoire der Blick auf die Gesamtheit der etablierten Medienpraktiken einer Person. In diesem Beitrag soll die Rolle des Medienrepertoires für mediatisierte Bildungs- und Sozialisationsprozesse anhand empirischen Materials aus einer qualitativen Panelstudie zur Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung veranschaulicht werden.
Lernort Familie als Schnittstelle informeller und formaler Bildung vor und während der Pandemie – ein längsschnittlicher Vergleich
Lara Gerhardts1, Lea Richter2, Prof. Dr. Anna-Maria Kamin2, Prof. Dr. Dorothee M. Meister1, Jeannine Teichert1
1Universität Paderborn, 2Universität Bielefeld
Der pandemiebedingte Distanzunterricht verwischt zunehmend die Grenzen zwischen den Lernorten Schule und Familie bzw. zwischen formalen und informellen Bildungsprozessen. Auch formales Lernen findet nun verstärkt im häuslichen Kontext statt. Damit der Erfolg solch eines entgrenzten, mit Hilfe digitaler Medien räumlich wie zeitlich flexibilisierten Lernens gesichert ist, sind insbesondere jüngere und weniger medienkompetente Kinder auf Begleitung angewiesen. Diese findet im Idealfall in Abstimmung zwischen Elternhaus und Schule statt.
Im Rahmen eines BMBF-geförderten Verbundforschungsprojektes wurde die Aneignung digitaler Kompetenzen von Schüler*innen vor bzw. während der Pandemie aus Elternsicht erfasst. Zu drei Zeitpunkten (Sept. 2019 – Nov. 2020) wurden fünf Elternteile von Schüler*innen der 5. und 6. Klassenstufe leitfadengestützt interviewt. Die Datenlage ermöglicht, die Ent|grenzung des Lernortes Familie unter verschiedenen äußeren Rahmenbedingungen zu vergleichen und unter der Frage zu analysieren, wie sich diese Prozesse auf das Lernen der Kinder sowie auf diesbezügliche elterliche Unterstützung auswirken. Erste Ergebnisse zeugen davon, dass viele Kinder sich angesichts elterlicher Überforderung mediale Kenntnisse selbst aneignen müssen, wodurch inhaltliche Lernprozesse beeinträchtigt werden (Anonym et al. 2020).
Ent|Grenzungen thematischer Rahmen in Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen
Caroline Grabensteiner
PH Wien, Österreich
Instant Messaging als Online-Peer-Kommunikation wird schon seit Beginn der 2000er Jahre beforscht (vgl. Subrahmanyam & Greenfield, 2008). Technische Innovation und zunehmende Personalisierung haben WhatsApp als aktuelle Ausprägung dieser Kommunikationsform hervorgebracht. Instant-Messaging-Gruppen in Schulklassen stehen am Übergang, oder: an der Grenze zwischen Schule und Familie.
Die Rekonstruktion der Herstellung von Bildungsverhältnissen im Medienhandeln steht im Zentrum der vorgestellten Studie. Medienbildung wird als medial vermittelte Verhältniskonstruktion (vgl. Meder, 2007), bzw. als materiale, soziale und biografische Relation verstanden. Diese wird empirisch entlang sensibilisierender Konzepte modelliert. Mit Bezug auf Agency (vgl. Emirbayer & Mische, 1998) und das Modell der kommunikativen Figurationen (vgl. Hepp & Hasebrink, 2014) werden Zusammenhänge zwischen Akteurskonstellationen, Kommunikationsformen und der Entwicklung thematischer Rahmen auf individueller und kollektiver Ebene nachvollzogen. Dazu wurden soziale Netzwerkdaten, sowie individuelle Befragungen und Fokusgruppen im Mixed Methods Design nach Grounded Theory (Charmaz, 2006) ausgewertet.
Vorgestellt werden bisher unerreichte Einblicke in Aushandlungsprozesse unter Schüler*innen zwischen formalen und informellen Bildungskontexten via Instant Messaging. Im Mittelpunkt stehen die Entwicklungen in sog. «Klassenchats» aus drei Schulklassen (Sek I, Schweiz, 2018/19) entlang thematischer Ent- und Begrenzung
An der Grenze von Realität und Virtualität. Bildungspotenziale von VR-Anwendungen in informellen, non-formalen und formalen Kontexten
Olag Neuberger, Inga Limpinsel, Prof. Dr. Sandra Aßmann
Universität Bochum
Technologische Entwicklungen wie Virtual Reality (VR) haben Einzug in den Bildungssektor gehalten: Vom Sachunterricht in der Grundschule (Buchner & Aretz, 2020) über Gedenkstätten (Bunnenberg, 2020) bis hin zu YouTube (Hellriegel & Čubela, 2018). Somit durchdringt VR formale, non-formale und informelle Bildungskontexte. Dabei zeigt sich ein Spannungsfeld bezüglich der Frage nach Grenzen von Realität und Virtualität: Während die VR-Umgebungen durch ein immersives Eintauchen eine (vermeintliche) Erweiterung und Ent|grenzung der Realität versprechen (Buchner & Freisleben-Teutscher, 2020), be|grenzt die Gebundenheit des Körpers an Zeit und Raum gleichzeitig das Eintauchen in virtuelle Welten (Neitzel, 2008). Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Verbundforschungsprojektes wird dieses Phänomen aus interdisziplinärer Perspektive analysiert.
Der Beitrag stellt Ent|- und Be|grenz|ungen am Beispiel von zwei VR-Anwendungen aus dem Bildungskontext vor. Leitend ist dafür die Fragestellung, wie Nutzer*innen der VR-Anwendungen sich selbst im virtuellen Raum wahrnehmen und welche Deutungen der VR sie in Relation zur sozialen Wirklichkeit vornehmen. Innerhalb einer Grounded Theory-Studie wurden zu diesem Zweck Studierende nach der VR-Rezeption in Gruppen interviewt. Es werden Ergebnisse dieser Untersuchung vorgestellt, die eine Diskussion über Reflexionspraktiken entlang der Grenze zwischen Realität und Virtualität anstoßen sollen